02 Mehr als Schmerz ist es Zorn

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Philomenas Brunnen, als solcher wurde dieser Ort, der so unendlich tief unter der Höhlenstadt Dragorea lag bezeichnet. Ein Konstrukt aus natürlichen Tunneln und viele mit Luft gefüllten Unterwasserhöhlen.
Als Hayen mich auf seine Arme gehoben hatte, um mich zu einer heilenden Quelle innerhalb dieses Tunnelsystemes zu tragen, konzentrierte ich mich genau auf diese Informationen und wiederholte sie mehrmals mit zusammengebissenen Zähnen in meinem Kopf. Andernfalls hätte ich bereits bei der ersten Gewichtsverlagerung geschrien und um mich geschlagen, hätte gefleht, mich nicht bewegen zu müssen. Hayen wusste das ganz genau, man sah es ihm an. Seine goldenen Iriden waren dunkel vor Zorn und umwölkt wegen der Gefühle und Empfindungen, die wir nun zu teilen schienen. Wie hypnotisiert streichelte sein Daumen immer wieder über mein Knie, während seine Füße sich über den Kiesboden den Weg bahnten. Diese seltsamen fliegenden Lichter begleiteten uns und schienen uns den Weg zu weisen, den Philomena zuvor erklärt hatte.
Doch kaum dass wir miteinander alleine waren, sagte niemand mehr etwas. Er, weil er sich auf den Weg zu konzentrieren schien und ich weil meine Erinnerungen Stück für Stück zurückkehrten und Scham die Ungewissheit ablöste.
Götter, was hatte ich nur getan, fragte ich mich und vergrub mein Gesicht in Hayens Halsbeuge. Sein stetiger Puls schlug gegen meinen Wangenknochen, als wollte auch er mich an mein furchtbares Fehlverhalten erinnern. Selbst in meinem jetzigen Zustand, in dem mir andere Sorgen das Herz schwer machen sollten, kreisten meine Gedanken um den Kummer und die Schwierigkeiten, denen ich Hayen und seine Gefährten ausgesetzt hatte. Wegen meiner Sturheit und meiner naiven Uneinsichtigkeit war ich in diese Lage geraten, war aus diesem dämlichen Fenster getürmt und hatte mich einem Wildfremden angeschlossen, in der Hoffnung er würde mich tatsächlich zu meinem Vater bringen. Ich... Schamesröte schoss mir ins Gesicht und ich kniff die Augen zusammen, was auch Hayen sofort registrierte.
"Werden deine Schmerzen schlimmer?" Sein besorgter Blick haftete an mir wie ein Anker, der mich am Meeresboden festzusetzen versuchte. "Wir sind sofort da. Da vorne ist es schon."
Ich schüttelte schwach den Kopf und wünschte ich wüsste, wie ich es ihm erklären sollte, wie ich mich bei ihm entschuldigen sollte. Stattdessen interpretierte er meine Anspannung und mein Schweigen anders als es in Wirklichkeit war. Meine Wunden waren schlimm, so viel war mir klar. Dennoch war mein Verhalten aus meiner Sicht einfach nicht zu entschuldigen und die Sorge, welche er mir nun entgegenbrachte, fühlte sich an wie ein heftiger Schlag in mein Gesicht. Die schwebenden Lichter Bogen in einen Raum ab, der ein oder zwei Stufen tiefer lag als der Tunnel, durch den wir gerade gingen und schon im nächsten Augenblick betraten auch wir ihn. Das helle, bunte Licht der schwebenden Geschöpfe versetzte die Unterwassergrotte in eine magische Atmosphäre. Wasserreflexionen funkelten an den schiefergrauen Höhlenwänden und ein natürliches Becken war das Herzstück dieses Ortes. Das Wasser dampfte leicht vor sich hin und durch seine milchige, undurchsichtige Farbe erinnerte es mich stark an den See, der die Bibliothek umgab. Manche Teile der massiven Steinwände liefen in ihren spitzen Ecken und Kanten in gläserne Kristalle über, die die sich reflektierenden Lichter erneut bündelten und in einem sanften Schimmer wieder ausstrahlen. Seerosen und andere kleinere Pflanzen trieben ebenfalls durch das Wasser und schienen von der Kraft des Beckens zu zehren und dadurch an Schönheit dazuzugewinnen.
Magisch. Das war das richtige Wort für einen Ort, welcher derart fernab von der Zivilisation lag und selbst von dem alten Volk der Drachen verborgen wurde. Sogar Hayen konnte der Schönheit dieses Ortes wohl etwas abgewinnen, denn selbst er stand für einen Augenblick mit mir in seinen Armen staunend vor dem Becken, betrachtete die Wände, die Kristalle, das Wasser und sogar die Decke, bevor er sich mir wieder zu wandte.
Doch statt etwas zu sagen, schloss er kurz die Augen und atmete tief durch. Ich spürte die Bewegung seiner Muskulatur an meinem Körper, spürte wie seine Lungen sich aufblähten und wieder entspannten und spürte auch das kurzzeitige Aufflammen seiner Magie. Noch bevor ich auch nur hätte reagieren können, züngelten schneeweiße Funken seinen Oberkörper entlang. Sie zerfraßen den Stoff seines Leinenhemdes und ließen ihn mit nackten Oberkörper zurück. Es waren keine heißen Flammen, sondern lindernde, kühle Magie, die schlicht ihren Nutzen erfüllte und anschließend wieder verpuffte.
"Was hast du vor?", wollte ich von ihm wissen und ignorierte das, was ich bereits an ihm kannte. Die gestählte, braun gebrannte Brust, die definierte Muskulatur seines Bauches, die Glätte und Wärme und selbst der vertraute Duft seiner Haut. Innerlich erschauderte ich und erinnerte mich daran, dass ich meine Chance auf Nähe zu ihm vertan hatte, nachdem ich aus Ultazen geflohen und mit Ciaran mitgegangen war. Anstatt ihn also zu berühren, spannte ich meine Finger in meinem Schoß an und senkte meinen Blick.
"Ich bringe dich in das Becken und wasche dir das Blut vom Körper", erklärte er schlicht und trat sich die Schuhe von den Füßen, ohne dabei auch nur im Geringsten mit seinem Gleichgewicht zu kämpfen.
"D-das... -", ich räusperte mich, zumindest versuchte ich es. Vergeblich.
Hayen blinzelte mich an. "Möchtest du vielleicht, dass ich jemand anderes darum bitte? Ich könnte Philomena bitten Kate noch einmal Zutritt zu gewähren oder -"
Ich schüttelte den Kopf und kratzte an meinen Fingernägeln entlang. Getrocknete, teilweise bereits flockige Überreste von braunem Blut lösten sich.
"Darum geht es nicht", antwortete ich schließlich und ließ zu, dass Hayen mich weiter voran trug. Seine Füße tauchten in das Wasser ein und verschwanden praktisch sofort in seiner nebeligen Struktur. Auch meine Zehenspitzen berührten kurz darauf das Wasser und ich konnte mir ein wohliges Seufzen nicht verkneifen. Es war wirklich herrlich warm und so angenehm, dass ich für einen Moment vergaß, dass in nur zwei weiteren Schritten meine Wunde am Bauch von dieser Wärme berührt werden würde. Kurz fragte ich mich, ob das hier vielleicht eine Salzwasserquelle war und verspannte mich in der Erwartung an eine neue, frische Welle an Schmerzen.
"Keine Sorge", murmelte Hayen an meinem Ohr und hielt mich fest. Aber genau das tat ich. Ich sorgte mich und die Sorge wuchs als ich merkte, wie der Saum meines Kleides wegen des Wasser schwerer wurde. Meine Finger umfassten Hayens Hals, krallten sich in seine Haut und ich schloss die Augen, als das Wasser meine Hüften umspielte. Von außen betastete nasse Wärme meine Haut, innerlich zog sich mir jedoch alles zusammen. Noch einen Schritt, und noch einen. Der grüne Algenverband an meinem Bauch wurde schwerer, das neue Wasser drückte ihn fester gegen meine Haut, gegen das was da so unheilverkündend vor mir verborgen wurde. Angst zitterte durch meine Adern und flüsterte mir ins Ohr, dass es weh tun wird, dass die Schmerzen kaum auszuhalten sein würden, dass meine Organe letztendlich doch zerreißen würden.
Intuitiv verankerten sich meine Finger, inklusive meiner zu lang gewordenen Fingernägel, in Hayens fester Haut im Nacken. Er spannte die Lippen an, formte sie zu einer schmalen Linie und tat den letzten Schritt, welcher mich bis zu den Schultern hin dem Wasser überließ.
Zwischen den Zähnen zog ich scharf die Luft ein und furchte meine Stirn, während das Wasser unter den Verband schlüpfte und sich auf meiner Haut ausbreitete. Wohlige Wärme glitt über Stellen an meiner Haut, die nicht einmal davon berührt werden wollten. Angespannt vergrub ich mein Gesicht wieder in Hayens Halsbeuge und empfand tiefe Dankbarkeit, als er mich für diesen Moment gewähren ließ. Mir war klar, dass es ihm schwerfiel mich so zu sehen und vermutlich noch mehr als das. Nachdem ich mich an die Wärme und diesen unbehaglichen Druck gewöhnt hatte ließ ich von ihm ab, sah zu ihm auf und forschte in dem verdunkelten Gold seiner Augen und glitt aus seiner Umarmung. Anspannung umwölkte seine Miene ... Und Sorge. Im Stillen fragte ich mich, ob es ihm ging wie mir. Ob auch er mich spürte, wie ich ihn nun spürte. Alles seitdem...
"Wir müssen dich waschen...", erklärte er, die ohnehin schon raue Stimme belegt von etwas, das ich nicht identifizieren konnte.
Als ich daraufhin nickte und mich nach Seife umsehen wollte, schwebten bereits bunte Glasphiolen auf einem Seerosenblatt und begleitet von den magischen Lichtern zu uns heran. Während in mir das Bedürfnis aufkeimte mich zu bedanken - bei wem oder was auch immer - lag Hayens Blick bereits auf mir, viel mehr auf dem Gewand, das ich trug und sehr einem weißen Nachthemd ähnelte. Ich holte tief Luft und horchte in mich hinein, um zu sehen ob ich sprechen konnte, ob dieses Bad tatsächlich heilen konnte und dachte: "Ich ziehe das aus." Die Worte wollten mir noch nicht über die Lippen kommen, weswegen ich sehr dankbar für diese neue Art der Kommunikation war.
"Du solltest nicht-" Hayen unterbrach mich mitten in der Bewegung, als ich Anstalten machte, nach dem Saum zu greifen. "Lass mich dir helfen, ich möchte nicht, dass sich deine Wunden wieder öffnen", bat er. Seine innere Unruhe war ihm anzusehen. Wollte er etwa nicht, dass ich mich überhaupt mehr bewegte? Dennoch nickte ich in einer flüchtigen Bewegung und ließ es zu, als seine Hände den Kragen des Nachthemdes packten, sie zu Fäusten ballte und es in zwei mühelosen Bewegungen seinerseits in der Mitte zerriss. Die feuchte Luft legte sich kühl an meinen nun nackten Oberkörper und ich schluckte schwer und kämpfte gegen das Verlangen, mich vor ihm bedecken zu müssen. Meine Brüste, mein Bauch, meine Taille hinab zu meinen Hüften stand ich nun nackt vor dem König der Drachen, nur verhüllt von dem heilenden Wasser um uns herum. Erst wagte ich es nicht zu ihm aufzublicken - aus Scham - trotz der Tatsache, dass wir längst miteinander geschlafen hatten. Ich rechnete fest damit, dass wieder dieses dunkle, von Verlangen getrübte Glühen in seine Iriden treten würde, aber dem war nicht so. Das hier war nicht wie damals in Ultazen, als er Keen verprügelt und mich anschließend vor dem Kaminfeuer all diese fantastischen Dinge hat fühlen lassen. Das hier war etwas vollkommen anderes. Denn als ich den Kopf hob und sein Gesicht musterte, da erkannte ich nichts anderes als Schmerz in seinen harten Zügen und eine Dunkelheit, welche ich nicht benennen wollte. Es musste an dem liegen, was er sah. An dem, was ich noch nicht zu Gesicht bekommen hatte.
Langsam, als hätte er sich selbst in Zeitlupe versetzt, ließ er den nun durchnässten Stoff in das Wasser gleiten und hob seine Hand, während die Waschlotionen wieder davontrieben. Er legte seinen Kopf schief und fixierte meine Augen, verankerte sie mit seinen, als er seine Hand an meine Wange legte und sein Daumen über meinen Wangenknochen glitt. Ich schluckte trocken und lehnte mich in seine nur zarte und vertraute Berührung, schloss die Augen und beachtete dabei seine andere Hand nicht, die nur einen Moment später den ersten Algenverband von meiner Haut löste und meinen Bauch für das Einwirken des Wassers entblößte.
Instinktiv riss ich die Augen auf und wollte mir selbst ein Bild von der Wunde machen, die inzwischen wohl bereits die erste Narbenbildung aufweisen sollte, aber Hayens Griff war schneller, als er seine Hand in meinen Nacken legte und mich so fixierte.
"Sieh sie dir noch nicht an", sagte er. "Ich bitte dich." Seine Stimme war leise, hallte jedoch trotzdem an den Wänden dieses Raumes wider. Anschließend löste er auch den Verband an meinem Hals. Hier fühlte es sich wesentlich unangenehmer an. Diese Stelle war bereits wahnsinnig empfindsam und nun da die Narbe offengelegt war, stellten sich mir die feinen Härchen in meinem Nacken senkrecht auf. Ich musste eine Grimasse verzogen haben, denn meine Reaktion spiegelte sich augenblicklich in Hayens Haltung wider. Die Algenverbände ließ er in das Wasser gleiten und dann stand er da, betrachtete mich mit hängenden Schultern und einem trostlosen Ausdruck im Gesicht.
Ich tat einen Schritt nach vorn, wollte ihm versichern, dass alles wieder gut werden würde, dass es mir gut ging, aber da schüttelte er bereits seinen Kopf.
Einen lagen, zehrenden Moment schwiegen wir einander an, bis er schließlich das Wort ergriff und mit ermatteter Stimme sagte: "Das alles ist meine Schuld." Eine Geste seines Armes zeigte auf mich, schloss alles an mir ein und auch wenn ich wusste, dass er damit meine Verletzungen meinte, verkrampfte und verschrumpelte etwas tief in meinem Inneren. Es zog sich qualvoll eng zusammen und ließ mich mit dem Kopf schütteln und einen Schritt auf ihn, den Mann, der sich als mein Seelengefährte offenbart hatte, zugehen.
"Das ist nicht wahr", antwortete ich mit geballten Fäusten und einem verräterischen Brennen in meinen Augen. Hayen runzelte die Stirn und noch bevor er mir widersprechen konnte, schnappte ich nach Luft, füllte meine Lungen und richtete meinen Blick auf die milchige Oberfläche des Wassers. Rosane Wasserschwaden umgaben mich wie einen Geisternebel, den ich versuchte zu ignorieren. "Ich habe dich und deine Freunde mit meiner Entscheidung in Gefahr gebracht. Ich habe nicht auf dich gehört und bin freiwillig mit Ciaran mitgegangen, ohne überhaupt die Gewissheit zu haben, meinen Vater wirklich in ihrem Lager wiederfinden zu können. Es war dumm, leichtsinnig und egoistisch und das hier -" Mit dem ausgestreckten Zeigefinger deutete ich auf meinen Hals, ohne jedoch aufzublicken. Und dann sog ich noch einmal den warmen Wasserdunst ein, atmete tief durch und blickte auf. "Ist meine Schuld." Meine Stimme war ein Scharren kantiger Glasscherben auf meinen lädierten Stimmbändern und hörte sich auch genauso an. Es tat so weh, dass ich spontan das Bedürfnis verdrängen musste, zu würgen. Aber diese Worte, diese Wahrheit, sie musste ausgesprochen werden - Offen, verbal und unmissverständlich. Auch wenn Hayen, der nun dreinblickte, als hätte man seine liebste Waffensammlung unwiderruflich ins weite Meer geworfen, nicht mit meiner Ansicht einverstanden zu sein schien. Ich wusste, dass er mir widersprechen und die Verantwortung für die vergangenen Geschehnisse übernehmen wollte, nahm es über unser unsichtbares Band wahr. Jedoch war die Wahrheit eine andere. Meine Wahrheit war, dass ich mich aus freien Stücken Ciaran angeschlossen und trotz des Wissens um die Identität der Anführerin der Drachenjäger dort in Warkom verblieben war. 
Diese Diskussion würde ins Leere gehen, das wussten wir beide. Nur hatte er den Vorteil, eine Stimme zum diskutieren zu besitzen, während ich mich bereits mit dem aufrechten Stehen schwertat. 
"Also schön", brummte er, sichtlich unzufrieden und winkte mit einer vagen Bewegung seiner Hand ein anderes Seerosenblatt vom Rande des Beckens heran, eines der magischen Lichter folgte sofort. Mehrere durchsichtige Glasphiolen und kleine Töpferschälchen balancierten darauf. Und kaum dass sie in greifbarer Nähe waren, verbreiteten sich die verschiedenen Düfte ätherischer Tinkturen um uns. "Wir sollten das da -", er wies mit seinem Kinn grob auf mich. Seine Stirn legte sich in Falten. "Dringend abwaschen."
"Was meinst du?" Mit gefurchten Brauen sah ich an mir herab. Noch immer war das Wasser leicht rosa verfärbt, aber sicherlich nicht mehr annähernd so intensiv wie noch wenige Minuten zuvor. Hayen sah von dem Rosenblatt zu mir und führte eine Hand an meine Wange, an meinem Ohr vorbei und zog schließlich eine meiner langen, dunkelbraunen Strähnen nach vorn. Naja, ehemals dunkelbraun und definitiv alles andere als seidig. Bei dem Anblick des nahezu verfilzten und verkrusteten Haares schauderte es mich und schnell tasteten meine Hände ebenfalls nach hinten. Flocken aus getrockneten Blut rieselten mir entgegen und lösten sich in Windeseile in den Wassertropfen, die noch an meinen Händen hafteten, auf. Das konnte doch nicht wahr sein ... 
Nachdem Hayen meine Reaktion aufmerksam beobachtet hatte, nickte er knapp und mit aufeinandergepressten Lippen. "Wir haben versucht, dich von dem groben", er zögerte einen Moment. "Von dem groben Schmutz so gut es ging zu befreien", fuhr er dann fort. "Allerdings sagte Philomena, dass wir - Also Kate und ich - dich während der Ohnmacht nicht zu viel bewegen sollten, damit deine Wunden heilen, und dein Schlaf dich genesen lassen konnte." Er griff nach der ersten, einer der größeren Flaschen, in welcher eine dickflüssige Tinktur lag. Sie hatte die Farbe von süßen Brombeeren und roch auch so, während Hayen sie sich in die Hände goss. Die feine Note von Vanille und Frühling wehte zudem mit und ließ mich kaum merklich aufatmen. Es war als wären meine Sinne plötzlich erweitert und als könnte ich selbst den fadenscheinigen Geruch von Glas wahrnehmen, auch wenn das natürlich nicht möglich sein konnte. 
"Und du möchtest mich jetzt waschen?", fragte ich und nachdem Hayen, der König aller Drachen und eines der mächtigsten Geschöpfe auf dem gesamten Kontinent mir mit ernster Grimasse und brombeerroten Fingern zustimmend nickte, da schmunzelte ich. "Meinst du nicht, dass ich das auch selbst kann?"
"Du sollst deine Arme nicht heben, wegen den Nähten an deinem Bauch und ...", Eine honigsüße Röte schlich sich über seine gebräunte Haut, während seine Finger mit der farbigen Substanz spielten. Es ließ ihn jünger aussehen, unsicherer und irgendwie ... süß.  "Und ich möchte das für dich tun." Er sprach die Worte nicht mit den Lippen aus, sondern über unser Band, dessen plötzliche intensive Anwesenheit mich spürbar verunsicherte, weil ich nicht wusste, weshalb wir das plötzlich konnten. Aber jetzt und in diesem Moment wollte ich nicht darüber nachdenken und konzentrierte mich nur auf ihn und die Gefühle, die er in mir hervorrief, während er wie ein unerschütterlicher Berg vor mir stand, mit nackter Brust, und mich anwies, ihm den Rücken zuzudrehen damit er mir meine in Mitleidenschaft gezogenen Haare waschen konnte. 
Ich gehorchte schließlich wie befohlen, grinste schweigend vor mich hin, während der süße Duft nach Beeren und Vanille sich allmählich in meinen Haaren ausbreitete. Als dunkelrote Schaumwölkchen über meine Schulter nach vorn über meine Brust flossen, ertappte ich mich dabei, den oberen Ansatz der vernähten Wunde zu sehen und hob schnell meinen Blick wieder, um mich noch nicht dem zu stellen, was auch immer dort zu sehen sein würde. Stattdessen konzentrierte ich mich auf die Farbe des Seifenschaums und die leise Ahnung der Menge des Blutes in den Längen meiner Haare trat mir ins Bewusstsein. Der Schaum war nicht nur rosa, als sich das trockene Blut in dem weißen Schaum verteilte. Er war genauso rot wie frisches, glänzendes, dunkles Blut, das auf meine Hände gespritzt war, nachdem Nakeena mir die Kehle durchgeschnitten und mir beinahe die Eingeweide aus dem Körper gerissen hatte. Ein Gefühl der Leere, eines der Distanz machte sich in meiner Brust breit, während ich die Schaumwölkchen während ihres Weges über meinen Körper mit zusammengekniffenen Augen beobachtete und Hayens Fingerspitzen meine Kopfhaut massierten. Er musste wissen, dass etwas in mir arbeitete, dass ich an die Geschehnisse in diesem verfluchten Sumpftempel dachte. Doch mit stoischer Präzision wusch er mir die Kopfhaut, wusch die Makel von mir und ließ das Grauen eine Erinnerung werden, während das heilende Wasser mein Blut und das des Ritualbeckens davonwusch. 
Ich wusste nicht wie viel Zeit vergangen war, als Hayens Hände auf meinen Schultern schwer zu ruhen kamen und er mich mit leiser Stimme anwies mich zurück in seine Arme zu lehnen, damit er den Seifenschaum auswaschen konnte. Irgendwie fühlte es sich seltsam und unangenehm an seiner Bitte folge zu leisten, mich zurück zu lehnen und einfach fallen zu lassen. Doch gerade als ich aufsah, den Blick an die Decke dieser höhlenartigen Kammer gewandt, erblickte ich das wohl fantastischste, was mir je untergekommen war - Das Meer, direkt über meinem Kopf. Fische in allen Farben und Größen schwammen zwischen Algen und rosa Korallen entlang. Ihre fächerartigen Flossen glitten elegant hinter ihnen her, während sie ihren Weg schwerelos und absolut magisch unmittelbar über unseren Köpfen fortsetzten. Sogar Haie schwammen vereinzelt mit ihren unendlich schwarzen Augen über uns entlang und gerade als eine kleine rot-braune Krabbe entlang getippelte kam realisierte ich, dass nur eine Art Glas uns vor dem unausweichlichem Ertrinken im Meerwasser bewahrte. Angst spürte ich dennoch keine, ich war bereits gestorben und dieser Anblick war selten, kostbar und wunderschön.
Während ich staunte bemerkte ich nicht einmal, dass Hayen mein Haar fertig gereinigt hatte, wir in meinem und in fremden Blut schwammen und sich das heilende Wasser über meiner Kehle ausgebreitet und nun auch dort ihr linderndes Werk schaffen konnte. 
"Wunderschön", krächzte ich, noch immer mit einem schmerzenden Beigeschmack, doch zufrieden, dass es wesentlich weniger unangenehm war. 
Hayen folgte meinem Blick und strich mit seinen Fingerspitzen über meine Wange, bevor er mir half mich wieder aufzurichten. "Wir sind hier tatsächlich bereits unter dem Meer", erklärte er ruhig und hielt mich an seiner Brust fest. Es störte mich nicht und trotz meines Schuldgefühls, lehnte ich mich an seine Schulter. "Aber dieser Ausblick ist Trahvor Himmelsspiegel geschuldet. Es war ein Geschenk an Philomena zu einem ihrer Hochzeitstage."
"Er hat ihr den Ausblick in das Meer geschenkt?", fragte ich staunend wieder über unsere Verbindung und sah von dem Ausguck zu Hayen. 
Dieser lächelte nun und die Erschöpfung in seinen Gesichtszügen hatte sich ein kleines Stück weit verzogen. "Wäre Philomena nicht diejenige, die sie ist, dann hätte er ihr vermutlich tatsächlich versucht ein Stück Meer zu schenken. Es sind die Gefühle eines Drachens für ihre Geliebten." Seine Worte waren über Philomena und Trahvor, das wusste ich. Allerdings erzählte ein einziger Blick in seine goldenen Augen, dass die Bedeutung hinter diesen Worten eine andere war. Ich schluckte und verdrängte das Stechen und Kratzen in meinem Hals, während ich ihn einfach nur für einen Augenblick wortlos ansah. 
"Du hast mir gefehlt, Hayen." Mein Herz machte einen kleinen nervösen Hüpfer, während meine Hände sich auf seine Taille legten. "Ich hätte dich nicht verlassen dürfen. Nicht auf diese Weise und niemals für einen so langen Zeitraum." Tiefgreifende Reue gehörte nun ebenfalls zu einer meiner Wahrheiten, die ich wohl noch einordnen musste.
Hayen blinzelte und seine Mundwinkel, die scheinbar für eine geraume Zeit nicht mehr allzu viel Bewegung bekommen hatten, zuckten in die Höhe. "Du hast mir auch gefehlt", erwiderte er und drückte mir einen keuchen, langen Kuss auf meinen tropfnassen Scheitel. 
Es war richtig an seiner Seite zu sein. Hier war ich beschützt und geliebt und meine Familie und meine Freunde waren ebenfalls hier und ... 
Ich trat einen Schritt zurück und blickte ihm wieder einmal in die Augen. Diesmal jedoch forschend, denn kaum dass ich an meine Freunde gedacht hatte, war ein Gefühl aus reiner Finsternis durch Hayen gezuckt. Es war kein Schmerz, kein Unbehagen. Es war nichts vergleichbares und ähnlich tief und vielschichtig wie der Berg oberhalb der Stadt Dragorea. Aber anders als bei ihm, konnte ich ihm nicht nach Lust und Laune im Kopf stöbern. 
Meine Augen verengten sich und ich trat noch einen Schritt zurück, ließ von ihm ab und ignorierte all das wässrige Blut, das um meine Brüste spielte. Wortlos forderte ich ihn auf etwas zu sagen, sich zu erklären, dieses ... Gefühl nach Mordlust zu rechtfertigen.
"Hayen...?", ich legte meinen Kopf leicht schief. Zum ersten Mal bemerkte ich das schmerzhafte Kratzen meines Kehlschnittes nicht. "Was ist?" Hayen schüttelte seinen Kopf. Jede Freude oder Heiterkeit und selbst die Erleichterung, dass es mir gelang zu sprechen, verblassten in ihm. Sichtlich frustriert fuhren seine gespreizten Finger durch die langen weißen Strähnen auf seinem Kopf und hinterließen dort wüste Nässe. Er wollte es nicht sagen, verschwieg mir etwas ganz bewusst, während meine Fingerspitzen Unterwasser wie wild zappelten und eine geisterhafte Briese um uns herum wehte. "Was ist passiert?!", wiederholte ich noch einmal wortlos, aber nicht weniger eindringlich und versuchte nicht auf ihn zuzugehen und den König der Drachen zu schütteln. 
"Liara", setzte er an, die Stimme heiser und gepresst, die großen Fäuste vor Zorn geballt. "Ciaran hat sie während deiner Rettung erschossen. Sie ist tot."


Hallihallo ihr Lieben,

Ich entschuldige meine anhaltende Abwesenheit :') Allerdings bin ich aus gegebenen Anlass derzeit in einem kleinen emotionalen Tief und muss gleichzeitig noch irgendwie meinen ganzen Papierkram hintereinander bekommen. Das Schreiben fehlt mir so extrem, zumal ich auch einfach so weit schon für die Story geplant habe, lol :'). Ich hoffe ihr könnte noch ein bisschen Geduld aufbringen, es geht definitiv weiter! 

Übersteht die Sommerhitze gut über einen kleinen Kommentar oder ein Sternchen würde ich mir sehr freuen!

Eure August <3

A Dragon's LoverWhere stories live. Discover now