17. Haarsträhne

829 33 2
                                    

Yasmin

Wie auch schon gestern sitzen wir gemeinsam in der Gondel. Wir tuen das, was wir am besten können, schweigen.
Ich glaube wir brauchen beide einen Moment, um die letzten paar Minuten zu verarbeiten.

Wie nah wir uns waren. Sie lag mit ihrem ganzen Körper auf mir drauf. Ich hätte wissen müssen, dass ich sie mit bloßen Händen nie im Leben zum Bremsen bekommen würde.
Wie gerne ich sie in dem Augenblick geküsst hätte. Irgendwas sagt mir, sie hätte es auch gewollt. Aber in ihrem Ausdruck lag so viel Verwirrung und Angst.

Eine leichte Windböe fegt durch die Gondel. Automatisch gelangt mein Blick zu Klara. Sie beobachtet aufmerksam ihre Umgebung. In ihren Augen funkelt es nur so vor Bewunderung. Wie ein kleines Kind, welches zum ersten Mal Schnee sieht.

Für mich ist es unvorstellbar. Wie kann man so wenig von der Welt gesehen haben? Dabei scheint Klara endlos Geld zur Verfügung zu stehen. Es gibt doch nichts schöneres im Leben, als auf Abenteuerreisen zu gehen.

Klara versucht gerade eine vom Winde verwehte Haarsträhne zu lösen. Sie ist zwischen ihrem Helm eingeklemmt. Vergebens versucht sie nach der Strähne zu greifen.

Ohne zu fragen rücke ich augenblicklich näher zu ihr. Überrascht schaut mich Klara an. Ich hebe das Band des Verschlusses ein wenig an. Einen kleinen Moment warte ich, ob Klara meine Hand wegschlägt, aber es passiert nicht.

Behutsam ziehe ich die Strähne hervor. Unsere Blicke treffen sich. Ihre eisblauen Augen glänzen in der Sonne. Ich kann mich nicht von ihnen lösen, sie haben mich in ihren Bann gezogen.
Mein Herz pocht ganz schnell.

Nie werde ich schönere Augen als ihre sehen, da bin ich mir sicher.
Die nächste Windböe verursacht ein lautes Quietschen der Gondel, welches mich zurück in die Gegenwart holt.

Ich blinzle kurz, bevor ich wieder Abstand zwischen uns bringe.
„Tut mir leid." Ich hätte ihr nicht ungefragt so nahe kommen dürfen, erst recht nicht nach der Geschichte mit diesem handgreiflichen Mann.

Ein Ausdruck legt sich auf Klaras Gesicht, welchen ich nur schwer deuten kann.
Sie greift meine Hand. „Es ist alles okay, du hast nichts falsch gemacht. Danke."
Mein Herz setzt einen ganzen Moment aus. Bilde ich es mir nur ein, oder schwingt da etwa eine Botschaft mit?

Noch immer hält sie meine Hand. Ich versuche ihr Gesicht zu lesen, doch werde einfach nicht schlau daraus.
Aber es scheint so, als würden mir ihre Augen noch tausend weitere Worte erzählen wollen.

Die Gondel kommt zum Stehen. Klara zieht ihre Hand zurück und steigt aus. Ich fange kräftig an zu atmen. Habe ich etwa die Luft angehalten?
Nachdenklich steige auch ich aus der Gondel aus.
Das kann ja ein interessanter Tag werden.

eiskalt verliebtWhere stories live. Discover now