XXXVII - Ein besserer Morgen

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Jahr 349 nach dem Götterkrieg, Spätsommer

Rúnknǫttr, Titanengrab


Kein Sonnenstrahl fiel auf ihr Gesicht. Kein Stern würde je den Himmel zieren. Der Mond nicht wachsen und schwinden. Mit offenen Augen stand sie da und sah dennoch nichts. Die Dunkelheit vor dem Sein. Allumfassend. Eine nette Metapher für diesen Ort; aus der Schöpfungsgeschichte. Doch verstand Iora, dass es kein "Sein" geben würde. Sie würde erwachen, wenn die Schatten es für angebracht hielten und wenn sie es nicht taten... Nun... Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinab.

Noch immer fühlte sie sich beobachtet - Augen, die sie selbst nicht sehen konnte - und doch schlug ihr diesmal mehr als nur Hass und Verachtung entgegen. Etwas hatte sich geändert. Da war Neugier; eine Frage fast. Jedoch nicht deutlich genug, um eine Antwort zu geben. So stand sie dort, ihre Seele nackt vor den Schatten, denen sie gehörte. Sie umrundeten sie. Suchten selbst nach der Antwort auf die Frage, die Iora nicht kannte. Sie fanden etwas, das ihr Interesse weckte. Nahmen es aus ihr heraus und ihr war, als würde eines ihrer Organe aus ihrem Körper gezerrt. Kalte Finger umschlossen es. Eine jede Berührung wie Salz in einer offenen Wunde. Langsam, aber methodisch drehten und wendeten sie es, bis es sich vom Bindegewebe ihrer Seele löste. Ein Fremdkörper in ihr und dennoch über Nerven und Gefäße verbunden.

Iora stand da, ein jeder Muskel in ihrem Körper gespannt, der Mund weit aufgerissen. Und doch stumm. Schweiß auf ihrer Stirn.

Und so spürte sie, wie es ihren Körper verließ, als nach und nach riss, was es mit ihr Verband und andere Teile ihres Selbst träge begannen, in den Hohlraum in ihr zu fließen und ihn zu füllen. Sie brach zusammen. Auf Händen und Knien kauerte sie auf dem kalten Stein.

Kein Mitleid. Sie hatten erwartet, dass es so passieren würde. Ihr ehemaliges Selbst wurde abgewogen, für uninteressant befunden und achtlos tiefer in die Schatten geworfen. Sie suchten weiter. Bis sie wieder etwas fanden. Ein Finger strich darüber und ein Schnitt brannte sich in sie, in einen formlosen Teil von ihr. Ihre Muskeln zuckten. Zogen an ihr. Zogen sie zusammen. Sie lag da, atmete schwer und betete, dass es bald vorbei wäre. Doch die Schatten hatten gefunden, was sie wollten. Ihre Blicke nahmen sie auseinander und legten offen, was sie in sich vergraben wollte. Und sie nahmen es und gaben ihr mehr. Es war, als würde ein Hufnagel langsam, aber unaufhaltsam zwischen ihre siebte und achte Rippe getrieben. Es riss ein Loch in ihre Haut und bohrte sich durch ihr Fleisch. Es schabte an Knochen und es irritierte ihre Eingeweide. Es war eine Hand voll Sand und Glas. Und als sie fertig waren, blieb von ihr nichts als wimmerndes, wundes Fleisch, das sich wünschte, es wäre alles vorbei.

Und dann flammte Hass.

In ihrer Brust, in ihrer Stirn, in ihren Händen.

Sie sah das flammende Siegel auf ihrer Seele und sie verstand.


Kein Sonnenstrahl fiel auf ihr Gesicht. In der Stadt im Stein gab es kein Sonnenlicht. Dennoch wurde sie wach. Gegen ihren Willen. Sie und die Decke bildeten einen Knoten, der ihr unmöglich zu lösen schien. Sie hob den Arm, um sie irgendwie daraus zu befreien, und er fühlte es schwer wie Stein. Um ehrlich zu sein, fühlte sich ihr ganzer Körper wie ein Felsen, der gerade einen Berg hinab gerollt war. Unbeweglich, geschunden und fehl am Platz. Sie kämpfte sich in eine sitzende Position und hätte sich am liebsten wieder hingelegt. Mit jedem Herzschlag in ihrer Brust schlug auch ihr Hirn gegen die Innenseite ihres Schädels, als wolle es sich einen Weg nach draußen kämpfen. Sie hätte ihm gern nachgegeben.

Iora schwang das erste Bein über die Kante des Bettes. Die Decke - noch immer darum gewickelt - folgte. Ein tiefer Atemzug. Noch einer. Dann das zweite Bein. Ihr Mund fühlte sich widerlich an. Sie wollte Wasser. Irgendetwas roch nach Erbrochenem. Ihr Hirn hämmerte sich noch immer seinen Weg nach draußen. Draußen ging jemand an ihrem Zimmer vorbei. Leise Schritte auf dem abgetretenen Teppich. Die Decke rutschte langsam ihr Bein hinab. Es waren zu viele Eindrücke und sie fühlte sich nicht in der Lage, auch nur einen einzelnen zu verarbeiten.

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