01 Anfang vom Ende

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Ich sitze in einem dunklen Raum auf einem schlichten Stuhl ohne Polster, ohne Armlehnen. Die hölzernen Konturen der eingeschnitzten Muster drücken mir unangenehm von hinten in die Wirbel und erzwingen eine starre und zugleich kerzengerade Haltung. In diesem Raum, ein Zimmer ohne jegliches Mobiliar, herrscht Stille. Nur die Fenster, die hoch und bogenförmig sind, präsentieren eine erschreckende und gleichermaßen faszinierend stimulierende Aussicht. Meine Finger zappeln, obwohl ich mich nicht unruhig fühle, denn mein Blick bleibt gespannt auf die Geschehnisse dort draußen gerichtet. 
Die Erde brennt. 
Der Himmel ist in ein feuriges Rot getaucht und Drachen jeder Größe und Rasse durchstreifen ihn und nutzen ihre gewaltigen Mächte, mit dem Ziel sich gegenseitig auf den Erdboden zu befördern. Feuer wird ausgespuckt, Blitz und Donner wühlt die Wolken auf und sogar Menschen reiten auf den Rücken der Drachen durch die Lüfte. Sie halten Speere und Schwerter und rufen sich versunken in ihrer Angriffslust wahnwitzige Obszönitäten zu. Und auch auf dem Boden, dort wo Feuer brennen und Menschen und Tiere gleichermaßen um ihr Leben rennen, wüten wilde, brutale Kämpfe. Soldaten in silbernen Rüstungen, mit dem Wappen einer singenden Meerjungfrau kämpfen gegen die Menschen. Ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob ihr Schwerthieb ein Kind, einen humpelnden Mann oder einen Blinden trifft, pflügen sie weiter durch die panische Menge. 
Blut ist überall zu sehen und manchmal scheint es sogar aus den Wolken zu regnen, wenn ein vorbeifliegender Drache eine schwerwiegende Wunde erlitten hat. 
Das Szenario bietet ein Schauspiel des Grauens und ist brutaler und furchterregender als alles, was ich mir in meinem langen, unsterblichen Leben vorstellen konnte und ... Moment
Ich bin gerade Anfang zwanzig, als ein langes Leben würde ich das nicht bezeichnen und als unsterblich kann ich mich ebenfalls nicht betiteln.
Was empfindest du bei dem Anblick von Blut, Menschenkind? Ich wende mich der Stimme in der Erwartung stirnrunzelnd zu, niemandem in diesem leeren Zimmer begegnen zu können. Doch ich irre mich, denn dort steht es. Dieses Das, was mir das Leben gerettet hat und ohne das ich nicht mehr wäre. Kataigída. Ein Gefühl der Enge macht sich in meiner Brust breit und versucht mit groben Klauen meine wunde Kehle hinaufzukraxeln. 
"Du bist hier", entgegne ich anstelle einer Antwort. Vor dem Fenster toben die Kämpfe weiter und Kieselsteine prallen an der polierten Glasscheibe ab, als Magie ganz in der Nähe eine leuchtende Explosion verursacht. Lichtreflexe tanzen an der holzvertäfelten Wand und formen dabei tiefe, unheilverkündenden Schatten.
Die sturmumwölkten Augen des Geistwesen verengen sich und messerscharfe Reißzähne blitzen auf, als es eine missmutige Fratze verzieht. Natürlich bin ich hier, antwortet es schließlich und legte seinen wüsten Kopf schief. Was empfindest du dadurch? 
"Weißt du was dort draußen vor sich geht?", frage ich und drehe mich wieder weg. 
Was siehst du dort draußen?
"Drachen und Menschen, Soldaten und Krieger. Da sind auch ein paar Zivilisten. Viele kämpfen, mehr noch fliehen und leiden." Ich blinzele und vergrabe meine Finger in dem weichen Stoff meines Rocks. 
Bluten sie?
"Ja", gebe ich intuitiv zurück und sehe Kataigída wieder an. Ein Vorwurf liegt im Blick der Kreatur, dem ich keine Bedeutung beimessen möchte. Die Klaue gräbt sich tiefer in mein Fleisch, festigt ihren Griff. "Aber ich verstehe nicht wofür sie kämpfen und wofür sie all das ... -"
Blut vergießen? Kataigídas Mähne rauscht dem Geistwesen um seinen Kopf, als es ebenfalls das Schlachtgeschehen betrachtet. Wer weiß schon worum oder um wen sie diesmal kämpfen, denn sie kämpfen doch immer um irgendetwas, nicht wahr? Ruhm, Territorien, Frauen, Rache oder schlicht weil sie die Gewalt lieben. Es schüttelte seine Mähne. Allerdings erkenne ich ein Zögern in deiner Haltung, Menschenkind.
"Ich sitze doch nur hier und beabsichtige nicht irgendwo hin zu gehen. Wieso also zögere ich?"
Ganz genau, antwortet Kataigída und tappst mit seinen Wolfspfoten auf mich zu. Im Stehen überragt es mich um Längen und so wie es nun auf mich hinabsieht fühle ich mich kleiner und unbedeutender als je zuvor in meinem kurzen und sterblichen Leben. Das stimmt nicht, Menschenkind. Du irrst dich. 
"Wobei irre ich mich?" Ich entscheide mich Kataigídas unheimlichen Blick zu erwidern. "Was möchtest du überhaupt von mir?"
Was empfindest du bei dem Anblick von Blut, sag es mir.

A Dragon's LoverWhere stories live. Discover now