Kapitel 1: Hobby-Detektive

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Es regnete und der Matsch unter Bobs Füßen machte ein ekliges, nervtötendes Geräusch als er durch das Gebrauchtwarencenter Titus-Jonas, zum alten Wohnwagen (ihrer Zentrale) schritt.
Bob hatte unglaublich schlechte Laune, was gegeben den Umständen nicht grade unbegründet war. Er hoffte nur, das die Zwei das verstehen würden.
Justus hatte grundsätzlich nämlich so seine Probleme damit, menschliche Gefühle einzuschätzen. Er war sicherlich nicht der emphatischste der Drei, aber dafür der weitaus Intelligenteste.
Das würde ihm in dieser Situation jedoch nicht viel bringen, dachte sich Bob.
Er wusste nicht recht, was er überhaupt von den Beiden für eine Reaktion erwartete.
Wollte er eine Umarmung? Ein mitleidiges Stirnrunzeln und einen kräftigen Schulterdruck? Oder das die Zwei sich wie eh und je an den Fall setzten, als wäre es nur ein Weiterer von den 230 vorherigen?
Nervös zerdrückte er das Papier in seiner Hand. Es war ein alter Kassenzettel.
Er sammelte diese manchmal in seinen Taschen, um sie zu zerreißen und zu zerdrücken, wenn er nervös wurde.
Er mochte das Gefühl nicht, nichts zwischen den Fingern zu haben.
Durch das Fenster des Wohnwagens (bei welchem die Drei sonst die Jalousien als Schutz vor Neugierigen zugezogen hielten), sah er wie Peter ungeduldig auf und ab lief.
Sein rotbraunes Haar war zerzaust und noch nass vom Regen von Draußen. Auch jetzt regnete es noch, auch wenn nur leicht.
Eine dichte Wolkendecke hatte sich über dem Gebrauchtwarencenter gebildet und Bob tat sich schwer damit, noch lange draußen zu stehen und seine Möglichkeiten abzuwägen.
Eine unangenehme Konfrontation mit seinen Freunden oder der kalte, nasse, wahrscheinlich genau so unangenehme Regen?
Er wusste nicht genau warum, aber er entschied sich für das Erstere.
Auch wenn sie es sonst nicht taten, öffnete er nun den normalen Eingang zum Wohnwagen. Er war sich sicher, Justus würde es ihm verzeihen, wenn er sich diesmal nicht durch den unnötig engen Geheimgang durch den Kühlschrank zwängte, den sie auch das kalte Tor nannten. 
Kaum hatte Bob sich ächzend und seine nasse Jacke vom Körper ziehend durch die Tür geschleppt, stand Peter auch schon vor ihm.
„Bob!" rief er und legte ihm mit festen Griff die Hände an die Arme.
Der deutlich größere Junge war um einiges stärker als er Selber, und damit schwer abzuschütteln. Doch wenn Bob ehrlich war, wollte er das garnicht.
Peter lächelte ihn nämlich nur an.
Er war glücklich, ihn zu sehen.
Nicht mitleidig, oder nervös oder zornig.
Nur glücklich. Und das machte ihn glücklich.
Zumindest für eine Sekunde.
Bob rückte seine Brille zurecht und schaffte es, ein gezwungenes Lächeln hervorzubringen.
„Ihr habt mich tausendmal angerufen anstatt einfach zu mir zu fahren, und zu klingeln, wie normale Menschen." brachte Bob schließlich hervor. Er war sich jedoch nicht sicher, ob er ihnen die Tür überhaupt geöffnet hätte.
Genau das war es, was Justus auch dachte.
„Seien wir mal ehrlich, Dritter. Die Tür hättest du uns genauso wenig aufgemacht, wie du ans Telefon gegangen bist, als wir angerufen haben." Justus kam mit langsamen Schritten auf die Beiden zu, die immer noch in eine eigenartige Halb-Umarmung verwickelt waren.
„Auch wahr." gab Bob zu, und grinste Justus zur Begrüßung an.
„Mann, Dritter." warf Peter ein und lockerte langsam seinen Griff.
„Du trägst ja nicht einmal Kontaktlinsen. Das hat dich wohl ziemlich mitgenommen."
Verdattert blickte ihn Bob an und Peter wich automatisch einige Schritte zurück.
„Mein Vater ist fälschlicherweise im Gefängnis. Nein Zweiter, mir geht es wirklich ganz fantastisch." Bob gab sich Mühe, besonders ironisch zu klingen und rieb sich ungeduldig die Nasenbrücke. Peter drückte ein „Tschuldigung" durch zusammengepresste Lippen hervor. Es war Bob klar, dass Justus auch seinen Senf dazu geben wollte. Er hätte bloß gedacht, es wäre über die Verhaftung seines Vaters.
„Und Hobby-Detektive haben sie uns auch noch genannt." flüsterte Justus durch die Hand vor seinem Mund.
Bobs Kinnlade klappte beinahe runter.
„Ihr seid so weltfremd manchmal."
Auch Justus brachte nun ein „Tschuldigung" gefolgt von einem Räuspern hervor. Bob ließ sich auf die Couch fallen und verschränkte die Arme vor der Brust wie ein beleidigter Teenager.
„Ich muss wohl nicht fragen, wie es dir damit geht Dritter. Sicherlich nicht gut." begann Justus und blickte ihn durch heruntergezogene Augenbrauen erwartungsvoll an, als hätte er ihm soeben eine Frage gestellt.
„Das war keine Frage." murmelte Bob verwirrt. Er seufzte.
„Nein, mir geht es nicht gut."
„Verständlich." grummelte Justus und schob sich die Ärmel hoch.
Justus hatte als Einziger von Ihnen dunkle Haare an den Armen und leicht auch im Gesicht und Bob wusste nicht warum, aber manchmal machte es ihn neidisch.
„Was tun wir jetzt?" warf Peter ein, und beide Köpfe drehten sich zu ihm um. Seine Haare hingen ihm in die Stirn und Bob fiel auf, dass er mehr Sommersprossen bekommen hatte. Er war wohl oft in der Sonne gewesen, in letzter Zeit. Wahrscheinlich Surfen mit Jeffrey.
„Bob, hast du bereits mit deinem Vater geredet?"
Justus stützte sich auf dem Schreibtisch ab, der ohnehin schon alt und zerbrechlich war. Doch er hielt Justus stand. Justus hatte ohnehin in letzter Zeit deutlich abgespeckt, er aß weniger und es machte Bob nervös. Er hatte es lieber, wenn Justus sich nicht schlecht fühlte, etwas zu essen, wie wenn er dauerhaft auf Diäten war.
Er schüttelte den Kopf und nahm die Brille ab, um sie zu mit seinem Shirt zu trocknen.
„Nein, nicht seit Dienstag. Aber ich habe mit seinem Anwalt geredet. Scott, wenn ich mich richtig erinnere."
Bob war etwas kalt, in den nassen Sachen. Peter schien das zu merken, und reichte ihm sein Sweatshirt und den Föhn, den sie für alle Fälle in einem der Schreibtisch-Fächer behielten. Peters Art sich zu entschuldigen, oder Mitgefühl zu zeigen, beinhaltete, dass er in jeder sich ergebenden Lage einen Weg fand, es einem gemütlich zu machen. Besonders jetzt, gefiel das Bob sehr gut. Er nickte dem Zweiten dankbar zu, der sich zufrieden gegenüber von ihm am Tisch platzierte.
Für Besprechungen angenehmerer Art wählten sie normalerweise die Couch. Auch wenn es nicht grade eine angenehme Situation war, hatte Bob nicht die Kraft sich bei dem Regen und diesen Umständen entsprechend neben Justus an den kleinen Schreibtisch zu stellen.
Justus nickte, als hätte er schon erahnt, was Bob sagen wollte. Bob nervte das manchmal gehörig. Wenn Justus ohnehin schon wusste, was die Beiden sagen würden, warum fragte er denn dann?
Er steckte den Föhn ein und begann sich auf der niedrigsten Stufe, die Haare zu trocknen. Sonst hatte er Angst, es würde seine Locken ruinieren, aber ihm war fürchterlich kalt, also drückte er diesmal ein Auge zu.
Peters Pulli roch nach Aftershave.
Er guckte den Zweiten etwas zu verdächtig an.
Als ob Peter sich schon rasieren musste. Das war doch Show.
„Was hat Scott gesagt, über den Ablauf der Tat?" Justus setzte sich ihm breitbeinig gegenüber auf den sich drehenden Bürostuhl.
Bob war ihm eigentlich dankbar, dass er die Sentimentalität übersprang und gleich zum Wichtigen kam. Aber wenigstens eine kurze Umarmung hätte doch nicht geschadet, oder?
Er dachte kurz nach.
„Am 25., letzten Dienstag, um..." Bob überlegte „22:00 Uhr war es, denke ich, hatte der Chefredakteur Pérez wohl eigenartige Geräusche aus der Abstellkammer gehört. Die wird jedoch anscheinend nicht mehr genutzt, und deshalb entschied er sich dazu, im Raum nachzugucken." Mit einem Stirnrunzeln guckte ihn Peter an. Bob zuckte mit den Schultern.
„Der Raum wird nicht benutzt? Nicht überwacht? Keiner geht dort hinein? Das willst du mir doch nicht weismachen."
Justus stimmte Peter mit einem Nicken zu.
„Er wird überwacht. Anscheinend war die Kamera jedoch defekt. Keiner hat so richtig etwas davon bemerkt, weil der Raum ohnehin nicht benutzt wird."
Erneut runzelten Peter und Justus die Stirn.
„Wie? Wie wurde dein Vater denn dann erwischt, wenn er nicht mal da war?"
Bob fiel es schwer, Peter nicht ein Kissen ins Gesicht zu werfen.
„Lass mich doch ausreden!"
Peter hob zum Schutz die Hände.
Bob seufzte und überlegte weiter.
„Mein Vater, er war auf einem Ausflug nach Texas. Er sagte es war geschäftlich, aber keiner seiner Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen wussten davon."
Justus verschränkte die Arme vor der Brust und zog eine Augenbraue hoch.
„Eigenartig, nicht?"
Bobs Kopf drehte sich ruckartig zum ersten Detektiv hin.
„Ich glaube ihm."
„Wir glauben ihm auch, Dritter." Peter legte seine Hand auf Bobs und guckte ihn bedächtig an. Peters Hand war warm und Bob hatte nicht gemerkt, wie doll er diese Wärme gebraucht hatte. Er tat sich schwer damit, seine Hand wegzuziehen. Doch er tat es.
Immerhin war er eingeschnappt.
„Aber es ist trotzdem... nun ja, fragwürdig. Eine Geschäftsreise von dem das Geschäft nichts weiß?"
Bob wusste, dass es eigenartig war. Doch es fiel ihm schwer, seinem Vater in den Rücken zu fallen. Zuzugeben, dass es einige Logiklücken gab. 
Er drehte den Kopf weg.
„Darf ich weiterreden?"
„Natürlich" sagten Peter und Justus beinahe synchron.
„Er wurde wohl auf den Kameras gesehen."
„Den defekten Kameras?" fragte Justus verwirrt.
„Manchmal waren sie wohl nicht... defekt? Keine Ahnung." Bob ließ das Gesicht in den Händen versinken.
„Ich finde es doch selbst ganz eigenartig."
Peter warf ihm einen nervösen Blick zu. Er wusste es, es sah nicht gut aus für seinen Vater. Und es ärgerte ihn.
„Es gibt immer etwas, was sich zu lösen gilt. Bill würde so etwas nicht tun. Das wissen wir Bob. Doch es muss einen Grund geben, ein Motiv. Warum wird Bill zum scheinbaren Täter gemacht?"
„Zum falschen Verbrecher." fügte Peter hinzu, und Bob fühlte sich beinahe so, als müsse er weinen, als Peter ihm eine Hand auf die Schulter legte.
Der Druck war zu groß.
Cotta hatte ihm schon gesagt, es sähe nicht gut aus für seinen Vater.
Doch Cotta kannte Justus.
Auch das hatte er gesagt.
„Es sieht nicht gut aus für Bill, Robert, ich will dich nicht anlügen. Aber ich kenne euch, ich kenne Justus. Wenn es was an dem Fall aufzudecken gibt, dann seid ihr es, die das schafft. So wütend wie mich das macht." 
Bob erinnerte sich daran, wie Cotta ihm dabei kräftig die Schulter drückte. Und er wusste, dass er Recht hatte.
„Also Bob. Erzähl weiter."
Bob blickte auf, und Justus hatte bereits eine Packung Taschentücher auf den Tisch gelegt.
Bob konnte nicht anders, als ein bisschen zu Lächeln. Justus war eine Niete wenn es um Empathie ging, aber er tat sein Bestes, und manchmal war das genug.
„In Ordnung." Bob wischte sich mit dem Ärmeln von Peters Pullover die Augen trocken. Er warf Peter einen Entschuldigungs-Blick zu, doch Peter winkte es nur mit der Hand ab.
„Also, die Kameras waren wohl zugeklebt worden. Das hätte wohl weniger Aufsehen erregt, als sie einfach komplett zu demolieren. Das macht ja Sinn. Ich wundere mich nur, warum man meinen Vater dann überhaupt auf ihnen gesehen hat?" Justus und Peter guckten sich an, als wüssten sie nicht recht, ob das eine Frage oder eine Feststellung war. Bob achtete nicht darauf, und redete weiter.
„Man hat die anderen beiden Männer in den Kameras nicht gesehen, nur Pérez selbst, am Tatort. Er hat die Tür aufgemacht und die zwei Männer gesehen, gemeinsam mit dem Automaten." Justus strich sich über's Kinn und Bob wusste, was er dachte. „Genauer gesagt, ist das kein Automat, Dritter. Ein Automat ist ein Apparat der nach Einstecken einer Münze oder eines Geldscheines selbständig programmierte Befehle ausführt."
Und Bob und Peter würden stöhnen, ihm ein Kissen an den Kopf werfen und weitermachen, wie immer.
Doch er sagte nichts.
Vielleicht hatte Bob noch Vater-im-Gefängnis Bonus.
Oder vielleicht war Justus heute einfach mal keine komplette Plage.
„Und dein Vater?" fragte Peter nun ungeduldig. Er hatte die Ärmel seines Shirts hochgerollt und Bob wunderte sich, wie er nicht fror in dem kurzen Shirt.
„Der wurde kurz auf der Kamera gesichtet. Das Problem ist bloß, dass die Beiden ihn auch als Leiter der Tat identifiziert hatten. Sie sagten, es wäre seine Idee gewesen, und er hätte alles geplant."
Justus wartete nicht lange, bis er seinen Gedanken freien Lauf ließ.
„Warum sollte Bill Andrews so tun, als würde er auf Geschäftsreise fahren, nur um dann im Keller seines eigenen Arbeitsplatzes Falschgeld zu drucken? Warum war die Kamera so ausgerichtet, dass man die Zwei anderen nicht erkannte, sondern nur ihn? Es muss offensichtlich geplant gewesen sein, das „Bill" (er warf Bob beim Namen seines Vaters einen entschuldigenden Blick zu) von einer Ecke des Raumes kam, von der aus man ihn am Besten von der Kamera aus sehen konnte. Die anderen Beiden müssen wohl in einem toten Winkel gestanden haben, wie man so schön sagt. Wahrscheinlich war es geplant, nur deinen „Vater" auf den Kameras zu sehen."
Justus redete zwar zu Ihnen, aber meistens klang es so, als redete er mit sich selber.
„Herzlichen Glückwunsch, Dumpfbacke. So weit sind wir auch schon, dass man Bobs Vater als Täter darstellen wollte." grunzte Peter und tippelte nervös mit den Fingern auf seinem Unterarm herum, den er unter seinem anderen Arm verschränkt hielt.
Justus achtete kaum auf den Seitenhieb und schlenderte weiterhin durch den Wohnwagen.
Bob hatte sich die ganze Zeit nicht getraut, den Föhn anzumachen und den Gedankenfluss zu stören. Doch Peter warf ihm einen beinahe mütterlich besorgten Blick zu.
„Du wirst krank, wenn du dich nicht föhnst."
Bob musste darüber lachen.
Peter war zwar immer besorgt um sich selbst, aber genauso war er auch besorgt um Ihn und Justus.
Also föhnte er sich eine Weile auf der untersten Stufe. Die Wärme die seinen Nacken traf brachte alle seine Haare zum stehen. Er bekam Gänsehaut, doch die warme Luft tat so gut.
Er hatte erst jetzt gemerkt, dass seine nassen Haare das ganze Sofa voll-getropft hatten.
Es war ein wenig unangenehm, darin zu sitzen.
Plötzlich hob Justus die Hand.
Bob schaltete beinahe sofort den Schalter aus, und sah Justus erwartungsvoll an.
„Ich habe eine Idee, Kollegen. Wisst ihr, wer mir sofort eingefallen ist, als ich an deinen Vater gedacht habe?"
Justus stellte rhetorische Fragen so, als wolle er dass man glaubte, man solle sie beantworten.
Bob und Peter zuckten mit den Schultern.
„Wer hat etwas gegen deinen Vater, Bob? Wer will deinen Vater schon lange loswerden und für wen hat dein Vater gelogen, weil er es musste? Wessen Geheimnis kennt dein Vater, und wurde dafür verfolgt? Und wen haben wir dafür ins Gefängnis gebracht?"
Bob musste nicht lange überlegen.
Er wusste es, weil ihn dieser Fall seit Jahren begleitete. Er saß in seinem Nacken, in seinem Hinterkopf, beinahe so sehr wie Clarissa Franklin.
Peter schien es auch zu wissen. Beinahe gleichzeitig sagten sie es.
„Der teumessische Fuchs"

Die drei Fragezeichen und der falsche Verbrecher Where stories live. Discover now