𝓚𝓪𝓹𝓲𝓽𝓮𝓵 1 : 𝓓𝓪𝓷𝓰𝓵𝓸𝓻

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Mit seinen dichten Wäldern und den heimtückischen Mooren war Eswalda schon seit Anbeginn der Zeit ein Land gewesen, um welches sich zahlreiche Mythen und Legenden rankten. Dies war nicht nur der wilden und gefährlichen Flora und Fauna zu verdanken, die im Laufe der Jahrhunderte unzählige Leben gefordert hatte, sondern ebenso den Wesen, die diese unwirkliche Landschaft angeblich ihr Zuhause nannten.

Kreaturen, die teilweise aus zahlreichen Überlieferungen sowie fadenscheinigen Augenzeugenberichten entsprangen. Geschichten wie von bösartigen Fröschen, die arme Seelen in ihre Tümpel locken wollen, bis hin zu hochgewachsenen Hirschen, die jeden verirrten Wanderer, den sie sehen, auf einen Baum aufspießen.

Eine große Anzahl dieser kuriosen Märchen drehten sich dabei rund um den Demi, den größten Fluss Eswaldas. Ein reißender Strom vollster Schönheit, der sich quer durch das Herz des Königreiches schlängelte und dabei das umliegende Land mit seinem Wasser speiste.

Doch der Mensch wäre kein Mensch, wenn er es nicht geschafft hätte, dieser spektakulären Naturgewalt Herr zu werden.
Tief verankert wie die Wurzeln eines Baumes, lag Danglor seit vielen Jahrhunderten an den Ufern des Demis. Zahllose Häuser aus grauem Stein und dunklem Holz reihten sich beinahe endlos aneinander und formten ein einzigartiges Labyrinth. Drei Brücken überspannten den alten Fluss, dessen Wasser meist trüb und trist erscheint. Am westlichen Ufer lag nicht nur die gewaltige Burg mit ihren vielen Türmen, sondern auch die schönsten und reichsten Viertel der Stadt. Das Ostufer hingegen zeigte sich von einer ganz anderen Seite. Hier konnte das niedere Volk bis hin zum Gesindel angetroffen werden. Eine Tatsache, die Danglor auch den Beinamen 'Die Zwillingsstadt' einbrachte. Denn niemand der besser betuchten Gesellschaft würde auch nur einen marginalen Gedanken daran verschenken, auch nur einen Fuß in das Gerber-, Handwerks- geschweige denn dem Armenviertel zu setzen. Kostet es den braven Soldaten der Stadt doch ohnehin bereits viel zu viel Zeit das meiste Gesindel aus den teuren und edlen Vierteln zu vertreiben.

Es war die Zeit des Jahres, in der die Winde kälter wurden und der erste Frost sich sanft auf dem Boden auszubreiten begann. Feiner Nebel kroch unheilvoll durch die dichten Laubwälder und bedeckte die stillen Gewässer der zahlreichen Moore. Es war ebenso die Zeit, in der sich die saftig grünen Blätter der Bäume langsam in ein Kleid von blutigem Rot und goldenem Gelb hüllten. Ein zauberhafter Moment des Wandels.

Gemeinsam mit dem Anbruch der ersten Abendstunde kündigte sich das laute Donnergrollen eines näherkommenden Herbststurmes an, begleitet von einem stetigen Auftürmen der pechschwarzen Gewitterwolken. Eine gefährliche Warnung des Himmels, die normalerweise dafür gesorgt hätte, dass sich die gut gefüllten Gassen und Straßen der Stadt rasch leerten. An gewöhnlichen Tagen wäre dies der Fall gewesen. Jedoch nicht an diesem Abend.

Bereits vor Tagen hatten fleißige Arbeiter die Holztribünen für den Adel rund um den großen Richtplatz aufgebaut, an dem sich nun die ganze Stadt zu versammeln schien. Während die hoch erhobenen sowie überdachten Tribünen sich langsam mit der obersten Bürgerschicht füllten, drängte sich der Großteil des gemeinen Volkes rund um die Absperrung des Schafotts das wie ein düsteres Mahnmal im Zentrum des Richtplatzes stand. Es herrschte ein chaotisches Gedränge, dicht an dicht standen die Leute beisammen und schrien wie wild durcheinander. Unverständliche Rufe wurden lauter und lauter und mit jeder verstrichenen Minute verbreitete sich das bedrohliche Brodeln der Unruhe unter dem Pöbel.

Inmitten dieser ekstatischen Menschenmenge war sie. Stetig im Einklang mit dem Takt ihrer Schritte auf dem schmutzigen Pflaster unter ihren Füßen. So wie sie lief, wirkte sie noch kleiner als sie war, fast als traue sie sich nicht, sich zu voller Größe aufzurichten. Nicht, dass es jemandem auffallen würde, denn Serana war bei weitem nicht zu ihrer vollen Größe herangewachsen, geschweige denn zur Frau geworden. Eingehüllt in ihrem weiten Umhang aus einfachen Leinen sowie die weite Kapuze, schützend über den hellblonden Schopf gezogen,wirkte sie wie eine zierliche Puppe. Finger, denen anzusehen war, dass ihnen die Arbeit nicht fremd war, drückten einen Flechtkorb mit Waldpilzen an die schmächtige Brust. Viel zu groß war die Angst, die gesammelten Pilze in diesem stetigen Gedränge zu verlieren. Bestand noch immer die Hoffnung, das eine oder andere Kupferstück an der mageren Ausbeute zu verdienen. Steindrachenpilze, Trübtaumorcheln, Gelbfußpilze, alles was sie zu dieser unpassenden Jahreszeit noch im Wald finden konnte. Nur die dunkelroten Erinpilze hatte sie stehen lassen, schrieb sie dem hier hiesig gebräuchlichen Name 'Hexenfuß' ein viel zu großes Unglück zu. Auch wenn die zusätzlichen Kupferlinge durchaus verlockend gewesen wären.

Das Flüstern der DunkelheitWhere stories live. Discover now