Kapitel 1

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Gehetzt fuhr sie mit ihrem Fahrrad die Straße entlang. Sie hatte gleich Tanztraining und war schon spät dran. Sie sauste um die nächste Kurve und wäre fast von einem Auto gerammt worden. Verärgert blieb sie stehen und sah ihm nach. So schicke Autos sah man nicht oft hier im Ort. Doch dann wanderten ihre Gedanken wieder zum Tanzen und sie trat wieder in die Pedale. Fünf Minuten später kam sie am Studio an und rannte ins Innere. „Da bist du ja endlich!“ Ihr Trainer Francesco und Teddy standen schon da und warteten auf sie. „Wir haben noch so viel zu tun! Leg deine Sachen an den Rand, damit wir anfangen können.“ Schnell folgte sie seinen Anweisungen und begab sich mit Teddy in Tanzhaltung. „Zuerst eine Runde Tango. Ich hoffe, ihr habt auch wirklich geübt.“ Er startete die Musik und zusammen begannen die beiden Jugendlichen die Schritte auszuführen. Sie glitten nur so über das Paket und es schien, als sei Francesco endlich zufrieden. „Ja, das sieht schon besser aus. Teddy, du musst sie noch mehr führen. Woher soll sie sonst wissen, was du willst?“ Teddy lief feuerrot an und Evelyn konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. „Nochmal, ich will, dass das perfekt wird. Der Tango ist sehr wichtig beim Wettbewerb.“ Ja, der Wettbewerb. Vor wenigen Monaten hatten sie sich auf einen Platz bei den britischen Tanzmeisterschaften beworben und waren tatsächlich genommen worden. Seitdem trainierten sie in jeder freien Minute. Es ging über mehrere Wochen und Runden, bis sie hoffentlich ins Finale kamen. Austragungsort war London, was einer der Gründe war, weshalb sie froh waren, dass sie endlich mit der Schule waren. Mit siebzehn und achtzehn hatten sie ihren Abschluss mit Bestnoten abgeschlossen. Während die jüngeren Klassen noch Unterricht hatten, genossen sie schon den Sommer.
Als sie Nachmittags um vier mit dem Training fertig waren, stieg Evelyn auf ihr Fahrrad und machte sich gemächlich auf den Weg Nachhause. Seit elf Jahren lebte sie nun schon in dem kleinen Fachwerkhaus bei Edith und James. Ihre Mutter war bei einem Unfall gestorben und man hatte sie hierher gebracht. Bei ihrem Vater hatte sie scheinbar nicht bleiben können. Sie hatte nie nachgefragt. Aber sie erinnerte sich auch an zu wenig. Teddy lief neben ihrem Fahrrad her und erzählte, was er in London unbedingt ansehen wollte. „…und stell dir mal vor wie krass es wäre, den Palast zu sehen. Da leben einfach echte Royals.“ Sie lachte, als sie sein begeistertes Gesicht sah. Seit Evelyn in seine Klasse gekommen war, waren sie unzertrennlich, Beste Freunde auf Lebenszeit.“ „Ich glaube nicht, dass die so krass sind. Sind doch auch nur Menschen.“ „Freust du dich nicht auf London?“ „Schon, aber mehr wegen dem Tanzen. Hast du gehört, es sollen auch Trainer von Tanzakademien da sein. Stell dir vor, sie nehmen uns auf. Ich wollte schon immer das Tanzen zu meinem Beruf machen.“ „Natürlich wäre das cool, aber ich glaube nicht, dass wir schon gut genug sind.“ An der nächsten Ecke mussten sie sich verabschieden und Evelyn fuhr die letzten Meter in einem flotten Tempo. Doch als sie ein fremdes Auto in der Einfahrt stehen sah, blieb sie verwundert stehen.
Das war doch das Auto, dass sie vorhin fast über den Haufen gefahren hätte. Sie stellte das Rad in die Garage und schloss die Eingangstür auf. Sie wollte in die Küche gehen, doch James fing sie auf halbem Weg im Flur ab. „Hey, James. Alles in Ordnung? Wem gehört das Auto vor unserer Tür?“ „Es ist alles gut. Gehst du bitte hoch auf dein Zimmer? Ich hol dich dann zum Essen runter, ok?“ „Ok“, verwirrt steig Evelyn die Stufen zu ihrem Zimmer hoch. Dort lies sie ihre Tasche auf den Boden fallen und trat auf den Balkon. Die Sonne stand noch hoch am Himmel und schien ihr ins Gesicht. Sie nahm einen Schluck Wasser aus ihrer Tasche, bevor sie sich duschen ging. Der Schweiß vom Tanzen klebte noch an ihr und ihren Sportklamotten. Eine halbe Stunde später saß sie in schwarzen Shorts und einem schwarzen Top in ihrer Hängematte und las einen neuen Fantasy Roman. Ihre Haare hingen ihr noch nass über die Schultern. Gespannt blätterte sie die nächste Seite um, als sie unten die Haustür zuschlagen hörte. Neugierig lunzte sie über den Rand.
Sie saß einen jungen Mann und eine junge, brünette Frau in das Auto einsteigen und wegfahren.  Was sie wohl von Edith und James gewollt hatten? Sie wandte sich wieder ihrem Buch zu und wartete darauf, dass James sie zum Essen holte. Doch er kam nicht. Er hatte sie doch nicht etwa vergessen?
Um neun packte sie ein paar Sachen in einen Beutel und schlich die Stufen nach unten. Sie hörte Edith und James im Wohnzimmer diskutieren. Sie schrieb ihnen eine kurze Notiz und huschte dann nach draußen. Sie schnappte sich ihr Fahrrad und fuhr zu Teddy.
Seine Mutter öffnete ihr die Tür und umarmte sie herzlich. „Evelyn, wie schön dich mal wieder zu sehen. Euch zwei sieht man ja nicht mehr, wenn man nicht zu euch ins Studio kommt.“ Lachend folgte sie ihr in die Küche wo der Rest der Familie bei Abendessen saß. „Möchtest du mitessen, Liebes? Es ist genug da.“ „Gerne. James und Edith haben noch viel zu tun.“ „Ist denn alles in Ordnung?“ „Ich denke schon, aber ich wollte ihnen nicht auf die Pelle rücken.“
Nach dem Essen fuhren Teddy und sie mit den Rädern ins Zentrum, um noch ein Eis zu essen. Es war nicht viel los, so wie immer. Es war einfach ein sehr kleines Städtchen. Sie alberten auf der Promenade herum und aßen ihr Eis. Irgendwann kamen sie an einer kleinen Straßenband vorbei. Sie spielten ganz gut und plötzlich hielt Teddy ihr die Hand hin. „Lass uns tanzen!“ Grinsend lies sie sich darauf ein. Er begann sie durch einen schnellen Cha-Cha-Cha zu führen. Eine kleine Traube Menschen hatte sich um sie versammelt. Als das Lied wechselte, gingen sie fliesend zu Foxtrott über. Dann noch eine Runde Disco Fox und dann noch Rumba. Mit einer eleganten Drehung beendeten sie die Vorführung. Evelyn machte einen leichten Knicks Richtung Publikum, dann zu Teddy, der das selbe mit einer Verbeugung machte. Dann harkte sie sich bei ihm unter und sie machten sie auf den Rückweg zu ihren Rädern. Als sie wieder Zuhause ankam, schliefen Edith und James schon. Leise ging sie nach oben und stieg ins Bett. Sofort driftete sie in den Schlaf ab.

Die Bucket-List meiner MutterOnde histórias criam vida. Descubra agora