4. Bremsen

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Klara

Ich hasse es jetzt schon. Yasmin setzt voraus, dass ich alles bereits kann. Wofür bin ich denn im Anfängerkurs?
Zu sehen wie elegant sie alle Übungen ausführt, macht mich nur noch verrückter. Als hätte sie nie etwas anderes getan.
Ich schäme mich die ganze Zeit dafür, wie dumm ich mich anstelle. Irgendwie muss das doch gehen.

Nach mehreren Anläufen gelingt mir das Bremsen dann doch. Zumindest einigermaßen. Ja okay, es funktioniert immer noch nicht so ganz. Ohne meine Arme als Ausgleich und Skistöcken wäre ich total aufgeschmissen. Den Blick von meinen Skiern hebe ich auch nur selten.
Um so überraschter bin ich als Yasmin vorschlägt den Berg komplett herunterzufahren. Glücklicherweise ist er nicht steil, aber dennoch bekomme ich ein mulmiges Gefühl dabei.

„Bleib hinter mir. Ich fahre vor." Eindringlich schaut sie mich an. Bevor sie losfährt, dreht sie sich ein letztes Mal um.
„Wehe du fährst wieder in mich rein. Wir haben nicht umsonst geübt, wie man bremst." Ihre Augen formen sich zu zwei dünnen Schlitzen.
Und dann fährt sie los. Einfach so.
Ungläubig schaue ich ihr hinterher. Bis mir eine Sache einfällt. „Wie lenke ich überhaupt?" Panisch rufe ich ihr entgegen. Noch ist sie in Hörweite.
Die darauf folgende Antwort nimmt mir nicht gerade die Angst. „Das wirst du schon merken. Du wirst sowieso irgendwann unten ankommen." Ich brauche ihr Gesicht gar nicht zu sehen, um zu wissen wie lustig sie ihren Kommentar findet.

Genervt rolle ich mit meinen Augen. Wütend schnaube ich, während ich meinen Helm zurecht rücke. Na warte, jetzt zeige ich es ihr erst recht.
Vorsichtig drücke ich mich mit den Skistöcken von dem bereits platt gefahrenen Schnee ab. Ich merke wie mir der Fahrtwind ins Gesicht peitscht. Unter meinen Skiern höre ich den Schnee. Erst bin ich langsam und dann immer schneller. Ich nehme die Umgebung um mich kaum noch wahr. Skifahren ist also doch nicht so schwer, wie ich bis gerade eben noch dachte.

In der Nähe scheinen noch andere Leute zu üben. Eine Stimme gibt immer energischer Anweisungen. Je näher ich dem Rumpf des Berges komme, um so lauter wird sie. „Bremsen, Bremsen!" Wie lustig, es wird auch das Bremsen gelehrt.
„Du musst Bremsen. Verdammt!"
Moment mal, die Stimme kenne ich doch. Ruckartig hebe ich meinen Kopf. So schnell, wie ich fahre, erkenne ich gerade noch rechtzeitig, wie Yasmin auf etwas vor mir zeigt. Ich folge ihrem Blick. Ein Baum.

Mist, Mist, Mist! Er kommt immer näher. „Bremsen Klara! Bremsen!"
Okay. Beruhig dich, du schaffst das. Nur noch wenige Meter trennen mich von dem Baum. In Gedanken lasse ich die Übung Revue passieren. Und dann bremse ich mit voller Wucht. Ich höre den Schnee heftig unter den Skiern knirschen. Der plötzliche Ruck lässt mich nach vorne kippen. Ich wedele kräftig mit meinen Armen. Vergebens. Ich falle kopfüber in den Schnee. Unangenehm macht sich die eisige Kälte in meinem Gesicht breit.

Nach dem ich begreife was gerade passiert ist, stemme ich mich hoch.
„Alles okay?"
Verwirrt drehe ich mich zur Seite. Yasmin steht vorgebeugt neben mir. Sehe ich da etwa Besorgnis in ihren Augen?
„Mir gehts gut." Ich versuche aufzustehen. Jedoch komme ich mit den Skiern nicht hoch. Aus dem Augenwinkel kann ich Yasmins verwirrten Blick erkennen. Da ist sie nicht die Einzige. Irritiert suche ich nach einem Weg aufzustehen, rutsche jedoch ständig weg.

„Was wird das genau, wenn ich fragen darf?"
Na super, jetzt werde ich wieder bloßgestellt. Solche Spielchen haben mir gerade noch gefehlt. Wie konnte ich auch nur eine Sekunde glauben, dass sie besorgt ist. Ein Blick zu Yasmin verrät mir, dass sie ihr Grinsen mittlerweile nicht mal mehr versucht zu vertuschen.
Genervt stoße ich die Luft aus. „Aufstehen, sieht man doch. Oder denkst du etwa, ich wollte jetzt hier einen auf Breakdancer machen?"
Ich musterte sie.
Yasmin zuckt kurz mit den Schultern. „War mir da nicht so sicher. Also Breakdance kommt der Sache auf jeden Fall näher als Aufstehen."

Mit gerunzelter Stirn verharre ich mitten in meiner Bewegung. War das jetzt ihr Ernst? Ich wäre fast gegen einen Baum gefahren und sie macht sich über mich lustig? Ungläubig starre ich Yasmin an.
Sie prustet los. Die Stille des Geländes wird von ihrem Lachen gefüllt. „Dein Blick."
Sie krümmt sich nun vor Lachen. „Unbezahlbar."

Wieso wundert es mich eigentlich noch, dass sich Yasmin über mich lustig macht. Kopfschüttelnd versuche ich erneut aufzustehen. Ein weiteres Mal rutsche ich weg. Ich gebe auf und lasse mich wieder in den Schnee fallen. Erschöpft schließe ich meine Augen.
Ich höre es kurz zwei mal klicken, bevor jemand leise stampfend näher kommt. Stille.
Irgendwas stupst mich seitlich ins Bein. Ich öffne meine Augen.

Yasmin steht neben mir. Ihre umwerfenden Augen schauen auf mich herab. Sie hält mir ihre Hand hin. „Es tut mir leid."
Ich drehe meinen Kopf von ihr weg. Mitleid hatte sie ganz sicher nicht. Trotzig verschränke ich meine Arme.
„Ich hätte dich nicht so leichtsinnig fahren lassen dürfen. Es war meine Schuld."
In ihrer Stimme schwingt etwas wie Verunsicherung mit. Mein Blick gleitet wieder zurück zu ihrem Gesicht. Wow, sie wirkt echt überfordert. Erneut streckt sie ihre Hand aus.

Ich habe genau zwei Möglichkeiten, entweder ich lasse mich von ihr hochziehen, oder verharre hier auf dem Boden bis zu meinem Lebensende. Schließlich entscheide ich mich doch dafür ihre Hand anzunehmen. Wahrscheinlich die clevere Entscheidung, auch wenn es mir peinlich ist Hilfe zu brauchen.

Ihr griff ist stark. Mit nur einer Hand zieht sie mich hoch. Wir halten kurz Blickkontakt. Mein Körper fängt an zu kribbeln. Schnell löse ich den Griff und schaue weg, in die Ferne.
Sie räuspert sich kurz. Als sich Yasmin umdreht und zu ihren Skiern läuft blicke ich unauffällig hinterher. Ich beobachte, wie sie elegant ihre Skier anschnallt.

Gerade noch rechtzeitig starre ich auf meine eigenen Skier, bevor sie sich zu mir dreht.
„Wir nehmen den Lift, geht schneller."
Als wäre nichts geschehen, eilt Yasmin voraus und ich trotte ihr langsam nach.

eiskalt verliebtWhere stories live. Discover now