Kapitel 4: Totenstille

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Binnen weniger Sekunden waren die Drei zurück im Auto.
Peter war am Steuer, denn er fuhr bekanntlich am schnellsten. Und am waghalsigsten.
Das machte Bobs derzeitige Übelkeit nur noch schlimmer.
Er zitterte furchtbar und musste sich zusammenreißen, nicht aus dem Fenster zu kotzen. Peter hielt ihm eine Tüte hin.
„Sollten wir nicht Cotta informieren?" fragte Justus angespannt, der neben Peter auf dem Beifahrersitz saß. Bob hatte sich flach hinten auf die Rückbank gelegt und guckte an die Decke von Peters rotem MG.
Alles drehte sich, doch er schaffte es zu nicken.
„Das mach ich am Besten gleich." sagte Justus und zog sein olles Tastenhandy raus. Solche, die man noch aufklappen musste. Er bestand darauf, ein Arbeitstelefon zu haben. Sein IPhone benutzte er nur für private Anrufe, was bedeutete: Mathilda, Titus, Peter und Bob.
Und bei Peter und Bob kniff er mächtig ein Auge zu, denn auch die rief er sonst meist mit dem Arbeitstelefon an.
Justus wippte nervös mit dem Bein und biss sich auf der Unterlippe herum. Es half Bob nicht, dass seine Freunde genauso nervös waren wie er. Es machte alles nur viel viel schlimmer.
Seine Mutter war nie großer Fan von Bills und Bobs Waghalsigkeit gewesen. Die Immobilienmaklerin beharrte darauf, die Detektivarbeit tat Bob nicht gut, was auch ein Grund dafür war, dass sie Justus nicht leiden konnte.
Justus tat immer so, als würde ihn das nicht stören, aber insgeheim wusste Bob, dass Justus es hasste von Eltern nicht gemocht zu werden.
Er wollte immer allen Erwachsenen beweisen, das die Drei das Richtige taten.
Peter meinte oft, es läge daran, dass er Eltern Komplexe hatte.
Was wohl stimmte, mal Spaß beiseite.
„Cotta" sagte Justus etwas zu euphorisch.
„Wir haben ein Problem. Aha. Ja. Bei der Familie Andrews wurde eingebrochen. Wird eingebrochen. Jetzt grade. Genau, Santa Monica Street 45B. Richtig. Bitte machen sie schnell, wir sind ebenfalls auf dem Weg."
Bob fühlte sich, als würde ihm all sein Essen hochkommen und er drückte es zurück gen Magen. Peter warf ihm einen besorgten Blick zu.
Bob winkte nur ab und lehnte sich über die Tüte.
„Bis gleich." sagte Justus und drückte den roten Auflegeknopf auf seinem alten Museumsstück.
Als sie an der Buchhandlung vorbeifuhren, murmelte Bob etwas von „nächste rechts", doch Peter fuchtelte aufgeregt mit der Hand.
Das konnte entweder bedeuten „das weiß ich doch Dritter", oder „konzentriere dich mal lieber aufs Kotzen."
Als sie rechts reinfuhren, fühlte sich Bob ausgekotzt genug, um sich wieder hinzusetzen.
Er wischte sich den Mund trocken und blickte angeekelt auf die Tüte in seiner Hand.
„Sorry" murmelte er zu den Beiden, doch Justus schüttelte nur mitfühlend den Kopf.
„Mach dir keinen Kopf Dritter. Ich wär auch so ängstlich, wenn meine Mutter in Gefahr wäre."
Er macht eine kurze Pause.
„Wenn ich noch eine hätte."
Peter und Bob tauschten einen verunsicherten Blick aus und Justus sah nur unbeeindruckt hinunter auf sein Tastenhandy. Leute verunsichern war wahrscheinlich mit eine seiner Lieblingsbeschäftigungen.
Neben Algebra und geschwollen Reden.
Nach einigen Minuten kamen sie bei der Hausnummer 45 an, bei der man durch eine kleine Gasse rechts von Haus zur B kam.
Die Drei stiegen aus dem Auto aus.
Es war nicht nur totenstill sondern auch zappenduster und Bob wusste, dass Peter weiche Knie bekam.
Er knuffte ihm in die Seite, und lächelte ihn unterstützend an. Möglicherweise sah das jedoch einfach gequält aus, da ihm immer noch sehr schlecht war, denn Peter legte ihm einen Arm an die Hüfte um ihn zu stützen.
Bob war zu müde, um Peter zu sagen, dass er ihn eigentlich nur mit einem Lächeln motivieren wollte, nicht auffordern, ihn hochzuhalten. Doch im Endeffekt stabilisierte das Peters weiche Knie auch.
„Was machen wir" flüsterte Justus zischend und drehte sich zu den Beiden um.
„Wir können wohl kaum einfach klingeln und rufen ,Hallo Mrs Andrews und ihr unerwünschter Besucher! Wollen sie uns reinlassen?'" Sagte Justus und zeigte verwirrt auf Bob, der sich schlaff an Peter Schulter lehnte. „So schlimm?"
„Hm. Sieht so aus."
„Ne ich tu nur so." murmelte Bob und rümpfte die Nase.
„Lustigerweise hab ich den Schlüssel zur Hintertür Just. Ich wohn nämlich hier."
Er befreite sich aus Peters Griff und watschelte taumelnd zur Hintertür. Sein Kopf hämmerte wie verrückt, doch er hatte wenigstens nicht mehr das Gefühl, in die Büsche kotzen zu müssen. Er zog den Schlüssel aus seiner Hosentasche und das Schloss klickte leise auf.
Er blickte über die Schulter zu Justus und Peter. Alle Drei wussten nicht so recht, wie sie am Besten vorgehen sollten.
Sie hatten keine Waffen, kein Pfefferspray, nicht einmal eine Attrappe um den Einbrecher oder die Einbrecherin zu erschrecken.
Langsam trat Bob in die Küche ein und schnappte sich eine Bratpfanne, die noch auf dem Herd gestanden hatte. Auch Peter griff nach dem ersten waffenähnlichsten was er finden konnte, bei dem es sich um einen Besen handelte, der hinter der Tür angelehnt war.
Justus hielt die Taschenlampe.
Langsam gingen sie durch die Küche ins Wohnzimmer.
Der Kamin glühte noch leicht, und die Überdecken auf dem Sofa waren ordentlich gefaltet auf die Kante gelegt worden.
Es sah jedenfalls nicht so aus, als wäre der Verbrecher hier gewesen.
Plötzlich schreckten die Drei zusammen, als mit lautem scheppern oben etwas zu Boden krachte. Ein lauter Schrei ertönte und ohne lange nachzudenken rannte Bob die Treppen nach oben und blickte sich aufgeregt um.
Peter und Justus folgten ihm und Peter zeigte auf das Arbeitszimmer.
„von da!" sagte er, immer noch flüsternd, und zog die Tür auf. Mit erhobener Pfanne trat Bob in den Raum. Auf dem Boden hockten seine Mutter, und ein Mann, der um einiges größer war als sie. Er war soeben dabei, ihr den Mund mit Gaffer zuzukleben, als Bob ihm, ohne lange zu Fackeln, die Pfanne über den Hinterkopf zog.
Der Mann knallte etwa einen Meter entfernt mit dem Kopf auf den Schrank, schnaufte und hielt sich die Stirn. Er war zwar benommen, aber noch bei Bewusstsein. Er rieb sich den Hinterkopf und versuchte wieder aufzustehen, doch stolperte über Justus Fuß und flog geradewegs auf sein Gesicht.
Schnell griff Justus nach seinen Händen und drückte sie auf seinen Rücken, um sie mit dem Gaffer zu fixieren.
Peter tat das Gleiche mit seinen Beinen.
Bob erkannte schnell, um wen es sich handelte.
Sonnenbraune Haut, und ein dünner Schnauzer über der Oberlippe.
Ohne Zweifel. Es handelte sich um den entflohenen Clint Brooks.
——
Nachdem sie Bobs Mutter von dem Gaffer befreit hatten, traf auch Cotta ein.
Justus hatte es in der Zwischenzeit geschafft, den benommenen Einbrecher mit Fragen zu durchlöchern.
„Was wollten sie hier?" Justus leuchtete dem stämmigen Mann direkt ins Gesicht, sodass er es abwenden und die Augen zusammenkneifen musste.
Er antworte nicht, so dass Peter warnend den Besen hob.
„Ich hab etwas gesucht." grummelt der schnauzbärtige Mann und wandte das Gesicht ab.
„Was?" fragte Peter, mit weiterhin erhobenem Besen.
„Ich denke, ich weiß ,was'" sagte Bob, der hockend in der Ecke des Arbeitszimmers saß. Er hatte ein paar loser Dielen gefunden und aus dem Boden herausgehoben.
Darunter war eine kleine Höhle, in der er zaghaft herumgefühlt hatte. Nachdem er in ein Spinnennetz gegriffen hatte, musste er sich erst einmal zusammenreißen, weiter zu suchen.
Irgendwann hatte er ein kleines Kästchen zwischen den Fingern, was er nun verwirrt hochhielt. Bobs Mutter blickte ihm neugierig über die Schulter.
„Wag es nicht, dass zu öffnen!" keifte der Mann und rutschte hin und her.
„Dahinter war er her?" sagte sie, und griff über Bobs Schulter danach.
„Was ist daran so besonders?" fragte Justus den Mann und leuchtete ihm direkt ins Gesicht.
Der knurrte nur etwas unverständliches und versuchte weiterhin aufgeregt, sich aus den Gafferfesseln zu befreien.
Zaghaft zog Bobs Mutter eine Kette mit einem glänzenden Anhänger aus der Kiste. Es hatte eine eigenartige Form, beinahe wie ein Tropfen. Justus schnellte auf.
„Ich weiß was das ist!"
„Natürlich weißt du das." keifte Peter mit dem Besen über der Schulter.
„Ein verschollenes Objekt der kalifornisch stämmigen indischen Ureinwohner, der Tongva. Sie verehrten die Gottheit Quaoar, eine gestalts- und geschlechtslose SchöpferIn. Danach ist auch das Artefakt benannt. Die Träne der Quaoar."
Justus beäugte das Objekt neugierig und widerwillig drückte Mrs. Andrews es ihm in die Hand.
„Du klaust mir meine ganze Recherchearbeit Just." grummelt Bob kleinlaut.
„Woher weißt du das Bürschchen?"
Der Mann saß nun völlig regungslos gegen die Wand gelang, die Beine angezogen und die Arme immer noch hinterm Rücken fixiert.
„Wenn man sich ein bisschen für die grausame amerikanische und urbane Geschichte Kaliforniens im spezifischen interessiert, sollten man wenigstens von den Tongva wissen. Über das Amulett habe ich in einem Buch gelesen. Ein lange Zeit verschollenes Artefakt, was von den Räubern des Dorfes geklaut und lange Zeit weitergegeben wurde. Irgendwann ist es verloren gegangen."
„Unsinn!" keifte der Mann und rückte näher an die Vier heran, doch Peter hob drohend den Besen.
„Warum Unsinn?" sagte Justus ruhig, das Amulett fest in der Hand.
Dem Mann fielen einige Strähnen seines glänzenden und mit Gel beschmierten Haares ins Gesicht. Er sah verrückt aus, wie er schwer aus und einatmete. Beinahe besessen.
Er guckte auf den Boden. Er hatte wohl zu viel gesagt.
„Du kleiner elendiger Wurm, gib den Scheiss her!" schrie er und schlug mit den Händen auf sein Knie ein. Er versuchte so das Gaffer zu durchtrennen, doch es half nichts.
„Beruhigen sie sich doch!" sagte Peter nervös, den Besen immer noch schützend über seinem Kopf.
„Nh scheiss Dreck mach ich! Das ist meins! Mein Amulett!"
Brooks spuckte einige Meter weit während er redete, so dass er sogar Bob auf den Schuh traf. Angewidert verzog der sein Gesicht und streifte es am Teppich ab.
„Rechtmäßig gehört es den Nachfahren der Tongva, wenn diese überhaupt existieren, nachdem britischen Kolonisten das Gebiet ausgeraubt und alle Einwohner umgebracht haben. Aber ganz sicher gehört es nicht Ihnen."
Bob verspürte das angemessene Bedürfnis, seinem Freund respektierend auf den Rücken zu klopfen, doch er war immer noch fokussiert auf die Spucke Tropfen die nun überall auf dem Teppich verteilt waren. Ekelhaft.
Darauf erwiderte der Mann nichts und wendete nur angewidert den Blick ab und schnaubte. Justus schien das Recht zu sein, denn er steckte das Amulett zurück in die kleine Schachtel und verstaute diese in seiner Nachrichtentasche.
Es war immer kompliziert, wenn die Drei Artefakte fanden. Es war nicht nur ein Katze-Maus Spiel mit den Verbrechern sondern auch in gewisser Art und Weise auch der Polizei gegenüber. Denn Justus musste nun überlegen, ob er es zur eigenen Recherche mit in den Wohnwagen nehmen würde, oder schweren Herzens Cotta übergeben.
So wie Bob seinen Freund kannte, würde er das Richtige tun und es übergeben.
Und das tat er auch, als Cotta kam. Aber nicht nachdem er ihm einen 5 stündigen Vortrag  über die Wichtigkeit des Amuletts gehalten hatte. Cotta zwirbelte den Schnurrbart zwischen den Fingern während er so tat als würde er aufmerksam zuhören.
Justus bemerkte diese falsche Nummer wohl nicht, denn er quasselte einfach weiter, solange bis Peter ihm einen Hieb in die Seite verpasste.
„Ich denke, Cotta hat es verstanden Chef."
Justus nickte bedacht und überreichte die Kette mit dem wertvollen Anhänger dem korpulenten Chief des Polizeipräsidiums.
Cotta bedankte sich noch einmal, während er den großen, verärgerten Mann am Kopf in das Polizeiauto schob.
„Der wird wieder eingebuchtet. Dank euch. So nervtötend und gefährlich eure Einzelgänge manchmal sind, so sind sie teils doch hilfreich. Das muss ich zugeben." murmelte er durch den dichten Bart. Er schüttelte Mrs. Andrews die Hand und versicherte sich mehrmals, ob er sie nicht doch zum Krankenhaus fahren solle.
Ihr war wohl sichtlich noch immer schwindlig von der Situation, doch sie winkte ab und zog Bob zu sich heran.
„Mir geht es gut. Ich muss doch auf den Jungen hier aufpassen, Kommissar. Eine Mutter im Krankenhaus und einen Vater im Gefängnis braucht ein Jugendlicher nun wirklich nicht."
Bob presste die Lippen zusammen und warf seinen zwei Kollegen einen peinlich berührten Blick zu, die nur unsicher zurück grinsten.
Der Kommissar war wohl selbst überfordert und stotterte die Verabschiedung nur so vor sich hin.
Schließlich, als er ins Auto gestiegen war, setzten sich die 4 bei einer Tasse warmen Kakao an den Tisch und Bob erzählte im Beisein seiner Mutter alles was ihm sein Vater am Mittag des gleichen Tages im Gefängnis mitgeteilt hatte.
„Ja und, dann kam der Alarm."
Peter hatte einen Bart aus schokoladiger Milch über der Oberlippe den er nun genüsslich ableckte, während Justus seinen Kakao noch kaum angerührt hatte.
„Interessant. Und du bist dir sicher, das er RUXTON gemorst hatte?" fragte Justus rührte nervös in seiner Tasse herum.
Bob stöhnte und machte die Fingerbewegung seines Vaters mit Tippen auf dem Küchentisch nach.
„So. Das ist das, was ich gehört habe. Und für die Vokale hat er die Anfangsbuchstaben von Sätzen benutzt, die er dazwischen gesagt hat, da bin ich mir sicher."
Bob versuchte, sich an die genauen Sätze zu erinnern. Plötzlich fuhr ein Schreck durch seine Glieder. Er schlug sich gegen die Stirn.
„Unter den Dielen oben im Büro ist mein Logbuch." murmelte er benommen.
Das Logbuch. Wo war es.
War der falsche Journalist wirklich hinter dem Amulett her gewesen, oder war es garnicht das Artefakt.
Vielleicht, war er eigentlich auf der Suche nach dem Buch.
Bob sprang beinahe so ruckartig auf, dass er den Tisch nach vorne umwarf.
Dieser ruckelte kurz und Peter, Justus und seine Mutter hielten die Henkel ihrer Tassen fest. Bob stürmte nach oben in das Arbeitszimmer seines Vaters.
Er wühlte in dem kleinen Loch unter den Dielen, bis er sich eingeredet hatte, dass er in den Ecken das weiche Fell einer Wolfsspinne gespürt hatte. Dann zog er die Hand schnell wieder hervor und schüttelte sie einmal kräftig.
Dort war nichts mehr.
Kein Logbuch, keine weitere Einkerbung.
Er erschrak so sehr, dass er sich die Stirn halten musste. Ihm war wieder so furchtbar schlecht.
„Bob" echote Peters Stimme in seinem Ohr. Er kniff die Augen zusammen. Der Junge hatte eine Hand auf seinem Arm abgelegt und in der anderen hielt er ein kleines rotes Buch mit Lederumschlag.
„Es lag in der Ecke."
Bob atmete erleichtert aus. Er hielt sich die Brust und umarmte Peter aus Schock.
Der war etwas verwirrt, denn er klopfte dem Jungen nur auf den Rücken.
Doch es ging hier immer noch um Bobs Vater.
Seine Unschuld. Das war es, was sie beweisen wollten. Und hätte dieser Brooks das Logbuch gestohlen, hätte er es ihnen womöglich deutlich schwerer gemacht, als es sein muss.
Er griff nach dem Buch und fuhr mit dem Finger darüber.
In einer goldenen Schrift war das Wort „Tagebuch" vorne in das Buch eingekerbt worden. Seine zwei Kollegen und seine Mutter ließen ihren Kopf über seine Schulter hingen um ebenfalls etwas sehen zu können.
Doch als Bob das Buch aufschlug, war es leer.

Die drei Fragezeichen und der falsche Verbrecher Where stories live. Discover now