Kapitel 9

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Zwei Tage später war Evelyn bewaffnet mit Gummistiefeln und Wechselklamotten auf dem Weg zu einer Umweltaktion, die Plastik aus Gewässern und dem umliegenden Gelände sammelte. Sie musste sich nicht anmelden und hatte spontan beschlossen zu helfen. Ihr Vater und Camilla waren bei einer Einweihung eines Museums, sodass sie niemandem Bescheid sagen musste. Als sie am Treffpunkt ankam, waren schon einige da. „Hi, bist du auch da um zu helfen?“ Ein Mädchen etwa in ihrem Alter kam auf die zu. „Hi. Ja, weißt du wo man sich melden muss?“ „Klar, komm. Da vorne bekommst einen Müllsack, Zange und Handschuhe. Bist du das erste Mal dabei?“ „Ja, ich wohne erst ein paar Wochen in London. Ich heiße übrigens Evelyn.“ „Maja, freut mich.“ Sie bekam ihre Sachen und sie machten sich gemeinsam auf den Weg. „Wo hast du gewohnt bevor du nach London gezogen bist?“ „Wales. Aber weil ich im Januar meine Tanzausbildung anfange, bin ich von meinen Pflegeeltern zu meinem Vater und seiner Frau gezogen.“ „Was ist mit deiner Mutter?“ „Sie ist gestorben als ich noch sehr klein war. Ich kann mich nicht an sie erinnern. Was ist mit dir? Wohnst du noch bei deinen Eltern?“ „Ja, wir wohnen in einer kleinen Wohnung hier in London. Ich studiere Englisch und Geschichte auf Lehramt.“ „Cool, ich könnte das, glaube ich, nicht. Ich habe nicht viel Geduld.“ Lachend brachten sie den vollen Sack Müll weg und holten sich einen neuen. Den ganzen Tag waren sie damit beschäftigt den Dreck wegzuräumen und Säcke auf den Lastwagen zu laden. Sie unterhielten sich gerade, als Evelyns Handy klingelte. „Hey, Camilla. Was gibt’s ?“ „Ich wollte nur fragen wann du nach Hause kommst, damit wir das Abendessen danach richten können.“ „Ich mach mich gleich auf den Weg. In ungefähr zwanzig Minuten bin ich da.“ „Gut, bis gleich.“ Sie legte auf und steckte ihr Handy weg. „Ich muss los. Abends essen wir immer zusammen. Gib mir doch deine Handynummer damit wir uns mal wieder treffen können.“ Sie tauschten Nummern aus und dann machte sie sich auf den Weg zurück nach Clarence House. Charles und Camilla saßen schon im Esszimmer als sie ankam. „Da bist du ja. Wieso bist du so verdreckt?“ „Ich war Plastik einsammeln. Ich zieh mir schnell was anderes an, dann bin ich da.“ Sie eilte nach oben auf ihr Zimmer und zog sich um. „Wie viele Punkte von der Liste hast du mittlerweile schon?“ „Sieben und an zwei arbeite ich gerade. Das Klavier spielen und Spanisch.“ „Und du bist dir sicher, dass du William und Harry nichts erzählen möchtest?“ „Es fühlt sich nicht richtig an. Sie haben Mum gekannt und das ist meine einzige Verbindung zu ihr, die ich habe. Wenn Harry und William davon erfahren, weiß ich nicht wie sie reagieren. Klar, da sind ein paar Punkte, die ich mit ihnen gemeinsam machen will. Aber das hat noch Zeit. Ich habe noch bis Januar Zeit und danach eigentlich auch noch.“ „In Ordnung. Du entscheidest wem du davon erzählen möchtest. Wir sagen niemandem etwas.“
Zwei Tage später fuhr Evelyn mit Camilla shoppen. Mitte September flogen sie für einen Staatsbesuch nach Spanien und die beiden brauchten noch Kleider. Außerdem benötigte Evelyn sowieso noch einige Klamotten. „Was meinst du? Ist das gut?“ Sie drehte sich in einem hellgelben Kleid vor dem Spiegel. Es war weicher Stoff und ging ihr bis knapp unter die Knie. Außerdem hatte es dünne, lange Ärmel und einen herzförmigen Ausschnitt. „Du siehst wunderschön aus. Das müssen wir unbedingt mitnehmen. Und jetzt probiere doch noch den dunkelblauen Hosenanzug an.“ Im Gegensatz zu ihren Brüdern verstand Evelyn sich blendend mit ihrer Stiefmutter. Schon drei mal waren sie gemeinsam ohne Charles unterwegs gewesen. Nachdem sie die schicken Klamotten bezahlt hatten, wollte Evelyn unbedingt noch nach neuen Jeans und T-Shirts sehen. Sie brauchte ziemlich lang um sich zu entscheiden.
„Harry! Von dir habe ich ja schon ewig nichts mehr gehört. Wann kommst du mal wieder nach London?“ „Schon bald. Keine Sorge. Ich habe von deinem spontanen Besuch in Deutschland gehört. Du wirst noch ein kleiner Rebell wie ich. Und dann noch lila Haare.“ „Vater und Camilla wussten, dass ich fliege, also nicht ganz so rebellisch. Aber schön das dir meine neue Haarfarbe gefällt. Ich mag sie auch sehr gerne. William kommt in zwei Wochen. Wie wäre es wenn du auch dann kommst?“ „Ich denke nicht, dass ich das schaffe, aber vielleicht noch bevor ihr nach Spanien fliegt.“ „Ok, dann erzähl mir doch wenigsten was du die letzten Tage so gemacht hast.“ Es dauerte eine Weile bis Harry fertig war mit erzählen, doch sie hatte ja Zeit. „Nächstes Mal will ich aber mitmachen wenn es zur Rebellion kommt. Du kannst mir nicht einfach meinen Posten nehmen.“ „Keine Sorge, das ist nicht der Plan.“
Um Blut spenden zu können, musste Evelyn sich vorher auf verschiedene Krankheiten testen lassen, damit sie zugelassen wurde. In einem Krankenhaus wurde ihr Blut abgenommen. Während sie auf ihre Ergebnisse wartete, sah sie sich die verschiedenen Stationen an. Irgendwann kam sie auf die Kinder-Krebsstation. Es war bedrückend wie viele Kinder an Krebs erkrankten. „Hi!“ Ein Junge von vielleicht fünfzehn stand hinter ihr. „Du bist nicht von hier. Du bist nicht krank. Besuchst du jemanden?“ „Nein, ich sehe mich nur um, während ich auf meine Blutergebnisse warte. Ich bin Evelyn.“ „Jonas. Wieso verschlägt es dich da ausgerechnet auf die Onkologie?“ „Ich wollte einfach mal schauen.“ „Hast du Lust X-Box zu spielen? Ich hab eine in meinem Zimmer.“ „Klar, aber du musst mir erklären wie das geht. Ich hab so etwas nämlich noch nie gespielt.“ „Kein Problem. Ich mache einen Profi aus dir.“ Sie folgte ihm in eines der Zimmer. Er hatte sich ziemlich häuslich eingerichtet. Den ganzen Nachmittag blieb sie bei Jonas und lies sich von ihm die verschiedenen Spiele erklären. „Ich muss jetzt los. Meine Eltern wollen, dass ich pünktlich zum Abendessen bin, und ich muss ja noch meine Blutergebnisse abholen.“ Enttäuscht nickte Jonas. „Ok, tschüss.“ „Wie wäre es wenn ich am Freitag wiederkomme? Ich bin immer noch kein Profi wie du es versprochen hast.“ „Wirklich? Das wäre toll!“ „Dann also bis Freitag.“ Auf dem Weg nach unten holte sie sich noch ihre Ergebnisse. Es war alles in Ordnung und sie durfte Blut spenden. Als sie Zuhause ankam, waren Camilla und ihr Vater noch nicht aus Kensington zurück. Sie zog sich ihre Sportsachen an und begann in der Eingangshalle zu tanzen. Dort war genügend Platz und sie konnte nicht über Möbel stolpern. Doch als sie gerade die letzte Drehung des Walzers machen wollte, krachte sie in jemanden hinein. Sie stolperte und landete auf dem Boden. „Um Gottes Willen, Evelyn. Ist alles in Ordnung?“ Ihr Vater half ihr auf und Camilla lief los um ihr einen Kühl-Akku zu holen. Sie hielt sich ihren pochenden Kopf. „Geht schon. Nur mein Kopf tut etwas weh. Aber ich hätte einfach nicht mitten im Flur tanzen sollen.“ „Ich hätte auch besser aufpassen können. Ist dir schwindelig? Sollen wir dich ins Krankenhaus bringen?“ „Mir geht es gut. Ich kühle den Kopf etwas und morgen ist wieder alles in Ordnung. Höchstens eine Beule werde ich bekommen.“ Sie nahm den Kühl-Akku von Camilla entgegen und hielt ihn sich gegen den Kopf. „Was gibt es zum Abendessen? Ich sterbe fast vor Hunger.“
Am nächsten Tag tat ihr Kopf zwar immer noch weh, doch es war nichts dramatisches. Sie blieb einfach mal den ganzen Tag zu Hause und machte nichts außer etwas Klavier zu spielen.

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