Auf den Arm genommen

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Ella blieb noch auf dem Tisch sitzen. Kay war eine bemerkenswerte junge Frau und schien keinerlei Probleme mit ihrer Persönlichkeit zu haben oder der Tatsache, dass sie im falschen Körper geboren wurde. Sie hatte sich zwar noch nie zu Trans-Personen hingezogen gefühlt, aber für alles gab es ein erstes Mal. Sie würde keine Grenze bei Kay überschreiten, aber es eröffnete ihr für ihr eigenes Beziehungsleben neue Horizonte und dafür war sie ihrer jungen Schülerin jetzt schon dankbar. Vielleicht hatte sie deswegen so heftig auf Kay reagiert, weil sie sich beide gleich als Teil der gleichen Community erkannten. Auch wenn Sie natürlich 15 Jahre trennten, aber das war in der Welt ihrer LGBTQ-Gemeinschaft nicht relevant. Sie hoffte, dass sie Kay auf ihrem weiteren Weg unterstützen konnte, sollte sie doch einmal Probleme haben. Sie seufzte und verließ den Raum in Richtung Klassenzimmer.

Dort angekommen wurde sie von ihrer neuen Kollegin Monika strahlend begrüßt. 

„Und, wie findest Du deine neue Klasse? Was sagst Du zu Kay?"

„Die Klasse ist wirklich toll! Ich habe ein gutes Gefühl und Kay ist eine bemerkenswerte junge Frau. Ich bin froh, dass die Klasse sie so akzeptiert."

„Wieso sollte die Klasse sie nicht akzeptieren?" Fragte Monika verwirrt.

„Naja, die Schüler: Innen haben selbst, gesagt, dass hier auf dem Land nicht so offen mit Homosexualität und weiteren Themen umgegangen wird. Also Kay hat das gesagt, sie muss es ja wissen, aber die Klasse scheint keinerlei Probleme damit zu haben."

„Ella also ich weiß nicht, irgendwie reden wir aneinander vorbei. Was meinst Du denn?"

„Naja, ich habe dir ja gesagt, dass ich offen mit meiner Sexualität umgehe und das tue ich auch vor meiner Klasse. Ich möchte für alle eine vertrauensvolle Ansprechpartnerin sein und die Toleranz immer weiter fördern. Da hat Kay aber anscheinend schon ganze Arbeit geleistet."

„Ich wusste gar nicht, das Kay lesbisch ist."

„Nein, also das weiß ich nicht, aber so dazu zu stehen, im falschen Körper geboren worden zu sein und sich nicht zu verstecken, das finde ich toll! Insbesondere in dem jungen Alter!"

„Was?!" Monika brach in schallendes Gelächter aus! „Wie kommst Du denn darauf?!"

„Naja, wegen ihrem Namen und als ich sie vorhin darauf angesprochen habe, hat sie es auch nicht geleugnet."

„Sie hat Dir gesagt, sie wurde im Körper eines Jungen geboren?"

„Nein, nicht so direkt. Aber auf meine Fragen hat sie jetzt auch nicht verneinend geantwortet."

Monika gluckste. „Das ist mir eine. Ich kenne Kay seit sie geboren ist und versichere Dir, sie war schon immer ein Mädchen und reift nun zu einer wunderschönen jungen Frau."

„Ja, das habe ich auch gesagt. Was, warte! Sie ist gar kein geborener Junge?"

Ihre Kollegin giggelte weiter vor sich hin. „Nein!"

„Aber irgendwas muss doch mit Kay sein?"

„Haha, Du ich muss los. Das findest Du schon noch heraus!"

Und so stand ich allein im Lehrerzimmer und konnte nicht fassen, dass ich mich vollends zum Idioten gemacht habe. Sowohl vor Monika als auch vor Kay. Na die kann was erleben!

Am Nachmittag machte es sich Ella in dem gemütlichen Ohrensessel in ihrem Wohnzimmer bequem und fing damit an, den Klassenchat bei WhatsApp anzulegen. Ihr Blick verweilte bei Namen und Nummer von Kay etwas länger. Die Schrift war perfekt. Weiblich aber schnörkellos, elegant. Was nur hatte Kay an sich? Sie schien sowohl von den Schüler: Innen als auch Lehrer: Innen als etwas Besonderes wahrgenommen zu werden. Und Ella wusste vom ersten Augenblick an, dass es der Wahrheit entsprach. Kay, mit ihren blauen Augen, dem schulterlangen braunen Haar und unschuldigen rosa Lippen, die hoffentlich noch nicht geküsst wurden. Warum dachte sie so? Weil Du die erste sein willst flüsterte ihr Hirn leise. Oh Gott, sie musste höllisch aufpassen. Sie durfte Gedanken haben, wer sollte ihr das verbieten? Aber sie durfte nie eine Grenze überschreiten. Nicht, so lange sie Kays Lehrerin war und schon gar nicht, so lange Kay nicht volljährig war. Wobei sich das Problem der Volljährigkeit im Laufe des Jahres ändern sollte. Und dann höhnte meine innere Stimme, kündigst Du? Ella fürchtete, dass ihr ein ganz schön großes Dilemma bevorstand. Sie seufzte. Kay verkörperte leider das, was sie sich schon immer gewünscht hatte. Sie hatte schon immer den Traum, einmal im Leben einer Frau die Erste zu sein. Sie wollte einmal diese bedeutende Rolle einnehmen, nur hatte sie dabei immer an eine Frau in ihrem Alter gedacht und nicht an eine ihrer Schüler: Innen. Aber Kay hatte sie auf den ersten Blick gefangen genommen und ihren tief vergrabenen Wunsch wieder an die Oberfläche geholt, der nun sehr präsent in ihren Gedanken als auch zwischen ihren Beinen hockte. Es änderte nichts. Kay war Tabu. Aber sie hatte Ella zu zwei Erkenntnissen verholfen und das bereits an ihrem ersten Schultag. Mal sehen, zu welchen Erkenntnissen Ella hier auf dem Land sonst noch kam. Am Ende entdeckte sie noch ihre Abenteuerlust und wurde zu Simones Traumfrau. Sie lachte innerlich kurz auf, wenn auch etwas Verzweiflung mitschwang. Soweit würde es nicht kommen.

Hallo liebe Klasse. Hier ist nun unser Klassenchat und ich hoffe, ich habe niemanden vergessen. Habt einen schönen Abend und bis morgen! Ella Martin :)

Sie schmunzelte über die freundlichen Rückmeldungen und hoffte, sie konnte den Chat wirklich für wichtige Informationen nutzen und wurde jetzt nicht täglich zugespamt. Aber sie hatte bei dieser doch für sie sehr reif erscheinenden Klasse ein gutes Gefühl und einen ganz besonderen positiven Aspekt hatte ihr Einfall – sie war im Besitz der Nummer von Kay. Um es nicht allzu auffällig zu gestalten, speicherte sie jede Nummer einzeln ab und lernte so schon einmal die Namen die sie hauptsächlich in den nächsten zwei Jahren betreuen würde, auch wenn sie noch nicht zu jedem Namen ein Gesicht hatte. Obwohl sich eigentlich nur ein Gesicht in ihren Kopf eingebrannt hatte.

Da hast Du mich ja ganz schön auf's Glatteis geführt! VG Frau Martin

Hihi, Entschuldigung Frau Martin! Ich konnte nicht anders....

Ich hoffe, Du weißt, dass hier noch eine Revanche folgt?!

;) Ich freue mich darauf!

Ganz schön schlagfertig die junge Dame! Da musste sie sich etwas einfallen lassen und höllisch aufpassen.

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