S I E B E N

461 53 23
                                    

Am nächsten Tag beschäftigt mich das Telefonat mit Susann immer noch. Es belastet mich wirklich, denn ich nehme mir sowas sehr zu Herzen. Ich frage mich zum Beispiel sofort, ob ich irgendwas getan haben könnte, um sie zu verärgern oder ob ich sie in irgendeiner Weise nicht richtig behandelt habe. Solche Gedanken sind echt nicht gut und halten einen die ganze Nach wach, wenn man nicht aufpasst.

Es kostet mich wirklich Kraft, mich nicht in Gedankenspiralen dieser Art zu verlieren, aber irgendwie bekomme ich es trotzdem hin. Ich habe mich schon mehrmals mit der Sache auseinandergesetzt und mir will partout nichts einfallen, was ich falsch gemacht haben könnte. Wenn Susann irgendwas nicht passt, muss sie mir das sagen.

Natürlich ist es immer wichtig, dass man sein eigenes Verhalten reflektiert. Aber es ist nicht meine verdammte Aufgabe, wie eine Detektivin danach zu suchen, was Susann zu so einem komischen Tonfall verleitet haben könnte. Ich werde mich natürlich demnächst bei ihr melden und mich erkundigen wie es ihr geht und ob alles in Ordnung ist – aber was ihr gestern über die Leber gelaufen ist, muss sie mir schon von selbst sagen, das kann ich ihr nicht aus der Nase ziehen.

David hat mittlerweile auf meine Nachricht geantwortet. Er schreibt: »Das freut mich sehr! Wenn du Avocados auch so gerne magst wie ich, kann ich dir bei unserem Kaffee-Date ja ein Avocado-Sandwich ausgeben, wenn du möchtest. Wann passt es dir denn am besten?« Er hat noch einige Emojis hinzugefügt, was er bei seiner ersten Nachricht nicht getan hat. Mir ist das sehr sympathisch, denn ich liebe Emojis.

Ich antworte ihm: »Eigentlich bin ich sehr flexibel. Wie wär's mit morgen um zwei?«

Seine Antwort darauf lässt nicht lange auf sich warten: »Passt perfekt. Hast du einen bestimmten Ort, an den du gern hingehst, oder soll ich aussuchen?«

Prompt kommt mir Darcys und Gregs Café in den Sinn und ich schlucke. Tja, das ist jetzt leider tabu. Wenn ich wenigstens wüsste, ob es auch Tage gibt, an denen Silas nicht da ist? Ich könnte ja mal unauffällig an jedem Wochentag daran vorbeilaufen um durch die Glasfensterfronten zu gucken, ob er da ist und dann merke ich mir einfach die Tage, an denen ich ihn nicht gesehen habe...

Unwillkürlich wird mir klar, in was für eine komplett bescheuerte Richtung sich meine Gedanken eigentlich bewegt haben. Ich schüttle den Kopf. Das ist absolut absurd. Ich sollte nicht davon abhängig machen, ob Silas da ist, wie ich mein Lieblingscafé besuche. Natürlich war mein erster Impuls dort nie wieder aufzuschlagen – und auch jetzt gefällt mir die Vorstellung nicht besonders gut, hinzugehen – aber im Endeffekt sehe ich es nicht ein, mich von ihm aus der Ruhe bringen zu lassen. Das ist seit wirklich langer Zeit das Café, in welches ich am allerliebsten gehe. Der Ort, den ich aufgesucht habe, wenn ich eine Auszeit von meinem Alltag haben wollte, da, wo ich mir meinen Karamellkaffee hole. Es wäre schlicht dumm, nicht mehr hinzugehen, wegen einer peinlichen Situation mit dem Besitzer. Was soll's? Er hat es wahrscheinlich sowieso fast schon vergessen.

Natürlich werde ich mit David trotzdem nicht dahin gehen. Das wäre tatsächlich etwas... merkwürdig. Nein, ich möchte, dass der Ort unseres ersten Dates ein neutralerer ist. Also schreibe ich: »Such du doch aus. Gerne auch etwas, wo es Avocado-Sandwiches gibt.«

...

Ich habe meinen Eltern erzählt, dass ich heute auf ein Date gehen werde.

Die Nacht habe ich überraschend gut geschlafen, obwohl ich natürlich ein bisschen aufgeregt bin. Ich habe ihnen den Standort des Cafés geschickt, in welchem David und ich uns treffen werden und die Uhrzeit dazu. Einfach als kleine Sicherheitsmaßnahme.

Das Café ist etwa zwanzig Minuten Busfahrt von meiner Wohnung entfernt. Als ich auf die Uhr schaue, bekomme ich einen leichten Schreck. Mir war gar nicht bewusst, dass es bereits halb Zwölf ist.

Da ich nicht mehr so viel Zeit habe, wie ich dachte, muss ich mich ein wenig beeilen, was die Auswahl meines Outfits angeht. Nachdem ich mich geduscht habe, haste ich zu meinem Kleiderschrank und reiße ihn auf. Ich entscheide mich für eine schwarze Leggings aus mattem Stoff, die unten weit ausfällt. Dazu ziehe ich einen locker sitzenden, fliederfarbenen Rollkragenpulli an. Ich lege ein paar moderner Perlenohrringe an und kämme dann meine Haare.

Kurz später stehe ich vor meinem Badezimmerspiegel und starre unentschlossen mein Spiegelbild an. Wie soll ich mich heute schminken? Klassisch und dezent oder ausgefallen?

Ich komme zu dem Schluss, dass eine Mischung aus beidem heute nicht schlecht wäre. Ich habe mich, was Wangen und Augen betrifft, an schimmernde pfirsichfarbene Töne gehalten, die sehr schön mit dem hellen Lila meines Pullis harmonieren. Das dunkelbraune Cat-Eye, das ich mir dazu aufmale, geht heute glücklicherweise schnell.

Zügig packe ich meine Sachen zusammen, ziehe mir Jacke und Schuhe über und mache mich auf den Weg.

Gott sei Dank hat mein Bus keine Verspätung, sodass ich sogar ein bisschen zu früh da bin. Ich suche mir einen Platz am Fenster aus und lege schon einmal meine Sachen ab.

Ich behalte mit leichtem Herzklopfen den Eingang im Blick. Ich hoffe wirklich, dass David auch in echt so nett ist, wie er beim Chatten schien. Ich werfe einen Blick auf mein Handy. Es ist gerade zwei geworden.

Ich blicke wieder auf und sehe, wie ein Mann genau in diesem Moment das Café betritt. Ich meine, dass es David ist. Als er den Kopf in meine Richtung dreht, kann ich es sicher sagen. Mit einem zaghaften Lächeln winke ich ihm zu. Seine Miene hellt sich auf und er kommt schnellen Schrittes zu mir.

»Hallo, schön dich zu sehen! Ich hoffe, du wartest noch nicht zu lange?«

Ich stehe auf, um ihm die Hand zu schütteln. »Nein, keine Sorge, ich bin auch gerade erst angekommen.«

Er deutet zum Tresen. »Wollen wir uns gleich was holen?« Ich bejahe.

Nachdem wir uns zusammen einen Zitronenkuchen, ein Avocado-Sandwich und jeweils einen Kaffee Crema genommen haben, setzen wir uns hin.

Seine blauen Augen leuchten, als er mich angrinst. »Ich freue mich sehr, dass wir beide es hierhergeschafft haben.« Wir lachen kurz. »Ich würde ja sagen ›Erzähl mir etwas von dir‹, aber das ist etwas abgegriffen. Hast du einen Vorschlag, wie man so ein Date besser startet?«

Er hat einen tollen Humor, was schon mal ein gutes Zeichen ist. Ich zucke lächelnd die Schultern. »Wie wäre es mit einem Gespräch über das Wetter?«

»Klingt sehr originell, gefällt mir!« Wir lachen erneut.

Ich muss an Tim denken und wie respektlos er mit mir umgegangen ist. Mir kommt das Date mit David jetzt schon zehn mal vielversprechender vor. Ich habe ein wirklich gutes Gefühl, was den heutigen Nachmittag angeht und das macht mich echt glücklich. 

HerzschaumWhere stories live. Discover now