Die Entscheidung

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Das Licht der Morgensonne schien auf das Lager des FeuerClans. Alles war in ein angenehmes Gelb getaucht. Die ersten Beutetiere kamen aus ihren Bauen und rekelten sich in den Strahlen der Sonne.

Schwarzblüte kam aus ihrem Moosnest. Sie zitterte. Nicht, weil ihr kalt war, sondern weil sie Angst hatte. Angst vor Flammenzorn und seinen neuen Aufgaben.

Die schwarze Kätzin lugte mit einem Auge durch das Loch, das in den geflochtenen Ranken des Baues war. Auf der Lichtung tummelten sich bisher nur wenige Katzen. Gelbkralle führte zusammen mit Aschenhaar die Schüler hinaus zum Training. Und Weiser Elch erzählte Funkenjunges irgendeine Geschichte.

Schwarzblüte atmete tief durch und trat hinaus. Zu ihrem Pech teilten sich jetzt auch die Vorhänge von Flammenzorns Bau und als er seine Gefährtin erblickte, kam er auch schon auf sie zu.

Bei seiner Stimme zuckte Schwarzblüte zusammen. »Ich will zum Frühstück ein Kaninchen. Eins von den jungen, flinken. Und wehe du schaffst es heute auch nicht! Nach dem Frühstück muss ich Gelbkralle beim Training ablösen. Du hilfst mir«, knurrte er.

»Was für eine Ehre«, entgegnete Schwarzblüte kleinlaut und musste sogleich einem Schlag ausweichen.

»Schleim dich nicht ein!«, herrschte Flammenzorn sie an. »Geh jetzt. Bevor ich es mir doch anders überlege.«

Verschreckt rannte Schwarzblüte los. Weg aus dem Lager! Nur weg von Flammenzorn! In ihrer Angst wäre sie fast in Leuchtflügel hineingerannt.

»Entschuldige«, murmelte Schwarzblüte und rannte weiter. Dann stoppte sie. Da, der Geruch von Kaninchen. Sie schnüffelte noch einmal. Eindeutig! Die Kätzin sah sich um und entdeckte eine Kaninchenhöhle. Sie musste eigentlich wieder eine Helferin finden, die auf dem Bau rumtrampeln und das Kaninchen rausscheuchen würde.

Aber dafür hatte sie jetzt keine Zeit mehr. Sie machte sich ganz klein und krabbelte ein Stück in den Bau hinein. Es war dunkel, doch sie orientierte sich am Geruch. Auf einmal spürte sie Fell vor sich. Und ein erschrockenes Quieken erklang direkt vor ihr. Erbarmungslos schlug Schwarzblüte ihre Zähne in das Kaninchen und kroch wieder aus dem Loch raus.

Überall in ihrem Fell hingen Erdklumpen aber das störte sie nicht. Schwarzblüte legte ihren Fang ab. Perfekt. Ein junges Kaninchen mit seidigem Fell.

Erleichtert schleppte sie ihre Beute ins Lager zu Flammenzorn.

Dort waren inzwischen schon mehr Katzen aufgewacht. Die halbblinde Schneeauge brachte Feuerstern gerade mehrere Wühlmäuse und Rußfeder besuchte Sonnenblume und Funkenjunges in der Kinderstube. Weißklees Junge spielten mit Weiser Elch, während Leuchtflügel versuchte, ihnen ein Stück Ente anzubieten, das Aschenhaar wohl liegen gelassen hatte.

Schwarzblütes Blick wanderte weiter. Flammenzorn beendete gerade seine Morgenwäsche und sah dann auf. Hastig schleifte sie das Kaninchen zu ihm. Er betrachtete es kritisch.

»In Ordnung«, sagte er dann endlich. »Ruh dich etwas aus oder besorg dir dein eigenes Frühstück. Aber bleib mir vom Leib. Komm zu Sonnenhoch wieder. Da ist Schichtwechsel.«

Schwarzblüte nickte und machte sich selber auf den Weg, ihre eigene Beute zu suchen.

***

Eine Maus und eine Elster später kehrte Schwarzblüte ins Lager zurück. Sie aß immer außerhalb des Lagers. Dort war es ruhig und keiner störte sie oder erteilte Befehle. Als sie dort ankam, sah sie, dass Feuerstern auf einem Ast der Versammlungsweide stand. Alle Katzen hatten die Köpfe schon zu ihm erhoben, um zuzuhören.

Schnell gesellte Schwarzblüte sich zu ihnen und nahm ihren Platz in der hintersten Reihe ein. Direkt neben Leuchtflügel.

»Worum geht es?«, fragte sie leise.

»Ich weiß es nicht«, flüsterte diese zurück. »Die Versammlung hat gerade erst angefangen.«

Feuerstern begann zu sprechen: »Wie ihr sicher wisst – oder auch nicht wisst – findet in fünf Sonnenaufgängen der Tag des Windes statt. Zu diesem Zweck möchte ich euch dazu auffordern, jetzt schon zu entscheiden, wer daran teilnehmen soll. Jeder geht zu einer beliebigen Zeit in meinen Bau und legt seinen Stein in die Kuhle der Katze, für die er stimmt. Die Versammlung ist beendet.«

Feuerstern sprang hinunter und verschwand auch schon im hohlen Stamm der Weide.
Schwarzblüte saß nur da. Sie saß immer noch da, auch als alle anderen sich schon verflüchtigten.

Der Tag des Windes. Nein. Bitte nicht.

Sie kannte diese kaltblütige Tradition. Sie fand alle sechs Monde statt. Letztes Mal waren ihre beiden Eltern, der frühere zweite Anführer Brandpelz, der vorherige Windwahrer Weiser Wolf, ein junger Kämpfer namens Blitzschweif und seine Gefährtin Rauchflug dabei umgekommen. Der Gewinner war Gelbkralle gewesen, der sich Brandpelz' Gefährtin Weißklee genommen hatte.

Die Wahlen liefen wie jedes Mal ab: Alle Katzen gingen heimlich, meistens nachts, in den Anführerbau und legten dort ihren Wahlstein in die Kuhle der Katze, die sie wählen wollen.

Die Kuhlen der Katzen erkannte man an dem Fellbüschel, das darin liegt. Sogar in der Dunkelheit war der Geruch der Katze klar identifizierbar.

Schwarzblüte überlegte. Plötzlich wusste sie, wen sie wählen wollte. Anders als die Blattwechsel davor, würde sie jetzt nicht den Mörder ihrer Eltern wählen, sondern ihren eigenen Gefährten.

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Edit: Es gibt mittlerweile schon ziemlich viele Kommentare, in denen gesagt wird, dass diese Geschichte den Hunger Games bzw. Tribute von Panem ähnelt, was den Aspekt mit dem Tag des Windes und den Kämpfen betrifft. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass ich die Tribute von Panem noch gar nicht kannte, als ich ,Finstere Wolken' geschrieben habe. Wer die Inspiration bzw. Entstehungsgeschichte wissen möchte, kann gerne im vierten Band ,Düsterer Mond' in die Q&A-Session ganz am Ende reingucken. Gleich die erste Frage behandelt dieses Thema.

WarriorCats - Finstere WolkenWhere stories live. Discover now