Kapitel 44 Des Löwen Vermächtnis

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Ihre Mutter war tot. Ebenso wie ihr Vater. Und ihr Bruder und all ihre Kinder und einschließlich sie selbst. Alle von ihnen tot. Alle von ihnen verfault unter der Erde.
Der Name der Familie lebt weiter. Das ist alles, was weiter lebt. Nicht ruhmreiche Taten, nicht Ehre, aber die Familie.
Westeros war schon seit jeher ein Land der Eroberer und der überaus eisernen Herrscher gewesen.
Von den frostigen Ödländern des Nordens bis runter zur Gluthitze von Dorne. Von den Goldmienen des Westens zu Sturmböen des Ostens.
Tapfere Fürsten, erbarmungslose Strategen, glühende Fanatiker, sie alle schrieben die Geschichte dieses Landes...
Und formen sie heute noch.

Nach dem Tod Cersei Lennisters an einer schwerwiegenden Seuche, dem Roten Tod wurde ihr Sohn, der Erbe Jonathan Lennister zum König der Sechs Königslande ernannt.
Er, der Junge Löwe stürzte die herkömmliche Art des alleinigen Regierens.
„Ein starkes, vereintes Reich werde ich nach diesem harten Winter brauchen. Ein Reich, in dem Intrige und Hinterlist nicht an der Tagesordnung herrschen. Neues Leben ist mit dem Frühling erwacht und so auch neue Sitten.
Das Gold, alles, was Schein und Trug ist werde ich zu Asche wandeln. Und das Volk wird eine entscheidene Rolle für die neue Ära von Westeros bedeuten."
Das Amt des Königs legte Jonathan ab und ernannte sich zum Kronregenten.
Zum Kronregenten eines vereinten Reiches mit dem Volk als Stimme. Er selbst durfte nicht alleinig über die Sechs Königslande verfügen.
Um die Form des Regierens besser umsetzen zu können, machte er fähige verlässliche Männer und Frauen zu Wächtern der einzelnen Gebiete. Doch so wie es früher auch einmal den Wächter des Nordens gab, blieb Sansa Stark ihr Titel als Königin bestehen.

„Ihr habt das Reich mehr als ausgezeichnet unter Kontrolle, Euer Gnaden. Und das nun schon mehr als zehn Jahre. Ihr habt meine Hochachtung. Vielseitige Ernte von den Feldern räumen die Bauern jedes Jahr ein und knurrende Mägen kennen die Kinder von heute schon gar nicht mehr. In Frieden Handeln wir mit dem Norden, genauso wie mit Essos. Ihr habt Euch gut gemacht, Euer Gnaden. Eure Mutter wäre stolz auf Euch, da bin ich mir sicher."
Ich mir nicht, dachte Jonathan. Niemals hätte sie ihre Macht abgegeben.
Mit seinem Rat und den Wächtern der Königslande tagte der Kronregent. In dem letzten Jahrzehnt hatte der Junge Löwe sich sichtlich verändert. Wurde älter als auch reifer. Er hatte einen Bart und seine Haare wurden ein wenig kürzer. Attraktiv, wie man sich einen Lennister vorstellte. Seinem Vater ähnelte er von Tag zu Tag mehr. Aber auch nur wenn Jaime seinen Bart, den Cersei so sehr verabscheute, nicht abrasierte.
„Was meint Ihr, wie es wohl Euerer Schwester ergehen mag?", fragte der Lord vom Sturmkap.
Ihm antwortete eine andere Lady. „Richtig, mittlerweile sind zehn Jahre verstrichen seitdem Prinzessin Cireyla diese Lande wieder einmal verlassen hat und nach Westen, nach Essos aufgebrochen ist." Erinnert mich nicht daran.
Jonathan war nie darüber hinweggekommen, dass seine Schwester ihn verlassen hatte. Und das auf ewig, für immer.
„Sie war schon seit jeher ein wildes Mädchen mit dem Herz einer Kriegerin. Eine Lennister, eine Löwin. Sie hatte nie auf einen Thron gewollt. Sie wollte die Welt wandeln." Damit war sie erfolgreicher als ich.

Als Geschenk geboren aus dem Leib einer adligen Sterblichen, wird sich durch Tod eine revolutionäre Macht erheben. Als Eroberin über das Meer und den westlichen Kontinent herrschen. Ein Licht im Westen, die Hoffnung im Verderben.
Cireyla Lennister sollte Tod und Zerstörung über Essos bringen. Unheil verheißen und den Westen unterdrücken. Doch dem war nicht so.
Die Kleine Löwin brachte viel Gutes. Verhalf dem Volk von Essos zu alter Stärke und blühenden Wohlstand.
Sie kümmerte sich um verwahrloste Kinder und lehrte ihnen den Umgang mit Schwert und Lanze und Bogen zur Selbstverteidigung.
Sie spendete armen Familien Nahrung und sauberes Wasser und Verpflegung.
Sie befreite einige Tiere aus Kampfarenen.
Und als Heldin wurde Cireyla in Essos gepriesen.
Aber nie würde die Kleine Löwin ihre Heimat vergessen. Und das, was sie mit ansehen musste. Ihre Mutter tot in den Armen ihres Vaters. Die Erinnerungen würden sie ein Leben lang heimsuchen.
Die darauffolgenden furchtbaren Tage der Trauer waren schwer für Cireyla. Sie musste fliehen. Nur fort von den Sechs Königslanden.
„Ich werde zurück segeln. Zurück in die Neue Welt." Jonathan war tief betroffen.
„Und ich werde mit dir kommen.", erwiderte ihr Vater, Jaime Lennister.
Ihn würden die Erinnerungen noch seine restlichen Tage heimsuchen. Wie der Königsmörder seine Schwester, die Königin erwürgte und ihr das Leben mit seinen Händen raubte.
Denn Hände aus Gold sind immer kalt. Aber die Hände einer Frau sind warm.

An den Ufern Essos saß Jaime. Am Strand. Er starrte auf das weite Meer der Abenddämmerung vor sich. Von der falschen Seite.
Seine Gedanken versunken in dem Abgrund der Erinnerungen all seiner Sünden.
Der Goldene Löwe hatte seine Last über die Jahre so gut getragen. Aber nur, weil ich sie so gut trage heißt es nicht, dass sie nicht schwer ist.
Neben Jaime setzte sich mit einmal aus dem Nichts seine Tochter, mittlerweile eine erwachsene Frau. Mit der strahlenden Schönheit ihrer Mutter gleichend.
In Stille verharrend saßen sie eine ganze Weile dort. Bis Cireyla die Stimme erhob.
„Mutter hatte sich mit dir immer am wohlsten gefühlt. Vollständig. Sie hätte dich nie verlassen wollen. Dass du ihre Asche hier, am Strand verstreut hast ist ein wunderschönes Andenken. So ist sie immer bei dir. Und das Meer hatte sie auch geliebt. Ungebeugt, ungezähmt, ungebrochen. Wie sie es war."
Jaime starrte weiterhin auf die See und Cireyla tat es ihm gleich.
„Sie hatte euch, ihre Löwenjungen über alles geliebt. Mehr als mich. Mehr noch als sich selbst.", sagte ihr Vater. Gebrochen klang er.
„Sie war nicht perfekt. Kein herzensguter Mensch. Aber sie war eine liebende Mutter. Die beste, die ich mir nur hätte wünschen können."
Hätte Cersei doch auch nur lang genug eine Mutter gehabt.
„Du ähnelst ihr von Tag zu Tag mehr." Diese Tatsache schmerzte Jaime.
„Ich glaube nicht, dass ich ihrer Größe jemals gewachsen sein werde."
„Du bist eine Löwin wie sie eine war. Sei nicht zu bescheiden." Hört mich brüllen, dachte Cireyla.
Plötzlich stand seine Tochter auf und ging davon, in Richtung des Waldes. Jaime fragte nicht weiter, wo sie hinwollte und verweilte noch Stunden am Strand. Zusammen mit der Asche seiner geliebten Schwester.
Stetig spürte er einen Nebel, einen Geist, welcher ihn umgab. Der Goldene Löwe sah sich fragend um. Seltsam... Gesehen hatte er nichts.
„Wir werden diese Welt gemeinsam verlassen, süßer Bruder. So wie wir sie einstmals betreten haben. Mittlerweile sind zehn Jahre vergangen. Deine Zeit ist gekommen, Jaime. Folge mir. Folge mir ins Licht, wo wir gemeinsam verweilen können."
„Cersei?" Nein, sie ist tot. Und Geister existieren nicht.
Die Stimme seiner Schwester hörte Jaime flüsternd, ihre Lippen berührten sanft sein Ohr. Und ihre Hände lagen auf seinen Schultern. Sie presste ihre Brust an seinen Rücken und schlang ihre Arme fester um seinen Hals.
„So wie wir diese Welt einstmals betreten haben, so werden wir sie verlassen."

Die Frau mit den goldenen Locken wanderte durch die Wälder, wusste nicht wohin. Ihre Füße leiteten ihren Weg bis hin zu einem Zelt inmitten der Bäume. Die Luft war schwül und kein Sonnenlicht erreichte diesen Ort.
Die Löwin betrat das Zelt durch die Zeltklappe, erneut nach ihrem Instinkt. Ihr Verstand jedoch schrie: Geh zurück, geh fort. Sie dachte für einen Moment, es sei die Stimme ihrer Mutter.
Das ist nichts für dich.
Im Zelt war es dunkel. Und die verschiedensten Gerüche vermischten sich miteinander. Von allerhand Gewürzen. Erhellt wurde der Raum lediglich durch ein Kohlenbecken.
Eine Frau schlief dort. Eine Zauberin.
Lass sie in Ruhe, hörte Cireyla wieder die Stimme sagen. Meine kleine närrische Löwin, wecke niemals eine schlafende Zauberin.
Aber Cireyla trat gegen das Bett der Hexe. „Wacht auf."
Verschlafen schlug die alte Frau ihre Augen auf. Die Löwin fuhr nicht zurück und starrte eisern in das Gelb der schmutzigen Augen.
Klein war sie, und zudem von Warzen überzogen. Zähne hatte sie kaum noch welche. Ihr fauliger Atem schlug Cireyla kräftig ins Gesicht, sie musste Abstand wahren.
„Verschwinde."
„Ich bin gekommen, um meine Zukunft vorhergesagt zu bekommen." War ich das wirklich?, fragte sie sich.
„Verschwinde.", krächzte die Hexe erneut.
„Ich habe gehört, Ihr könnt ins Morgen sehen." Aber woher denn?
„Verschwinde!"
Hör auf sie, sprach die Stimme erneut. Noch hast du Zeit zu fliehen. Lauf, meine kleine närrische Löwin!
„Sagt mir meine Zukunft voraus, wenn Euch Euer Leben lieb ist. Sonst werdet Ihr es bitter bereuen."
Alle Menschen wollen ihre Zukunft kennen, bis sie dann ihre Zukunft kennen.

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