6. Distanz

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Yasmin

So wütend wie ich auch auf Herrn Dornfeld bin, habe ich Klara nicht darauf angesprochen. Ich wollte es, als sie jedoch in das Esszimmer kam, sah sie so fertig aus.

Ihre Augen waren leicht geschwollen, vermutlich hat sie im Badezimmer noch einmal geweint. Doch ihr trauriges, gezwungenes Lächeln, sowie das Zittern in ihrer Stimme zerschlug mir vollends das Herz. Ich konnte Klara noch nicht damit konfrontieren.

Trotzdem herrscht momentan eine schier unüberwindbare Distanz zwischen uns. Ratlos sitze ich noch immer auf demselben Stuhl, auf dem ich mein Frühstück zusammen mit Klara gegessen habe. Vorhin saß sie mir noch gegenüber, bevor sie in ihr Schlafzimmer verschwunden ist.

Sie meinte, sie müsse für ihre Biologie Prüfung lernen. Obwohl ich wusste, dass dies gelogen ist, habe ich sie gehen lassen. Es fühlt sich schrecklich an zu merken, wie sie innerlich mit sich kämpft und das wahrscheinlich schon seit mehreren Monaten.

Dennoch schien sie genauso überrascht wie ich, was ihre Panikattacke betraf. Ich will ihr wirklich den Freiraum geben, um das alles zu begreifen, doch dieser Freiraum entwickelt sich immer mehr zu einem einengenden Käfig, den Klara um sich selbst errichtet.

Ich bemerke es erst gar nicht, doch höre wie ein Tropfen auf meinem Teller landet. Eine Träne. Erschrocken wische ich mit meinen Fingern über die Wange.
So kann das nicht weiter gehen, ich muss etwas tun.

Tief atme ich durch und räume das Geschirr in die Spülmaschine. Klara hat kaum etwas gegessen, die Hälfte ihres Sandwiches liegt unberührt auf ihrem Teller. Ich wickle Frischhaltefolie um die Reste und stelle sie in den Kühlschrank. Vielleicht bekommt Klara später noch Hunger.

Entgegen meines Bedürfnisses in das Schlafzimmer zu stürmen und nachzusehen, ob es ihr gut geht, setze ich mich auf das Sofa im Wohnzimmer.
Doch still sitzen kann ich nicht, ohne zu zögern hole ich mein Handy hervor und gehe ins Internet.

Ich finde viele Artikel, wie man am besten bei einer Traumabewältigung vorgeht. Auch stoße ich auf einige Hinweise und Tipps wie man als Außenstehende Person helfen kann.
Unzählige Screenshots landen in meiner Fotogalerie. Ich werde alles versuchen, um Klara bestmöglich zu helfen.

Fragt sich nur wo ich da anfange. Die Sonne durchflutet in dem Moment kräftig die hohen Fenster. Ja, ein Spaziergang scheint mir ein guter Startpunkt zu sein. Ob man es glaubt, oder nicht die Natur kann Wunder bewirken. Hoffentlich verfehlt sie auch heute nicht ihre Wirkung.

Entschlossen klopfe ich an Klaras Tür. Ich warte kurz, bis sie mir antwortet, bevor ich sie öffne.
Klara sitzt mit ihren Beinen eng am Körper auf dem großen Bett, vor ihr liegen mehrere offene Bücher.
Ein schlechtes Gewissen beschleicht mich, das ich sie gerade wirklich beim Lernen störe.

Ich zögere. „Ehm, ich wollte spazieren gehen. Willst du mitkommen?"
Stille macht sich breit. „Es ist schönes Wetter draußen." füge ich noch hinzu, in der Hoffnung sie überreden zu können.
Für einen Moment denke ich, sie verneint mein Angebot, doch zu meiner Erleichterung nickt sie.

lauwarm verbundenWhere stories live. Discover now