Kapitel 30 Träume voll Kummer und Leid

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Er ist alles, was ich spüre.
Selbst, wenn er nicht bei mir ist.
Selbst tausend Meilen entfernt.
Schlaflos lag Cersei Lennister in ihrem leeren, kalten Himmelbett. Wälzte sich hin und her, unter der dicken Decke und den vielen flauschigen Fellen. Ihr Verstand eingenommen von etlichen Gedanken.
Neben sich anhäufenden Problemen des Reiches, war es eine unbarmherzige hochinfektiöse Krankheit, welche das Volk der Sechs Königslande sowie den Norden ausmerzte. Kein Heilmittel ward bisher gefunden.
Und spät, in den schwarzen Stunden der Nacht, zur Stunde des Wolfes, wiegte vor allem die Sehnsucht nach ihrem Bruder, ihrem Gemahl schwer. Gar so viel schwerer, als die Besorgnis um ihre Löwenjungen.
Welch Schande. Frustriert warf die Königin sich auf die Seite, ließ ihren Kopf in die weichen Kissen sinken und hoffte inständig bald, wünschenswert noch vor Morgengrauen, das Mindestmaß an Schlaf einholen zu können. Entweder das oder die Götter würden sie mit einem anderen egoistischen Begehr, dem Herzen entsprungen, belohnen.
Jaimes Rückkehr.
Erst hörte sie die sich öffnende, knarzende Tür. Aber keine sich langsam nähernden Schritte. Spürte stattdessen den kühlen Durchzug von der Terrasse zur Türspalte. Eine eisig kalte Hand über ihre Wange streichend.
Cersei konnte ihren Augen nicht trauen, als sie sich aufsetzte. Blinzelte mehrmals ungläubig mit ihren vollen Wimpern. „Jaime?" Ist das echt? Ist er real?
Seine Erscheinung ihr allzu bekannt. Jede Feinheit hatte sie sich seit Anbeginn des Lebens eingeprägt. Sein Haar so blond wie Blattgold, gezeichnet vom Alter grau weißer Strähnen. Seine Augen sommerlich grün, den ihren gleichend. Seine Gesichtszüge, das kantige Kinn, zum dahinschmelzen.
Spielt mir mein Verstand nur wieder einen Streich?
Aber auch als Cersei versuchte die Illusion zu verwischen, wie ein in Rauchschwaden aufgehender Geist, verschwand Jaime nicht. Ihre Hand traf auf den Mantel und der darunter liegenden Rüstung.
In Bann gezogen vom Blickkontakt, wanderten ihre Finger höher zu seinen Wangen. Perfekt schmiegten diese sich in ihre Handflächen. Wie füreinander geschaffen.
Cersei zog Jaime zu sich runter, auf ihre Höhe. Ein vorsichtiges Lächeln zauberte sich auf ihre Lippen. Glänzend grün funkelten ihre Augen, von sich ansammelnden Tränen.
„Du bist Heim gekehrt. Zurück zu mir." Leicht und brüchig klang Cersei, beinahe scheu. Wo war das Gebrüll der Löwin?
Schnell verflog das Gefühl von Freude und Erleichterung, Misstrauen folgte.
Warum hat Jaime bisher kein Wort gesagt?
Warum ist seine Haut so kalt?
Warum erwidert er nur schwach meine Liebe und Berührungen?
Aber viel wichtiger...
„Cireyla und Jonathan?" Jaime löste sich von ihr. Trat vom Bett zurück. Reichte ihr die fleischige Hand. „Komm mit. Ich bring dich zu ihnen." Beim Klang seiner Stimme erschauderte Cersei. Gänsehaut fuhr ihr bitterkalt den Rücken hinab.
Das ist so nicht richtig.
Etwas stimmt nicht mit ihm.
Doch beachtete sie es nicht weiter. Streifte sich lediglich einen Mantel über und ergriff freudig strahlend seine Hand.
Hastig lief das Königspaar durch den Roten Bergfried. Fort von den Gemächern in Maegors Feste. Vorbei am Turm der Hand. In den Innenhof.
Cersei zu aufgeregt, um sich in Geduld zu üben. Jaime würde sie zu ihren Kindern bringen. Aber warum im Innenhof?
Besonders viel Aufmerksamkeit zollte sie der äußerst gut gestellten Frage nicht. Ließ sich nur von ihrem Bruder führen und folgte ohne Einwände.
Im Burghof angekommen schien alles auf den ersten Blick wie gehabt. An den Mauern vertrieben hell leuchtende Fackeln die dunkle Nacht. Ritter der Königinnengarde hielten Wache, wie es sein sollte. Ansonsten regte sich nichts über den sandigen Boden. Keine Menschenseele durchkreuzte zu Mitternacht den Innenhof.
Das wohl einzig ungewöhnliche waren die seltsam gewölbten goldenen Decken. Leichentücher...
Jaime und Cersei marschierten geradewegs auf ihnen zu. Aber ihr Schritt, der verlangsamte sich. Als hatte ihr Körper eine leise Vorahnung. Als spürte ihr Körper was kommen mochte.
„Wo sind unsere Kinder?" Vor den unter Tüchern, vom Wind zögerlich immer wieder angehoben, versteckten Gestallten hielten sie inne. Jaime ließ die Hand seiner Schwester los. Augenblicklich fühlte sie einen stechenden Schmerz, einen Dolch in ihrem Herzen.
Der König trat souverän hinter die seelenlosen, verfaulenden Leichnamen. Seine Antwort in Schweigen gehüllt.
„Wo sind unsere Kinder?", beharrte Cersei weiter.
Eine heftige Brise wirbelte ihre blonden Locken um die Ohren. Am ganzen Leib zitterte die Löwin und spürte... Angst.
„Aber, Cersei. Sie sind doch genau hier." Jaime deutete auf die verhüllten Gestallten.
Golden werden ihre Kronen sein und golden ihre Leichentücher.
„Nein... Nein... Nein..." Erneut holte Cersei diese verfluchte Prophezeiung ein. Dabei war sich die Königin sicher, endlich befreit von der Vergangenheit gewesen zu sein.
Ich irrte mich... Und die abscheuliche Kröte konnte allem Anschein nach nicht zählen. Drei und sechs Kinder sind ein gewaltiger Unterschied.
Sie trat zurück, wand sich ab vom fürchterlichen Schaubild vor ihr. Schüttelte ihren Kopf und ihr Haar wippte mit.
„Cersei, schau nicht weg.", befahl Jaime ihr. Sie wollte es verdrängen, leugnen aber...
Das ist nicht mein Bruder.
„Nein." Menschen, die man glaubte zu kennen, können zu Fremden werden.
Er trat um die verhüllten Gestalten, kam Cersei näher. „Sieh sie dir an."
Doch sie hielt die Augen unentwegt zu Boden gerichtet.
„Nein!", brüllte Cersei. Wehrte sich gegen Jaime. Befreite sich aus seinem Griff. Eisig kalte, hautlose Fingerknöchel drückten ihr Kinn ruckartig nach oben. Cerseis Augen weiteten sich. Lediglich Furcht blitzte auf. Das war nicht Jaime. Das war er nie.
Es war der Fremde, gehüllt in seinem schwarzen Mantel, der sie fest in seinen knorrigen Klauen hielt. Befreien war zwecklos.
„Du kannst dem Tod nicht entkommen."
Aus dem Traum schreckte Cersei schweißgebadet auf. Unregelmäßig pochte ihr Herz abnormal schnell. Die Worte hallten in ihrem Verstand nach. Was soll das bedeuten?
Da war kein muskulöser Arm, der sich um ihre Mitte schlang. Keine starke Schulter, an die sie sich lehnen konnte. Keine feste Umarmung, die sie in Sicherheit wiegte. Kein „Cersei, geht es dir gut?" Dort war niemand, der sich um sie sorgte.
Einsamkeit aus ihrem tiefsten Inneren, der schwarzen Seele, legte sich wie ein Schleier über die Königin.

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