Kapitel 27 - Der restliche freie Tag

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Danach hatten wir tatsächlich frei – als einzigen Nachtmittag in der Woche. Hermine verschwand natürlich sofort nach dem Essen in der Bibliothek. Ich beschloss, dass ich mal wieder etwas Zeit nur für mich haben wollte. Ich lief noch mit Harry und Ron in den Gemeinschaftsraum und brachte meine Tasche in meinen Schlafsaal. Dann schnappte ich mir einen Bogen Briefpapier und einen Kugelschreiber – ich hatte daran gedacht und welche von zu Hause mitgenommen. Im Gemeinschaftsraum verabschiedete ich mich von den Jungs und suchte mir den Weg hinaus aus dem Schloss. Das Wetter war einigermaßen angenehm; Es war nicht nass und die Kälte war auszuhalten. Ich lief bis zum großen See und setzte mich dort ins Gras. Seufzend blickte ich in den Himmel. Ich war fest entschlossen einen Brief zu schreiben, ich wusste nur nicht an wen. Vielleicht an meinen Vater? Aber würde er den Brief überhaupt lesen? Oder antworten? Und wie sollte ich ihm den Brief schicken? Eulenpost fände er bestimmt komisch. Seufzend blickte ich auf das Papier und klickte mit dem Kugelschreiber. Fürs Erste würde ich Mrs Weasley schreiben.

Guten Tag Mrs Weasley!

Hier in Hogwarts ist es wirklich überwältigend. Alles ist so groß und neu für mich, aber ich bekomme das alles schon ganz gut auf die Reihe. Vorhin habe ich sogar den Weg vom Gryffindor-Gemeinschaftsraum hinunter in die Eingangshalle gefunden. Ron und Harry haben ja immer erzählt, wie schrecklich Snape ist, aber er scheint mich zu mögen. Zumindest hat er mich heute als gute Brauerin dargestellt. Und ich kann Runen lesen! Also wirklich lesen. Ich schaue sie an und weiß, was sie bedeuten. Ich hoffe es geht auch Mr Weasley gut, grüßen Sie ihn doch bitte von mir. Und meinetwegen auch Percy. Eine Frage hätte ich da noch: Wäre es möglich, dass ich Ihnen Briefe für meinen Vater schicke, die Sie dann aufs Postamt bringen? Ich denke nämlich, mein Vater wäre nicht sehr gut auf Eulenpost zu sprechen.

Liebe Grüße, Flora

Ich faltete den Brief zusammen, steckte ihn in einen Umschlag und schrieb Mrs Weasleys Namen und Adresse darauf. Schnell stand ich auf und sah mich auf dem Gelände um. Hier irgendwo war doch der Eulenturm mit den Schuleulen. Ich entdeckte ihn und lief los. Schon unten an der Treppe hörte ich das Gekreische. Der Weg war voll mit Kot und ich musste aufpassen, dass ich nicht ausrutschte. Schließlich kam ich oben bei den Eulen an und blickte mich um. „Welche von euch ist jetzt eine Schuleule?“, murmelte ich. Da schwebte ein brauner Kauz auf mich zu und hockte sich neben mich auf die Mauer. Er klackerte mich an. Zaghaft fuhr ich ihm über den Kopf und er schien es zu genießen. „Tut mir leid, aber ich hab leider keinen Keks für dich. Bringst du trotzdem den Brief hier zu Mrs Weasley in den Fuchsbau?“, fragte ich und hielt ihm den Brief hin. Er schuhute, nahm den Brief in den Schnabel und hob ab. „Dankeschön!“, rief ich ihm hinterher. Dann lief ich wieder nach unten. Ein Blick in den Himmel zeigte mir, dass es schon spät geworden war. Vielleicht gab es schon Abendessen.

Und ich hatte recht. Als ich die Eingangshalle betrat, vernahm ich laute Stimmen aus der Großen Halle. Schnell lief ich hinein und hielt Ausschau am Gryffindor-Tisch. Dort entdeckte ich Harry, Ron und Hermine und gesellte mich zu den dreien. Das Abendessen verlief ruhig und schon waren wir wieder im Gemeinschaftsraum.

Hermine und ich arbeiteten bereits an dem Aufsatz für Zaubertränke, als das Portraitloch sich öffnete und Neville hereingestolpert kam. Er zitterte am ganzen Körper und wischte seine Hände immer wieder an einem Tuch ab. Noch dazu war er schneeweiß im Gesicht. „Neville? Alles klar?“, fragte ich ihn. Er blieb kurz neben Hermine und mir stehen. „S-Snape hat mich K-K-Kröten ausnehmen lassen.“ Neville würgte. „Ich bekomme es einfach nicht unter meinen Fingernägeln weg. Ich hab meine Hände schon fünfmal gewaschen“, jammerte er. „Ich wüsste da einen Zauber, der dir helfen könnte“, sprach Hermine und zog einen weiteren Stuhl heran. Neville setzte sich und ich war wirklich froh darüber, hatte er doch so ausgesehen, als würde er jeden Moment zusammenbrechen. „Das ist ganz einfach. Zuerst solltest du es mit Tergeo versuchen. Der ist zur schonenden Reinigung da. Wenn dann immer noch was übrig ist, nimmst du Ratzeputz. Da musst du aber aufpassen, dass du das nicht zu stark machst. Sonst reißt es dir am Ende noch die Fingernägel aus oder so.“ Neville schluckte hörbar und sein Gesicht wurde noch blasser, obwohl ich eigentlich gedacht hatte, dass das gar nicht mehr möglich war. „Lass mich mal machen, ich kann ganz gut zaubern“, schlug ich vor und zückte meinen Zauberstab. „B-Bist du dir sicher?“, fragte Neville und schielte auf meinen Zauberstab. „Na klar.“ „Lass Flora ruhig zaubern. Sie kann das richtig gut. Glaub mir“, nickte Hermine. „Na gut“, murmelte Neville und streckte mir seine Hände entgegen. Ich deutete mit meinem Zauberstab auf seine Finger und murmelte: „Tergeo.“ Augenblicklich verschwand der Schmutz unter Nevilles Fingernägeln. Erstaunt sah der Junge auf seine Finger. Dann strahlte er mich an. „Danke, Flora!“, rief er, sprang auf und verschwand.

„Hey Flora!“, schallte im nächsten Moment ein Ruf zu uns hinüber. Ich wandte mich Ron zu, der mit Harry auf dem Sofa in unserer Nähe saß. „Könntest du Snape nicht in eine Kröte verwandeln? Nur ganz kurz. Oder auch für länger“, fragte er. „Was? Vergiss es, Ron! Ich glaube du spinnst“, antwortete ich. „Einen Versuch war’s wert.“ Ron wandte sich wieder ab und unterhielt sich weiter mit Harry. Ich steckte meinen Zauberstab weg und schnappte mir wieder meine Feder. Grinsend schaute ich zu Hermine, die nur missbilligend den Kopf schüttelte. „Gib’s zu, du würdest das auch gerne sehen“, flüsterte ich ihr zu. Sie schnaubte. „Snape ist zwar wirklich fies, aber er ist unser Lehrer“, antwortete sie bloß und beugte sich über ihren Aufsatz. Ich stellte mir vor, wie ich Snape in eine Kröte verwandeln würde. Er wurde zu einer fetten schwarzen Kröte, die mich dümmlich anquakte. Dann ließ ich sie im Kerker umherschweben. Ich musste kichern. Ich konnte schon ganz schön fies werden. „Bitte sag mir, dass du dir das nicht ernsthaft überlegst“, wischte Hermines Stimme durch meine Träumerei. Ich schüttelte meinen Kopf. „Nein, ich würde sowas niemals machen! Ich will es mir ja nicht mit Snape verscherzen, der scheint mich ja ganz gut leiden zu können.“

Ich wandte mich ebenfalls wieder meinem Aufsatz zu. Kurz schlug ich etwas in unserem Buch nach, dann schrieb ich weiter. Es wurde später, mein Aufsatz wurde länger. Die jüngeren Schüler verschwanden schon in ihre Schlafsäle. Dann endlich kam ich zu meinem Fazit und setzte den letzten Punkt. „Fertig“, sagten Hermine und ich gleichzeitig. Kurz blickten wir uns an, ehe wir anfingen zu lachen. „Räumen wir die Sachen nach oben“, meinte Hermine, als wir uns wieder einigermaßen beruhigt hatten. „Dann bleibe ich gleich oben“, beschloss ich. „Ich auch“, stimmte Hermine mir zu. Wir räumten unsere Sachen zusammen, wünschten den Jungs eine gute Nacht und stiegen die Treppen zu unserem Schlafsaal hinauf.

Dort verstaute ich alles und griff dann nach dem Notizbuch aus der Winkelgasse. Heute wollte ich unbedingt meinen ersten Tagebucheintrag verfassen. Während Hermine sich schon bettfertig machte, setzte ich mich mit dem Notizbuch, meiner Schreibfeder und einem Tintenfässchen an den Schreibtisch hier oben. Langsam legte ich meinen Daumen auf das magische Schloss. Es leuchtete auf und klickte. Schon sprang es auf und ich konnte das Buch öffnen. Ich tunkte die Feder in die Tinte und verharrte über dem Papier. „Gute Nacht, Flora“, vernahm ich Hermines Stimme hinter mir. Ich drehte mich zu ihr um und lächelte sie an. „Gute Nacht, Hermine.“ „Gehst du noch nicht schlafen?“, fragte sie. „Nein, ich will noch etwas meine Gedanken sortieren.“ Hermine nickte und lächelte leicht. Dann verschwand sie in ihrem Bett.

Ich drehte mich wieder um, dachte noch einmal kurz nach und schrieb dann alles auf, was sich in den letzten Tagen ereignet hatte, angefangen von der Eule der Weasleys in meinem Garten bis hin zu meinem gelungenen Sauberkeitszauber heute. Als ich die Feder absetzte, war es bestimmt schon nach Mitternacht. Irgendwann waren Lavender und Parvati in den Schlafsaal gekommen, was ich aber nur am Rande registriert hatte. Nun verschloss ich das Notizbuch wieder gewissenhaft und verstaute es in meinem Koffer. Vorsichtshalber legte ich noch einen Pullover darüber, ehe ich den Koffer leise schloss und unter mein Bett schob. Geschafft zog ich mich im Bad um, putzte schnell meine Zähne und legte mich ins Bett. Binnen weniger Sekunden war ich tief und fest eingeschlafen.

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