9 - [Überraschender Besuch]

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Mir war nie bewusst gewesen, wie trüb die Farbe weiß doch war. Wenn ich zu meiner Decke herauf starrte, war sie einfach weiß. Eine Frabe, die ich sonst beruhigend fand. Nun stach sie mir grässlich in die Augen.

Selbst wenn meine kleine Schreibtischlampe an war und diese sogar noch einen kleinen gelblichen Ton auf die Wand warf, wollte ich mich übergeben. Ich hatte im Krankenhaus genug weiß gesehen. Weiß, blau, rot.

Die weißen Wände, Kittel, Böden, Flure. Dir blaue Kleidung, Bettbezüge, sogar die Schläuche der Maschinen waren blau. Und rot, so viel rot. Überall sah man Blut. Egal ob man es nun abgenommen oder zugeführt hatte. Selbst auf den weißen Böden und Kittel, auch auf der blauen Kleidung, sah ich es jeden Tag.

"Probleme beim einschlafen?" Ertönte eine Stimme. Mit aufgerissenen Augen und rasenden Herz, sah ich zum Rahmen meiner Schlafzimmertür, in der eine schwarze Gestalt stand.

Mit langsamen Schritten kam sie auf mich zu. Mein Herz beruhigte. "Wirst du mich jetzt umbringen?" Fragte ich, unglaublicherweise sogar mit einem Lächeln auf den Lippen. "Sei nicht albern."

Völlig in schwarz war sie mal wieder gekleidet. Sogar auf ihren Haaren saß eine schwarze Mütze, die mir aber irgendwie einige Töne zu hell erschien.

Sie setzte sich auf die Kante meines Bettes. Die meisten hätten sich aus neugierig umgesehen, aber ihr Blick lag nur starr auf mir.

"Weswegen bist du dann in meine Wohnung eingebrochen?" Kurz meinte ich ein Grinsen auf ihren Lippen gesehen zu haben, aber schnell war dieses wieder verschwunden.

"Du möchtest wirklich sterben?" Ich verstand nicht. Was hatte das mit meiner Frage zu tun? Genau dafür hatte ich sie doch angeheuert, auch wenn wir nie die Einzelheiten so wirklich besprochen hatten.

"Warum fragst du mich das?" Es war ein Kreuzfeuer aus Fragen, die wir beide nicht beantwortet hätten. "Weil du das nicht möchtest." "Du hast keine Ahnung, was ich möchte!"

Sie schwieg, ließ sich meine Worte durch den Kopf gehen, und dann grinste sie mich an, als wäre alles egal gewesen. "Kannst du dich noch an deinen Hund erinnern?" Meine Finger krallten sich in die Bettdecke. Woher wusste sie von dem Hund? Das war schon Jahre her.
"Beim Spaziergang hat sich Molly einfach von der Leine gerissen und ist auf die Straße gerannt. Überfahren."

Worauf wollte sie hinaus? Ich war fünfzehn als das passiert war, woher wusste sie davon?

"Wir Menschen bauen starke Verbindungen zu Tieren auf. Manchmal sogar stärkere, als zu anderen Menschen. Aber nach Mollys tot hast du auch nicht einfach aufgeben. Molly war doch auch ein Teil deiner Familie."

Das war seelische Folter! Hätte sie nicht wieder schweigen können? Warum musste sie mich so intensiv anstarren, als meine Tränen flossen?

"Woher weisst du von Molly?" Schluchzte ich hervor. Ich hatte schließlich Antworten verdient. "Von der selben Quelle, von der ich auch weiss, dass du immer neidisch auf Dean warst." Warum sagte sie seinen Namen, woher kannte sie ihn überhaupt?

"Eifersucht, Neid, Wut, Hass, alles ganz normale Gefühle, die Geschwister empfinden. Vor allem, wenn man die ältere ist, und mit ansehen muss, wie man selbst kaum noch Beachtung von den eigenen Eltern bekommt."

Meine Mundwinkel zitterten. Das hatte ich noch nie jemanden erzählt. Klar war ich neidisch auf ihn. Es fühlte sich an, als hätte ich nun zu den Erwachsenen zählen müssen, als er geboren wurde, aber nie hatte ich ihn dafür gehasst! Er war mein kleiner Bruder, den - auch wenn ich es ihm nie gesagt hatte - immer noch geliebt habe.

"Woher weiss du das alles?" Wollte ich schreien, aber kam kaum ein Ton heraus. "Sie dich doch mal um, Estelle." Verlangte sie von mir und stand von dem Bett mit ausgebreiteten Armen auf.
"Jeder Ort erzählt eine Geschichte, eine Erinnerung. Würde ich die Tapete von deinen Wänden reißen, würden sich sicherlich Kritzeleinen da runter befinden."

Mit dieser Antwort war ich nicht zufrieden, auch wenn sie nicht ganz Unrecht hatte. Die vorherigen Bewohner hatten ein Kleinkind gehabt, welches wirklich immer auf den Wänden gemalt hatte. Bunte Striche, Strichmännchen und auch Tiere hatte ich übertapeziet, als ich hier einzog.

"Stalking ist ebenfalls Teil meines Jobs, auch wenn ich den Namen Recherche bevorzuge." Das Zeug zur Detektivin hatte sie zumindest. Sie war in der lange meine Gefühle herauszufinden, von denen ich nie jemanden erzählte hatte.

Sie war wirklich erstaunlich.

"Weshalb bist du hier, Harlow?" Kurz schienen ihre Augen aufzuleuchten, als ich ihnen Namen sagte. Warum hatte sie mir diesen überhaupt freiwillig gegeben?

Schnell schien sie sich aber wieder zu fangen. Ihre Miene war todernst. "Estelle," Sagte sie meinen Namen völlig ungläubig. "Hast du überhaupt den Ernst deiner Lage verstanden?"

Den Ernst meiner Lage? Meine Familie war tot und sie sollte mich dafür umbringen. Das war der Ernst meiner Situation. Drei Leben für ein einziges.

"Wovon redest?" "Glaubst du wirklich, dass Thorne dich in ruhe lassen wird, nur weil du seinen dummen Vertrag unterschrieben hast?" Schwer schluckte ich, als ich ihre gekreuzten Arme sah. Auf einmal wirkte sie so einschüchternd.

"Wenn ich schon ohne Probleme solche Sachen über dich herausfinden konnte, was könnte Throne sonst über dich wissen?"

Ich wurde von einer scheiß Lawine der Erkenntnis überrollt. Er wusste wo ich wohnte, wo ich arbeitete, selbst jede meiner Versicherungen hatte er bezahlt.

Harlow kam auf mich zu, kniete sich vor mir nieder und legte ihre Hand auf meine Schulter. Ihre Augen sahen direkt in meine. Braun traf blau.

"Du zweifelst an Thorne und deiner Entscheidung diesen Vertrag unterschrieben zu haben." Wisperte sie mir schon fast entgegen. Ich brauchte jetzt die Ruhe, um in der Stille meine Gedanken ordnen zu können. "Wenn er davon Wind bekommt, dann wird er deinen Namen auf seiner Liste höher setzten."

Harlow schien für mich in Reimen zu sprechen. Nichts schien mehr Sinn zu ergeben, wann immer sie ihren Mund öffnete.

"Liste? Was für eine Liste?" Mein Kopf schmerzte. Ich sollte mich doch nicht so unter Stress setzten. "Nenn es, wie du möchtest: Abschussliste, Todesliste." Die Frau wusste wirklich, wie man jemanden beruhigen konnte.

Wenn Harlow in nur einen Tag, soviel über mich herausfinden konnte, wie lange hätte dann Thorne gebraucht, um mir einen qualvollen Tod zu bescheren?

Till Death Do Us Apart Where stories live. Discover now