Die Erinnerung

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Der Kater stürzte sich auf Schwarzblüte. Die schwarze Kätzin konnte nicht rechtzeitig ausweichen und wurde von ihm zu Boden gerissen. Krallen bohrten sich in ihren weichen Bauch und rissen ganze Fellbüschel aus.

Meine Jungen!, schoss es der Kätzin durch den Kopf. Sie versuchte sich zu wehren, doch es nützte nichts.

Plötzlich hörte Schwarzblüte eine Stimme direkt neben ihrem Ohr. »Halte durch!« Das war die Stimme des silbergrauen Katers, den sie im Traum gesehen hatte. Der, der ihr einen Fisch gezeigt hat. Da sah sie einen schwarzen Pelz am Rande ihres Blickfelds aufblitzen. Die Kätzin, die ihr gedroht hatte, anzugreifen, wenn sie Grauer Flug nicht in Ruhe ließ. Die Kätzin stürzte sich auf den dunkelbraunen Kater und riss ihn von ihr fort.

»Wer ist das?«, fauchte dieser mit angelegten Ohren. Doch Schwarzblüte erkannte Angst in seinen Augen.

Die Kätzin, die ihn weggestoßen hatte, knurrte noch einmal und zeigte ihm ihre Krallen. Verängstigt zog der dunkelbraune Kater sich langsam wieder zurück. »Das war noch nicht alles!«, drohte er Schwarzblüte, bevor er vollständig verschwand.

»Komm. Steh auf.« Der silbergraue Kater packte sie am Nackenfell und zog sie hoch. »Alles in Ordnung?«, fragte er und betrachtete sie von oben bis unten.

»Ja«, sagte Schwarzblüte und starrte ihn an. Wie kann es sein, dass eine Katze aus meinem Traum in die Welt der Lebenden kommt?

»Bist du ein Geist?«, fragte sie deshalb etwas eingeschüchtert.

Der Kater schnurrte belustigt und drehte den Kopf zu der anderen Katze. »Schatten, hast du gehört? Sie denkt, wir sind Geister!«

Diese hob kurz den Kopf und murmelte etwas. Dann hockte sie sich neben Leuchtflügels Leichnam.

»Was... Was macht sie da?«, sorgte Schwarzblüte sich und wollte an dem silbergrauen Kater vorbei, doch er stellte sich ihr in den Weg.

»Lass sie ruhig arbeiten. Sie hilft deiner Freundin, loszulassen.«

In dem Moment sah Schwarzblüte einen Nebel von Leuchtflügels Körper aufsteigen. Der Schleier wogte hin und her und formte sich immer wieder neu, bis er seine endgültige Gestalt annahm. Eine gelbbraune Kätzin mit gelben Augen.

»Leuchtflügel!«, rief Schwarzblüte erfreut und machte große Augen. Doch ihre Freundin würdigte sie nicht eines Blickes. Es schien, als würde sie gar nichts wahrnehmen. »Was ist mit ihr?«, fragte Schwarzblüte erschrocken den Kater vor ihr.

»Sie muss sich noch finden.« Mit einem Blick auf die immer noch ohnmächtige Sonnenblume und die staunenden Funkenjunges und Rehjunges fügte er noch hinzu: »Wir sollten nun gehen. Unsere Aufgabe ist getan. Nun muss ein alter Freund von mir den Rest tun und ihr alles offenbaren.« Der silbergraue Kater drehte sich um und folgte der schwarzen Kätzin, die anscheinend Schatten hieß, und der geisterhaften Gestalt von Leuchtflügel.

»Warte!«, rief Schwarzblüte dem Kater hinterher. Der blieb stehen und drehte sich um. »Wie ist dein Name?«

»Mein Name ist Fluss. Ich habe mich an ihn erinnert. Dank dir, Wind.« Dann fingen seine Konturen an, sich aufzulösen und er verschwand.

»Was war das, Mama?«, fragte Rehjunges neugierig.

»Zwei sehr nette Katzen, mein Schatz«, antwortete Schwarzblüte. »Zwei sehr nette Katzen. Schatten und Fluss.«

»Warum leben sie denn noch?«

»Sie leben nicht mehr«, sagte die schwarze Kätzin. »Sie sind tot.«

»Aber sie sehen doch so alt aus!«, meinte Funkenjunges. »Sie können nicht als Junge gestorben sein!«

»Warum sollten sie denn?«, Schwarzblüte schaute die beiden Jungen verwundert an.

»Sie haben grüne Augen.« Rehjunges legte den Kopf schief.

Grüne Augen!, dachte die schwarze Königin. Sie stammen aus einer anderen Zeit! So wie ich. Ich bin Wind. Sie sind Schatten und Fluss. Was hat das zu bedeuten? Warum haben sie keine Clannamen?

Sie stockte. Aber sie können kämpfen.

***

»Wie ist dein Name?«

»Leuchtflügel. Wo bin ich hier?«

»Du bist im SternenClan, Leuchtflügel. Du hast losgelassen. Und du hast dich gefunden. Jetzt darfst du wählen.«

»Was wählen?«

»Die glücklichste Zeit deines Lebens. In dieser Zeit wird dein Körper für immer verweilen. Bis das Vergessen eintritt.«

»Das Vergessen?«

»Jeder verblasst irgendwann. Wenn man vergessen wird, gibt es kein Zurück mehr.«

»Und wann gibt es ein Zurück?«

»Wenn du erneut stirbst.«

»Dann töte mich.«

»Nein, das darf ich nicht. Man hat es mir verboten. Du musst geschützt werden.«

»Aber meine Jungen...«

»Sie werden nie geboren werden. Doch du kannst zwei anderen, guten Müttern helfen.«

»Wem?«

»Rotwind und Schneeauge. Sie kümmern sich um Glutjunges, Heißjunges, Bachjunges, Seejunges, Stromjunges, Sandjunges und Blutjunges.«

»Blutjunges...«

»Es war Krallenmond, der sie und ihren Bruder getötet hat.«

»Nein, er würde so etwas niemals tun! Er ist mein Bruder!«

»Er hat es dennoch getan. Aus Liebe zu Wind.«

»Wer ist Wind?«

»Wind ist deine beste Freundin. Schwarzblüte.«

»Und wer bin ich?«

»Du bist eine Anführerin. Du hast mich losgeschickt, um alle zu retten. Du hast mein Schicksal bestimmt, Sagerin von den spitzen Steinen. Oder soll ich besser sagen: Halber Mond?«

»Hallo, Wolken.«

WarriorCats - Finstere WolkenWhere stories live. Discover now