E I N U N D Z W A N Z I G

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»Ich mag dich, Romy«, sagt er schließlich schlicht. Bevor ich mich in irgendeiner Form dazu äußern kann, spricht er weiter: »›Mögen‹ ist eigentlich eine Untertreibung. Ich bin so verflucht verschossen in dich, dass es sehr merkwürdige Sachen mit meiner Atmung und meinem Herzschlag anstellt. Es fühlt sich nicht wirklich gesund an, aber hey, was weiß ich schon.« Nach dieser Stakkato-artigen Wortflut stößt er den Atem aus und fährt sich durch die schwarzen Haare. Auf seinen Wangen haben sich zwei sehr intensive rote Flecken gebildet, die fast schon ins Violette gehen.

Mir gehen tausend Gedanken gleichzeitig durch den Kopf. Zum Beispiel, dass ich es absolut nicht erwartet habe, dass Silas meine Gefühle erwidern könnte. Oder, dass ich ihm am liebsten in die Arme springen will. Ich denke auch daran, dass ich trotz allem noch ein komisches Gefühl habe, da es so wirkt, als würde er mir noch etwas wichtiges vorenthalten – und ich soll recht behalten.

Bevor ich meine Gedanken auch nur annähernd ordnen kann, gibt er einem eventuellen ›uns‹ mit seinen nächsten Worten den Todesstoß. »Aber das geht nicht, das mit dir und mir. Es ist zurzeit einfach nicht möglich. Deshalb habe ich versucht, mir nichts anmerken zu lassen. Hat ja super geklappt.« Er schnaubt bitter.

»Warum geht es nicht?«, will ich wissen und kann dabei die Verzweiflung und winzige Prise Wut nicht zurückhalten. »Warum um alles in der Welt muss es so kompliziert sein?«, füge ich noch hinzu. Silas lässt den Kopf hängen.

»Ich hatte eine... echt sehr schwere Zeit hinter mir. Das wäre dir gegenüber einfach nicht fair.«

»Was genau meinst du?«

»Ich meine damit, dass ich noch eine Weile heilen muss. Ich bin zurzeit nicht in der Lage, dir das zu geben, was du verdient hast.« Mein Herz sinkt mir bis in die Kniekehlen. Zumindest fühlt es sich so an. Silas blinzelt und dreht sich dann mit schief gelegtem Kopf zu mir, die Brauen zusammengezogen. »Was ist eigentlich mit diesem David? Läuft das noch?«

Niedergeschlagen schüttle ich wie in Zeitlupe den Kopf. »Nein. Hat sich einfach nicht richtig angefühlt, obwohl er ein guter Kerl ist.«

»Verstehe.«

Eine Weile schweigen wir uns an. Irgendwo höre ich eine Eule. Im Laub neben uns raschelt es leise. Vermutlich streunen da irgendwelche Ratten umher. Ich will es gar nicht so genau wissen.

»Es tut mir leid, Romy.«

»Hör auf, dich zu entschuldigen!«, zische ich wütend und kann dabei meine eigene Stimme kaum wieder erkennen. Normalerweise würde ich jetzt ›Sorry‹ sagen, doch dafür fehlt mir schlicht die Kraft. Außerdem bin ich im Moment wirklich sauer und enttäuscht, es wäre einfach nicht ehrlich.

Ich seufze. »Okay, also... war's das dann? Mit uns?«

Silas seufzt ebenfalls. »Ich schätze, ja. Zumindest momentan. Aber ich kann und will nicht von dir verlangen, auf mich zu warten. Das wäre nicht richtig.«

»Da hast du recht. Ich würde das auch nicht wollen.«

Eine merkwürdige Energie macht sich zwischen uns breit. Eine dickflüssige, erstickende Art der Stille wabert um uns, wie undurchdringlicher Nebel am Morgen. Es ist alles gesagt und doch fühlt es sich so unfertig an, das zwischen uns. Einerseits ist es endgültig, andererseits schwirrt immer noch das, was hätte sein können, in der Luft.

»Okay, dann–«

»Deinen Computer kann ich natürlich trotzdem reparieren.«

»Nein, du musst nicht–«

»Doch, ich möchte das. Wenn es dir unangenehm ist, können wir ihn auch abbauen und ich nehme ihn mit zu mir nach Hause. Es gibt da sowieso noch etwas, das ich dir gestehen muss.«

Ich horche auf. »Okay? Was gibt es?«, frage ich gedehnt. Silas bekommt wieder zwei sehr dunkelrote Flecken auf den Wangen, die sich bis zu seinem Hals ausbreiten.

»Also... dein Computer ist eigentlich gar nicht so kaputt. Im Grunde genommen müsste man nur deine Grafikkarte austauschen.«

Ich bin so perplex, dass ich nichts anderes herausbekomme als: »Warte... was?« Mein Kopf fühlt sich ohnehin schon so an, als wäre er bis zum Rand mit Zuckerwatte vollgestopft worden.

»Ich habe eigentlich schon bei unserem ersten Treffen wegen des Rechners rausfinden können, dass die Grafikkarte das Problem ist. Das ist nicht weiter kompliziert und auch kein besonders seltenes Problem.«

Ich schüttle kurz den Kopf, um mich zu sammeln. »Gut, aber was hattest du davon, mich anzulügen?« Plötzlich wirkt er noch verlegener. Er reibt sich über das Kinn und in der Stille höre ich das leise Geräusch, das durch die Reibung zwischen Haut und Bartstoppeln entsteht.

»Naja, äh, ich wollte Zeit mit dir verbringen. Ich wusste mir nicht anders zu helfen damals, aber mir ist schon klar, dass das nicht gerade die feinste Art war.«

Im Normalfall hätte ich meine Frage vielleicht gar nicht stellen müssen und mir schon viel schneller erschließen können, dass er wegen des Computers gelogen hat, um in meiner Nähe zu sein. Doch gerade würde ich vermutlich sogar am kleinen Einmaleins scheitern. In meinem Hirn türmen sich die Fragen wie unaufgeräumte Bücherstapel auf dem Teppichboden der Bibliothek im Ort.

»Das ist alles so verwirrend«, murmle ich komplett überfordert.

»Ja, das ist es«, stimmt Silas leise zu. Dann fügt er lauter hinzu: »Es tut mir echt sehr leid. Das wollte ich nochmal sagen, auch wenn du es gerade vielleicht gar nicht hören willst. Aber es ist mir wichtig, dass du das weißt. Ich wollte dir nie was schlechtes. Ich bin einfach nur ein Wrack, das sein Leben nicht auf die Reihe kriegt. Du solltest nicht darunter leiden müssen.«

»Silas... warum denkst du sowas? Dass du ein Wrack bist?«

Er fährt sich gestresst durch die Haare. »Wie gesagt, ich habe ein paar sehr einschneidende, schlechte Erfahrungen in meiner letzten Beziehung gemacht. Mein Bruder ist gestorben. Ich bin... nicht mehr derselbe wie vorher. Ich bin beschädigte Ware.«

Plötzlich habe ich das Bild der jungen, schönen Frau mit den stechenden Augen aus dem Café wieder vor Augen. Am liebsten würde ich Silas bei den Schultern packen und ihn so lange schütteln, bis er versteht, dass er keine beschädigte Ware ist, verdammt nochmal.

Doch alles was ich tun kann, ist stocksteif dabei zusehen, wie er sich langsam erhebt und auf mich herunterblickt. Ich bin nicht dazu in der Lage, Sätze zu formulieren. Stumm erwidere ich seinen Blick, lasse mir von ihm aufhelfen, lasse mich von ihm zu Haustür begleiten und blicke ihm anschließend hinterher, wie er ohne ein Wort des Abschieds geht.

HerzschaumWhere stories live. Discover now