𝓟𝓻𝓸𝓵𝓸𝓰

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Sein Herz schlug in einem wilden, unregelmäßigen Takt und drohte dabei in seiner Brust zu zerbersten. Jeder noch so geringste Atemzug fühlte sich an, als würden tausende von eisigen Nadeln seine Lungenflügel durchbohren. Jede noch so kleinste und unbedeutendste Faser seiner Muskulatur fügte Areth ungeheuerliche Schmerzen zu. Immer dann, wenn er einen weiteren Schritt vor den anderen setzte. Schweiß perlte über seinen gesamten Leib und durchtränkte das alte vergilbte Leinenhemd sowie die braune, zerschlissene Hose. Seine Finger krallten sich verkrampft in das raue Leder der kleinen Tasche, die er bei sich trug und hütete, als würde sich darin ein kostbarer Schatz befinden.

Seine Rüstung hatte er bereits vor Tagen abgelegt, da der strapazierte Körper diese Last nicht mehr zu tragen vermochte. Geblieben war nur sein treues Schwert, das an seinem Gürtel befestigt war und mit jeder Bewegung gegen seine Hüfte prallte. In den einst sauber polierten Stiefeln schwammen die Füße des Mannes bereits in Blut und erschwerten ihm dabei jeden weiteren Schritt, den er sich durch die unwegsame Natur bahnte. Das Moor hatte keinerlei Erbarmen mit ihm. Ebensowenig Mitleid hatten die unzähligen Stechmücken und das andere Ungeziefer, das seine Haut befiel und ihm das Leben zusätzlich erschwerte.
Vor vier Tagen versank sein Pferd ohne Vorwarnung in einem Loch im Morast. Areth hatte mit aller Kraft versucht, das Tier aus dieser tödlichen Falle zu befreien. Doch am Ende waren seine Kräfte aufgebraucht und alle Versuche eine vergebliche Liebesmüh. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als dem Tier die letzte Gnade in Form eines sauber durchgeführten Schnittes über die breite Kehle zu gewähren. Ein schneller Tod, den er sich selbst nur wünschen konnte.

Denn schon sehr bald wird die Sonne wieder hinter den dichten Baumwipfeln versinken. Eine weitere Nacht ohne Schutz und einem wärmenden Feuer.

Er stockte kurz bei diesem Gedanken. Tief in seinem Herzen wusste Areth es besser. Er wusste, dass er diesen kommenden Sonnenuntergang nicht mehr erleben würde.
Der Mann zwang sich gerade zu einem weiteren Schritt, als der Fuß plötzlich in einem kleinen Wasserloch versank. Vollkommen außer Atem und von allen Kräften verlassen, schaffte er es nicht, diesen Sturz zu verhindern. Ein stummer Schrei glitt von seinen aufgesprungenen Lippen, während sich seine Arme schützend über die kleine Ledertasche schlugen.
Der Aufprall war nicht so hart, wie er es erwartet hatte, dennoch trieb es dem Mann für einen kurzen Moment die Luft aus den Lungen. Keuchend und hustend versuchte er, sich qualvoll auf den Rücken zu drehen, während er blinzelnd die silbrigen Sterne vor seinem inneren Auge tilgte. Er atmete schwer und vernahm dabei nichts anderes als das laute Pochen seines eigenen Herzschlages sowie einen langgezogenen monotonen Ton in seinen Ohren.

Eine kühle Brise strich über die von Schweiß getränkte Haut und ließ Areth für den Bruchteil eines Wimpernschlages erschaudern. Gerade dachte er noch, dies würde der zarte Kuss des Todes sein, so wurde ihm im nächsten Moment bewusst, dass er durchaus noch am Leben war.

Mit verschwommenem Blick betrachtete er die tanzenden Silhouetten des dichten Blattwerks der Bäume und wie sich deren Wipfeln sanft im Wind wogen. Tränen sammelten sich in seinen Augen und ein jämmerliches Schluchzen wurde ausgestoßen.

Schon sehr bald würden seine Verfolger ihn eingeholt haben, ihn ohne Gnade töten und die Tasche an sich nehmen. Areths Körper würde hier an Ort und Stelle zurückgelassen werden und noch in derselben Nacht den Hunger von wilden Tieren stillen sowie Insekten eine gute Brutstätte bieten.

Seine Mission würde scheitern.

Areth war im vergangenen Winter nicht nur in den Dienst der königlichen Leibgarde aufgenommen worden, sondern ebenso Vater eines gesunden Mädchens geworden. Es gab noch so viel zu erledigen in dieser Welt. Er wollte sehen, wie seine Tochter aufwächst. Dies hier konnte noch nicht sein Ende sein.

Unweigerlich wurden die Zähne zusammengebissen und neue Kraft durchfuhr seinen erschöpften Leib. Nein, er wird nicht scheitern! Mit einem kräftigen Ruck rappelte sich der Ritter wieder auf, bis die zitternden Beine endlich sicher auf dem feuchten Boden standen.

Es geschah genau in dem Moment, als sich ein triumphierendes Lachen aus seiner Kehle löste, erklang ein lautes Pfeifen aus dem nahe gelegenen Dickicht. Noch bevor sich Areth bewusst wurde, was gerade geschehen war, fiel er erneut zu Boden und schrie vor Schmerzen auf. Reflexartig griff seine Hand auf seine rechte Schulter und konnte nur noch den hölzernen Schaft des Pfeiles ertasten, der sich durch das Schultergelenk gebohrt hatte.

Dumpf drangen tiefe Stimmen an seine Ohren, ohne dass er dabei ein Wort des Gesprochenen verstand. Benommen von dem pochenden Schmerz erblickte er drei bärtige Fratzen, die sich über ihn beugten und ihm ein heiteres Lächeln schenkten. Dann konnte Areth fühlen, wie er getreten und an ihm gezerrt wurde. Er wollte sich wehren, doch die Schmerzen sowie die Erschöpfung forderten ihren Tribut.

Die drei Männer waren in dreckigen Harnischen gekleidet und konnten optisch mit gemeinen Banditen verwechselt werden.

Doch Areth wusste es besser. Kein Straßenräuber dieser Welt würde sich die Mühe machen, einen Ritter des Königs ganze fünf Tage lang durch eines der gefährlichsten Moore dieser Welt zu jagen. Nein, diese Männer wussten, wer er war und sie wussten, was er bei sich trug.

Auf einmal verschwanden die drei Kerle aus Areths Sichtfeld, nur damit sich ein kahlköpfiger Hüne über ihn beugen konnte. Areth schnappte nach Luft und versuchte, seinen Blick auf den Mann gerichtet zu halten.

„Wer hat euch geschickt?" Drang es keuchend über die trockenen Lippen des Ritters.

Gelächter wurde laut und mit einem Mal packte der Kahlkopf die lederne Tasche, die Areth bei sich trug und entriss ihm diese. Er konnte nur noch das süffisante Grunzen des Kerls hören, als dieser die Tasche öffnete und einen Blick in das Innere warf.

„Sind wir glücklich, Boss?" Kicherte einer der drei Männer und gab dem am Boden liegenden Ritter einen kräftigen Tritt in die Rippen.

„Wir sind glücklich." Bestätigte der Anführer dieser seltsamen Gruppe und steckte seine Hand in das Innere der Tasche. Keinen Moment später holte er einen faustgroßen schwarzen Kristall heraus und hielt diesen demonstrativ in die Luft. Als die letzten Lichtstrahlen des Tages auf den Kristall trafen, begann dieser dunkel zu schimmern und bei genauerer Betrachtung wirkte es, als wäre in dessen Kern eine schwarze Flüssigkeit, die sich wellenartig hin und her bewegte.

„All dieser Aufwand für einen bescheuerten schwarzen Stein?" ergriff einer der drei Männer das Wort und kratzte sich durch das schmierige Haar. Bevor er jedoch eine Antwort bekam, schlug ein schlaksiger Kerl ihm auf den Hinterkopf.

„Idiot, das ist ein Hexenstein." kaum das letzte Wort von den Lippen gelöst, spuckte der Schlaksige sogleich auf den Boden.

Der Anführer lachte laut auf und packte das unscheinbare Beutestück wieder zurück in die Tasche.

„Hexenstein oder nicht. Wir bekommen dafür sehr viel Geld." Prahlte der Kahlkopf und klopfte dabei grob auf das raue Leder.

„Was machen wir mit dem hier?" Wollte der schlaksige Kerl wissen und deutete mit dem Zeigefinger auf Areth, der noch immer auf dem Boden lag. Der Anführer begann zu grinsen und warf die Tasche einem seiner Kumpanen entgegen, der diese mit Müh und Not gerade noch auffing. Keinen Moment später zog der Kahlkopf sein Schwert und schritt auf Areth zu. Das Letzte, das der Ritter sah, war die Spitze einer Klinge, die sich mit Schwung in sein Sichtfeld bohrte.

Das Flüstern der DunkelheitWhere stories live. Discover now