Kapitel 8 - Felicia

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Alec ging und er kam nicht wieder. Stattdessen schaute gefühlt alle fünf Minuten einer seiner Schoßhündchen in mein Zimmer und fragte, ob ich etwas brauchte. Beim vierten Mal schmiss ich mein Kissen nach dem Typen mit den Braids, ich glaube, es war Adrien, und begann, mich zu fragen, wo Alec blieb. Dabei wollte ich mich das gar nicht fragen. Ich sollte es nicht.

Die Wahrheit war, ich langweilte mich zu Tode und war gleichzeitig kurz davor, zu explodieren. Ich blätterte sogar in den Büchern aus meiner Kommode, was so lange gut ging, wie ich über Hexenprozesse las. Als mir danach ein Buch über die Entwicklung magischer Fähigkeiten in die Hände fiel, war es mit meiner Ruhe endgültig vorbei.

Ich brauchte Antworten! Warum passierten diese Dinge? Weshalb lieferten sich die Covenmitglieder einen Kampf um mich? Und warum, zum Teufel, bestand Alec darauf, dass er für mich zuständig war?

Ich drehte mich buchstäblich im Kreis (bis mir schwindelig wurde) und schrie in mein Kissen. Nichts half.

Es fühlte sich wie ein aussichtsloser Kampf an, nicht an den Sturm zu denken. Nicht an den Stromausfall zu denken – beides in einem unterirdischen Gang irgendwo auf Gozo, verursacht durch Magie.

Ich wünschte, Kaya wäre hier. Wie damals. Damals, als meine Welt auseinandergebrochen war, zerschellt wie das Flugzeug, in dem meine Eltern gesessen hatten. Damals, als alle auf mich eingeredet hatten und niemand zuhörte. Damals, als meine Tante mir erklärte, was die Hexen meinen Eltern angetan hatten. Und damals, als ich nur Kaya sagte, dass ich die Energie spürte, als wäre sie ein Teil von mir.

Ich wälzte mich herum, kniff die Augen zusammen. Aber alles, was passierte, war, dass ich das zerschellte Flugzeug vor mir sah, mitten in den Alpen. Sie hatten nach Berlin gewollt und auf das Portal verzichtet, weil sie wegen Mums zweitem Job als Diplomatin unterwegs gewesen waren. Mum war Deutsche und ich konnte die Sprache sogar sprechen. Nicht gut genug, Mum wollte mir immer noch mehr beibringen. Dazu war es nicht mehr gekommen.

Es gab Fotos. Von … dem Ereignis. Ich würde sie nie vergessen. Meine Tante Leonora hatte sie mir gezeigt und so oft gesagt, dass sie es gewesen waren. Die Hexen.

Ich rief mir erneut die Bilder des Absturzes vor Augen. Es war nicht gut, dass ich das tat, das wusste ich. Es war ungesund. Es war gefährlich. Es tat weh. Und doch war alles besser, als darüber nachzudenken, was heute geschehen war. Denn das würde mich zu der Frage führen, wie ich überleben sollte – jetzt, wo ich womöglich für das stand, was meine Familie verabscheute. Sie würde mich hassen, und das konnte ich nicht ertragen.

Ich erschauderte und rollte mich zusammen, bis mir auffiel, dass ich am ganzen Körper zitterte. Statt mich zuzudecken, setzte ich mich auf. Ich bebte innerlich. Es war kein Frieren, plötzlich war mir heiß. Mein Blick fiel auf die Nachttischlampe, die angeschaltet war. Ihr Licht war warm und angenehm (und nötig, weil es draußen langsam dämmerte), und sie funktionierte durch Elektrizität.

„Ich will das nicht“, flüsterte ich. „Verdammt noch mal, es darf nicht sein.“ Ich starrte die Lampe an und dachte spontan an einen Kurzschluss. Daran, wie der Verbraucher wegfiel und die Teilchen aufeinander losgelassen wurden. Daran, wie die Hitze zu groß wurde.

Es würde nichts passieren. Das sagte ich mir immer wieder. Es wird nichts passieren – und dann wüsste ich, dass alles nur ein böser Traum gewesen war.

Leichter Wind wehte mir die Haare ins Gesicht. Ich schlang die Arme um mich. Abgelenkt durch den Luftzug sprang ich auf, um das Buch auf der Kommode zuzuschlagen, dessen Seiten raschelten.

Ich drehte mich zurück zum Bett. Und erstarrte. Die Lampe auf dem Nachttisch flackerte. Die Schatten, die sie an die Wände warf, legten sich bedrohlich um mich und nahmen mir die Luft zum Atmen.

Bitte, bitte nicht, flehte ich stumm.

Es zischte. Ein Knistern ertönte. Dann ging das Licht aus.

Meine Knie wurden weich und ich ließ mich aufs Bett sinken.

Wasser – das war das Element, das für solch einen Kurzschluss angezapft wurden. Ich hatte das alles von der Community gelernt, um Hexenmagie zu erkennen und rechtzeitig auszuschalten. Wasser – es war dasjenige Elemente, an das ich gerade gedacht hatte.

Meine Lider brannten, aber ich gab dem Brennen nicht nach. Nicht, als ich in der Kommode nach sauberer, legerer Kleidung suchte, die ich dort einige Nummern zu groß fand. Auch nicht, als jemand – ich achtete nicht einmal darauf, wer es war – das Abendessen brachte. Und erst recht nicht, als ich mich unter der Bettdecke zusammenkauerte, allein mit mir und meinem wahrgewordenen Albtraum. Draußen begann es zu donnern, kurz darauf zuckten die ersten Blitze an meinem Fenster vorbei. Das Meer dahinter war gespenstig dunkelblau.

Alles in mir schrie danach, etwas zu tun. Aber ich konnte nicht. Ich ballte die Hände zu Fäusten und kniff die Augen zu. Irgendwann schlief ich ein.

Ich sah Mum und Dad, ihr stolzes Lächeln, als ich mit zehn Jahren zum ersten Mal mit ihnen an der Community-Versammlung teilgenommen hatte. Mum hielt die ganze Zeit meine Hand, manchmal presste sie sie so fest zusammen, dass ich mich aus ihrem Griff befreien wollte. Aber ich tat es nicht, denn es war aufregend, hier dabei zu sein. Dad drückte meine Schulter, ehe er zu Leonora trat und etwas Offizielles mit ihr besprach, das für meine Kinderohren nicht bestimmt war.

Ich sah Kaya, die mir die ersten Handgriffe mit den Waffen zeigte und Dad, wie er uns die Waffen wegnahm. „Das ist kein Spielzeug.“

Ich sah Mum, wie sie sich vor ihrer Reise verabschiedete. Wie sie lächelte. Ihr Lächeln, es war wunderschön. Meines sah niemals so aus, ich lächelte nicht. Nie. Dabei sagten alle, ich sei Mum wie aus dem Gesicht geschnitten.

Ich sah Kaya, wie sie vor dem Schultor stand und auf mich wartete, obwohl unser erstes gemeinsames, offizielles Selbstverteidigungstraining erst am späten Nachmittag anstand, sah ihren sorgenvollen Blick.

Ich spürte, wie sich etwas in mir schmerzhaft zusammenzog, als ich ihre Worte hörte. Es tut mir leid. Spürte, wie alles in mir auseinanderbrach, wie die Welt plötzlich eine andere war, als ich es erfuhr. Als sie es mir sagte, noch am Schultor. Spürte, wie ich schrie, obwohl ich nichts hörte. Weil meine Eltern tot waren. Weil sie weg waren, für immer. Ich schrie und schrie.

Bis endlich alles in mir leise wurde.
Bis mich nichts mehr zusammenhielt.
Erst dann brach ich auseinander.
Und die Welt mit mir.

Until they rise - Gefangen zwischen Liebe und MagieWo Geschichten leben. Entdecke jetzt