Obolus

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„Siehst du? Schon bin ich durch! Ich bin für dich vielleicht verschwommen, aber... das ist... egal...?" Vanja blickt zu dem Ort an welchem das Portal vorher noch gestanden hatte und blinzelt ein paar Mal. „Uhm... das ist jetzt doof." Das Portal ist weg. Eiskalt. Oder ist das nur eine Einbahnstraße? Hm, gute Frage. So, wo ist sie hier eigentlich? Mit den Händen in die Hüften gestemmt dreht sie sich um und sieht sich um, schnalzt mit der Zunge und nickt leicht. „Das hier ist definitiv nicht mehr London." Das ist das einzige was sie dazu noch irgendwie sagen könnte. Schroffe Felsen, viel bergauf und bergab laufen ist wohl angesagt. Es ist angenehm warm, nicht zu heiß und nicht zu kalt. Der dunkle Himmel würde einen sehr guten Hintergrund abgeben, weswegen sie ihr Handy rausholt und ein Foto macht. Und, wie im Schloss, hier gibt es auch kein Netz. Mist. Google Maps ist also raus, das kann sie wohl nicht mehr nutzen. Da sie nicht mehr zurückkann, ist erkunden wohl ihre einzige Option und sie ist ein wenig enttäuscht, dass sie von der Harpyie keinen Tipp für ihre Haare bekommen hat. Ein wenig unfair ist das schon! Aber was will man machen, sie war ja nett und hat die Fragen beantwortet die sie hatte. Man könnte schon fast meinen das hier wäre die Hölle! Moment, hat die Harpyie nicht irgendetwas von ‚Übergang ins Totenreich' geredet? Erneut sieht sie sich um und legt den Kopf schief. „Also für das Totenreich... ist hier überraschend wenig los." Dann hebt sie ihre Hände an den Mund und formt einen Trichter. „HALLO?" Gespannt wartet sie darauf etwas zu hören oder zu sehen, aber nichts. Es kommen keine Wesen oder Menschen, niemand scheint hier zu sein. Aber sie kann zumindest einen Fluss in der Ferne erkennen und- Ah! Da sind ein paar Menschen! 

Mit neuem Mut nimmt Vanja den Weg dorthin als eine kleine Wanderung hin und findet, dass es hier nur ein wenig runtergekommen ist. Man könnte sicherlich eine Wiese oder so hier auftauchen lassen, ein paar Bäume, Sonnenschein! Das würde alles gleich ein wenig freundlicher gestalten. Wer auch immer diesen Teil des Totenreichs eingerichtet hat, gehört definitiv in eine Schulung gesteckt. Um sich ein wenig zu beruhigen drückt sie auf der Ananas herum, tut immer gut. Schon bald kann sie das wehklagen hören, welches von den Menschen an dem Fluss kommt. Ein einzelnes Boot schwimmt einsam und fast allein auf dem Wasser, nur eine vermummte Gestalt steht darauf und blickt in die Richtung des Ufers, an dem alle nach dieser Gestalt zu greifen scheinen. Auf der anderen Seite des breiten Flusses geht es zwar weiter, aber Vanja kann nicht so wirklich erkennen wohin und so geht sie zu den anderen Menschen, versucht zu hören wieso sie alle so aufgeregt sind. Sie hört aber immer nur dass man das nicht zahlen könnte, dass man heutzutage doch niemandem mehr ein Geldstück unter die Zunge oder auf die Augen legen würde und dass man hier doch nicht hunderte Jahre herumstehen könne nur weil man den Obolus nicht zahlen könnte. Die Hüterin schafft es nicht einmal jemanden anzusprechen, zu sehr sind sie in ihrer Wut versunken und bemerken sie nicht einmal. Und als sie jemanden versuchen möchte anzufassen, gleitet ihre Hand einfach durch den Körper hindurch. Erst da bemerkt sie die leicht durchscheinbaren Gestalten, die durch die Menge eigentlich relativ fester Natur wirkten. Einmal kurz den Aggregatszustand geändert, hm? Aber gut, wenn dass hier das Totenreich ist, dann werden dass hier dann wohl auch die Toten sein und wozu brauchen die noch einen Körper? 

Mit einem Mal setzt sich der Fährmann in Bewegung. Ein langer Stock dient ihm zur Fortbewegung und die Toten um sie herum werden richtig aufgeregt, weswegen sich Vanja dann doch lieber wieder zurückzieht. Das ist ihr eindeutig zu viel auf einmal und damit kommt sie definitiv nicht klar. Aus einem sicheren Abstand, sie ist einen kleinen Hang hinauf und weg von der Masse gegangen, kann sie beobachten wie der Fährmann an einem hölzernen und sehr schlicht gehaltenen Steg anlegt. Ob jetzt einer der Toten einsteigt? Wie viele passen da wohl drauf? Sicherlich nicht alle, denn links und rechts kommen immer mehr, betteln und flehen, um bei ihm mitzufahren. Offensichtlich heißt er Charon, schöner Name. An sich wartet sie nur darauf wen er mitnimmt, denn sie ist als letztes aufgetaucht! Also wird sie auch erst ein wenig später mitgenommen. Ihre Augen weiten sich, als die durchscheinenden Toten mit einem Mal auf die Seite geschoben werden, als würde irgendeine unsichtbare Macht sie einfach wegschubsen. Eine Gasse bildet sich und Charon hebt seinen Arm, unter dem langen, schwarzen Ärmel erscheint eine gebrechlich wirkende Hand und deutet die geschaffene Gasse entlang- Direkt auf Vanja. Die aber dreht sich erst einmal um, da wird doch sicherlich irgendjemand hinter ihr stehen! Aber nein, tut es nicht. Also sieht sie wieder nach vorn und deutet auf sich, woraufhin die Kapuzengestalt den Kopf neigt und sich wartend aufrichtet. Nur unsicher und mit eingezogenem Kopf geht sie los, hört die Beschimpfungen dass es nicht sein kann dass man sie als erstes rüber lässt und wie unfair das gesamte System wäre, wie rückständig.

The Dragon LairWhere stories live. Discover now