Kapitel 34 Die Geister, die sie rief

19 3 0
                                    

Weißt du, was Vermächtnis heißt? Das ist das, was man weitergibt an seine Kinder und seine Kindeskinder. Das, was von einem übrig bleibt, wenn man tot ist.
Ihr Vater hatte Ehre und Ruhm dem Haus Lennister geschaffen. Ihr Vater hatte das Reich verändert und ein Loch in der Welt hinterlassen. Ein Loch, welches nach seinem Tod niemand besetzen konnte.
Seinesgleichen werden wir nie wieder sehen.
Kein Mann war wie Tywin Lennister, nicht einmal Jaime. Beide Löwen. Der eine unter ihrer Kontrolle, der andere kontrollierte sie.
Cersei Lennister vergeudete beinahe ihr ganzes Leben in Königsmund. Dieser grässlichen Hauptstadt von Westeros. Kein Ort ist schöner, hatte man der Löwin eingebläut. Eine beschämend geistlose Lüge.
Aber es gab auch eine Zeit davor. In der sie die Unschuld in Person war. In der sie banale Träume verfolgte. Ambitionen eines Mädchens ohne Bezug zur Realität. Denn die war kalt und erbarmungslos.
Trotzdem waren ihr die Erinnerungen so nah, blitzten vor ihrem inneren Auge ganz klar auf. Ein Löwenjunges, welches erst noch heranwachsen musste. Mit Macht erfüllt, damit alle sie brüllen hören konnten.
Das Mädchen tollte albern herum. Versteckte sich vor den Septas. Kleidete sich wie ihr Bruder und ging an seiner Stelle zu den Übungsstunden. Dem um einiges interessanteren Unterricht mit Schwert und Lanze und reichlich Blut. Gebracht hat mir diese Erfahrung schlussendlich auch herzlich wenig.
Frischer, salziger Wind zerzauste ihre blonden Locken. Vom Meer der Abenddämmerung aus weit über den Meeresspiegel strömend, in den Burghof von Casterlystein.
Die Königin suchte Frieden. Allmählich stiegen ihr die Probleme des Reiches zuzüglich der hochinfektiösen, tödlichen Seuche zu Kopf. Noch immer keine Heilung, kein Kriegsmittel gegen den Roten Tod gefunden.
Cersei reiste zu den Spuren ihrer Kindheit. Mit ihr Tyrion Lennister, eskortiert von der Königinnengarde. Der Rat regelte derweil in Königsmund politische Agenden.
Dort, auf Casterlystein, fühlte sie sich unbelastet. Hier kann mir der Fremde nichts anhaben.
Den unter einer massiven Schneedecke begrabenen Stein hatte Cersei vermisst. Zu viele Jahre vergingen, in denen sie ihrer Heimat keinen Besuch abgestattet hatte. Seitdem ihre Kinder, Cireyla und Jonathan, selbst nicht mehr ganz so drollig und albern waren.
Mit zaghaften, leichten Schritten ging Cersei durch das Löwenmaul, dem Eingang zum Herzstück Casterlysteins. Gigantisch, im Grunde unerreichbar wirkten die hohen Decken, großen Wände und breiten Treppen. Neben ihr konnten mindestens zwanzig Ritter zu Pferde die Stufen besteigen.
Gold schmückte jeden Flur und jeden Saal und jeden Raum. Pompös und imposant war die Architektur. Von den Göttern geschaffen für das Haus Lennister. Jedoch nur eine Illusion.
Wir hätten nie unsere kleine Welt verlassen sollen.
Wir hätten den Stein unser Zuhause nennen sollen.
Dann wären mir Beleidigungen nie widerfahren und ich hätte keine ungerechtfertigten Vorwürfe erleiden müssen.
Wäre nicht verkauft, missbraucht und geschändet worden.
Wäre nicht hintergangen und gequält worden.
Wäre nicht dem Pöbel vorgeführt worden.
Ich hätte nicht allein sein müssen.
Und Jaime hätte noch seine rechte Schwerthand. Wäre kein verstümmelter Löwe. Gebrochen und Nutzlos.
Der Spiegel ihrer selbst.
Es verschlug Cersei bis zur Halle der Helden. Dort, wo die Lennisters und deren Verwandten, ihre Ahnen beigesetzt wurden. Die, die tapfer gekämpft hatten. Selbst im Spiel. So, wie man einst ihre Mutter, Joanna Lennister dort beisetzte und nach der Eskorte auch ihren Hohen Vater, Tywin Lennister.
Cersei stand den Rücken durchgedrückt, die Finger ineinander verschränkt, vor dem Sarg des letzten Lords von Casterlystein. Des Größten von ihnen allen. Seine rot-goldene Rüstung hielt über ihn Wache. Wie viele andere des Hauses Lennister.
Nüchtern blickte sie auf die Totenlade hinunter. Trostlos, müde, geschlagen schien ihre Miene.
Alle Männer müssen sterben. Selbst die Größten von ihnen.
Neben Tywin seine Gemahlin, Joanna. Beide beschützt von einer Statue eines steinernen Löwen, mit gewaltiger Mähne und von eindrucksvoller Größe. Erhaben saß die Bestie hinter den Sargen. Cersei trat einige Schritte zur Seite. Strich zittrig über die Totenlade ihrer Mutter. Staub setzte sich an ihren Fingern ab. Es hieß, Lord Tywin herrschte als Hand des Königs im eigentlichen Sinne über die Sieben Königslande. Doch Joanna beherrschte ihn. Selten und noch viel seltener sprach er über seine Frau.
Der beste Teil von ihm starb mit dem Tod seiner Gemahlin. Cersei hieß es nur gut, dass Tywin nicht wieder heiratete. Vielleicht war das wirklich Liebe.
Stets als wunderschön wurde ihre Mutter gepriesen. Joanna, eine bildhübsche Löwin. Mit Haar wie gesponnenes Gold und strahlend grünen Augen. Ebenmäßig makelloser Haut. So sehr Cersei ähnelnd. Aber in ihrer Erinnerung hatte Joanna kein Gesicht mehr. War auf skurrile Art gestaltlos. Obwohl sie ihre Mutter zu Lebzeiten kannte. Wie sie eigentlich war. Denn gelächelt hatte Joanna nicht oft.
„Wärst du entsetzt von den Dingen, die ich getan habe, Mutter? Wärst du entsetzt darüber, zu welcher Frau ich geworden bin? Mit all meinen verblassten Narben, die beweisen, wer ich war?
Früher gab ich mich hin. Stellte mich zur Verfügung. Ließ eine Frau aus mir machen. Ich war nur ein Kind, ein unschuldiges Mädchen mit Träumen und Visionen. Wenn Vater sprach, verlangte er Schweigen und Gehorsam. Mutter, hättest du mich besser erzogen? Hättest du gewollt, dass ich brülle?"
„Ich wollte immer, dass du Königin wirst."
Ein Schaudern durchfuhr ihren Rücken. Eine Kälte kroch ihr unter die Haut bis ins Mark. Die Temperatur der Halle senkte sich weiter gen Nullpunkt. Cerseis Atem wandelte sich zu Wölkchen, als eine sanfte Stimme sprach. Umgehend wandte sie sich um. Schock spiegelte sich in ihren Augen, mit einem Hauch von Ungläubigkeit.
Ich muss verrückt geworden sein. Schon vor langer Zeit. Das Schicksal hatte mich seit Anbeginn des Spieles kreuzweise gefickt.
„Du bist nicht echt. Du bist nur ein garstiger Streich meines Verstandes."
Sie war eine Frau von Ende zwanzig. Joanna, gekleidet im Rot ihres Hauses. Überzogen von weißer Spitze und goldenem Strass. Auf ihr lastete ein merkwürdiger Schimmer, von Kopf bis Fuß. Ließ ihre Mutter blasser wirken, als sie leibhaftig war. Aber das ist ja auch gar nicht ihr Leib. Der ruht noch bestattet im Sarg.
„Nein. Damit magst du richtig liegen. Aber wäre ich deinem Wahnsinn entsprungen, warum weist du mich dann nicht einfach ab?"
„Was willst du von mir?", fragte Cersei, sich beruhigend und erst einmal die Situation analysierend.
„Die Frage sollte eher lauten: Was willst du?"
„Ich verstehe nicht ganz... Ich... Ich habe alles, was ich je wollte."
Näher und näher kam Joanna ihrem Mädchen. Ihrer kleinen Löwin. Sah in ihre Augen, aber erkannte Cersei kaum wieder.
„Und doch stehst du hier. Allein. In der Halle der Helden. Umgeben von zig Toten. Mit dem Fremden im Nacken."
Fiebrig schnappte sie nach Luft. Nahm vorsichtig die Hände ihres kleinen Mädchens. Legte Cerseis Handflächen offen.
„Du hast Blut an deinen Händen, meine süße Tochter." Schockierend, Mutter.
„Darf ich dich daran erinnern, dass du mit einer Königin sprichst. Dein kleines Mädchen ist erwachsen geworden."
Hinter Cersei erschien eine andere Gestalt, ebenso kalt wie die vor ihr.
„Oh ja eine glorreiche Königin bist du geworden. Und doch, wenn ich mich recht entsinne habe ich dich besser erzogen.", sprach er und sie konnte die Stimme, diesen Ehrfurcht gebietenden Ton unter allen anderen identifizieren. Es gab keinen wie ihn. Und würde es auch nie wieder geben. Vater.
„Denkst du?"
So absurd dieser Moment auch für Cersei schien, ihre Mutter und ihren Vater erneut vor sich stehen zu sehen, war sie keineswegs eingeschüchtert. Als sei es ganz normal. Etwas alltägliches.
„Ich war deine Erstgeborene. Und als diese hätte ich auch behandelt werden sollen. Nicht Jaime. Nicht er hätte dein ganzer Stolz sein sollen. Nicht das Vermächtnis der Lennisters. Nicht dein Vermächtnis. Sondern ich."
Jaime wollte immer viel mehr wie Arthur Dwayne sein. Nicht wie du, Vater. So ein naiver Junge, spielte lieber mit dem Schwert statt um den Thron.
Lord Tywin Lennister hatte sich zu seiner Lady gesellt. Stand nun neben ihr und der Kontrast des Alters irritierte Cersei. Beide erschienen vor der Königin im Alter ihres Ablebens. Er Mitte fünfzig, Sie Ende zwanzig. Joanna noch jünger als Cersei, ohne Fältchen und keine einzige weiße Strähne im Haar. Während Tywin vom Alter gezeichnet war. Leugnen konnte man jedoch nicht, dass er auf eine strenge Art gut aussah.
„Dein Bruder war genauso eine Enttäuschung wie du eine Unmäßigkeit warst. Eine Hure, die..."
„Eine Löwin, vor der sie alle zusammen zucken und mein Stirnrunzeln fürchten."
Du warst ein großer Mann gewesen. Ich allerdings...
„Ich habe das Unmögliche möglich werden lassen. Erreicht, was keine Frau vor mir verwirklichen konnte. In tausend Jahren, wenn die Maester über diese Zeit schreiben, wird man sich deiner nur noch als Königin Cerseis Erzeuger erinnern. Wenn überhaupt..."
Tywins Mimik war hart und unerschütterlich. Ganz der alte Löwe, wie ihn alle kannten. Mit seiner ganzen Autorität versuchte er Cersei einzuschüchtern.
„Vorsicht. Werd nicht übermütig, Kind." Aber seine Tochter war nicht mehr länger das Mädchen, das sich gefügig unterordnete. Gefügig und hübsch anzusehen neben den Männern von Macht stand.
„Obwohl du alles warst, was ein König auszeichnete, hattest du nie eine Krone getragen. Du hast mir beigebracht nach höheren Zielen zu streben. Wie ein Löwe sich seinen Weg nach oben krallt. Ich habe gehorcht, unseren Rang verbessert, deine Ambitionen erfüllt und am meisten von deinen Kindern erreicht. Ausgerechnet die, welche du für so unwürdig hieltest. Wann habe ich dich jemals so enttäuscht, Vater? Ich habe dich nie im Stich gelassen."
Eigentlich wusste Cersei, woran es ihr mangelte: An einem Schwanz.
„Du bist meine Tochter. Meine einzige. Und ich habe dich geliebt."
Es hieß Tywin habe selten in seinem gesamten Leben gelächelt. Wie als er seine Gemahlin zur Frau nahm. Als Aerys II. Targaryen ihn zur Hand ernannte. Als Haus Regn fiel. Aber auch bei der Geburt seiner goldenen Zwillinge, Cersei und Jaime.
Joanna schnitt ihrem Gemahl das Wort ab. Näherte sich ihrer Tochter mit so viel schonende Empathie, wie sie nur auftreiben konnte.
„Aber in dieser Welt warst du nichts mehr, als ein Mittel zum Zweck. Kind, dafür werden Frauen geboren. Wir gehorchen. Wir dienen und stellen keine Fragen."
Cersei war fassungslos, geradezu außer sich. So war doch ihre Mutter auch eine Löwin und Löwen verneigten sich bekanntermaßen vor niemandem.
„Wir sind keine Besitztümer! Warum sollten wir weniger wert sein? Männer sind so leicht zu manipulieren. Wir sind besser als sie."
Für Frauen taten Männer oft törichte Dinge. Begannen Sünden, die kein Gott jemals verziehen hätte.
Ein Lächeln verzerrte ihre Lippen. Erfüllt von Boshaftigkeit sah Cersei ihren Hohen Vater an, unverschämt direkt in sein eisernes Gesicht und seine grün-gold getönten Augen.
„Es war nicht der alte Aerys, der dich deines Sohnes beraubte. Ich war es. Du hast mir keine andere Wahl gelassen. Niemand konnte dich besser täuschen, bis auf deine Erbin. Kein Mann, sondern ein Mädchen. Von deinem eigen Fleisch und Blut. Warum bist du nicht stolz auf mich, Vater?"
Kein bisschen verzog Tywin seine Miene. An Kälte konnte sie nur noch gnadenloser werden.
„Stolz sein, auf dich? Da gäbe es nicht den leisesten Grund zu. Wage nicht zu behaupten, du wärst gewitzter als jeder Mensch auf Erden. Du wärst gerne so schlau, wie du denkst. Aber das bist du nicht. Deine Fehler waren schwerwiegend. Würde man deine Leichen türmen, so würde der Haufen an Größe sich mit keinem anderen messen können."
Sogar deinen überragen? Weil du soviel gütiger warst? Weil selbst mein Bruder in Schlachten weniger Männer aufspießte?
„Du hast recht. Jaime, auf ihn solltest du stolz sein. Dein erstgeborener Sohn. Dein Erbe. Ein goldener Löwe des Steins. Er begnügte sich mit einem einfachen Leben des Tötens und Fickens. Das, obwohl er einen König tötete und eine Königin fickte. Seine Kinder sollten immer ganz oben, hoch über ihnen allen stehen. Wie schön, dass sie es taten, nicht wahr? Vater, Mutter?"
Euer geliebter Jaime war er nie. Jaime gehörte schon immer mir. Er hatte es geschafft sich Vaters Kontrolle zu entziehen und war stattdessen an meiner Leine angekettet. Ohne mich wäre er nicht der Mann, der er heute ist.
„Er trat der Königsgarde bei, für mich. Zum Lord Kommandanten ernannte ich ihn. Seine Söhne ließ ich gegen allem Recht auf dem Eisernen Thron sitzen. Er war die einzige Möglichkeit, wie du mich wahrnehmen konntest. Wie du ihn ansiehst und dabei mich wiederkennst."
Hast du mich jemals eines Blickes gewürdigt? Keine flüchtigen, sondern die wahrhaftigen mit Anerkennung?
„Du warst so sehr auf dein Vermächtnis fokussiert. Auf dass das Haus Lennister im vollen Glanze so hell strahlt. Dass es alle anderen blenden und in den Schatten stellen würde. So sag mir, ist dem denn nicht so? Ist das Haus Lennister nicht die mächtigste Dynastie? Herrscht nicht das Haus Lennister alleinig über die Sechs Königslande? Und wird das Haus Lennister nicht über hundert Jahre hinweg noch herrschen?"
Ich bin höher gestiegen, als du es je hättest können. Eben, weil ich eine Frau bin. Männer sind leichtsinnig.
So in ihrem Wahn gefangen realisierte die Königin vorerst gar nicht, wie Joanna zu weinen begonnen hatte. Ganz still rollten ihr Tränen die Wangen hinunter.
„Es sei denn du stürzt es in sein Verderben. Das konntest du schon immer am besten. Einfach jede Bedrohung deiner Macht niederbrennen."
„Ich tat alles notwendige für unsere Familie.", erwiderte Cersei.
„Eben jene, welche dir irgendwann das Leben kosten wird. Der Tag wird kommen, an dem du dich glücklich und in Sicherheit wälzt. Doch dein Frohsinn wird vor deinen Augen wie zu Asche zerfallen."
Tyrion? Warum gibst du seine gehässigen Worte wieder, Mutter?
„Erinnerst du dich? Es waren düstere Zeiten. Genau wie jetzt, wurdest du verlassen und warst mutterseelenallein." Ironie?
„Dein Bruder wollte nichts als helfen, dir beistehen."
Tyrion wollte mir nie helfen. Er verspottete mich. Du magst ihn lieben, aber ich hasse ihn.
„Wenn du erschienen bist, um mir zu sagen, dass ich Tyrion nicht weh tun sollte. Dass du es nicht willst. Dass ich um Verzeihung bitten sollte. Dann..."
Cerseis Herz wiegte schwer. Die Wahrheit so sehr versuchend zu verdrängen. Das weiß ich.
„Verschwindet doch einfach! Ich lasse mir nicht von ein paar Gebeinen, längst unter der Erde verfaulend vorschreiben, was ich tun und lassen sollte. Was eine Enttäuschung ich sei. Was meine Eroberungen wert seien und wie sie in den Dreck getreten werden."
Lord Tywin hatte sein hartes Gesicht seiner Tochter gegenüber nicht abgelegt. Ohne Empathie stand er einige Meter autoritär in sicherer Entfernung.
„Wir werden nicht verschwinden. Wir sind deiner Verzweiflung entsprungen. Du hast uns gerufen."
Ihre Mutter hingegen war ihr so nah. Legte sogar die Hand auf ihre Wange. Eiskalt war sie. Cersei erschauderte.
„Mein kleines Mädchen, auch du weißt, dass alles was du tust falsch ist. Dass du all jene, die dich lieben stets verschreckst. Tyrion, Jaime und selbst unsere süßen Enkel, Jonathan und Cireyla."
Sich sträubend, schubste sie Joanna von sich. Die Königin zerzauste ihre Haare. Eine so aufwendig gesteckte Frisur. Nein! Nein! Nein!, murmelte sie in einem Fort.
„Dann habe ich euch erschaffen. Dann seid ihr eben meinem Wahnsinn entsprungen. Aber dann kann ich euch genauso gut auslöschen. Verschwindet! Ich befehle es euch!"
Doch nicht Cersei kontrollierte die Geister. Sie kontrollierten sie.

Ich bin eine Königin, erinnerte sie sich. Ich bin die Königin.
Die, der Andalen und der Ersten Menschen.
Die Herrin der Sechs Königslande.
Die Beschützerin des Reiches.
Ich beuge mich vor niemandem. Gegen ihrem eigenen Wahnsinn war jedoch selbst Cersei machtlos.
In Trance, scheinbar so sehr ihres Verstandes beraubt, wankte sie benommen durch die Burg. Matt und schlaff hingen ihre Arme herab und sie war der sonst üblichen anmutigen Haltung nicht mehr bemächtigt.
Cersei hörte Stimmen. Jemandes Schluchzen. Wer weint hier nur? Umher irrend suchte sie den Ursprung, nur um dann kläglich festzustellen, dass es wieder nur die Geister waren. Nervtötende Störenfriede in ihrem Kopf.
Doch nun weinen die Reg'n über seinen Hallen, und keiner hört sie mehr. Es war wie in jenem Lied. Ja nun weinen die Reg'n über seinen Hallen, und keine Seele hört sie mehr.
Längst, noch vor der Begegnung mit den toten Gebeinen ihrer Eltern, hatte Cersei Zweifel gehegt. Sie nagten an der Königin wie Ratten an einem Kadaver.
Um zu überleben musste sie klüger, stärker und eiserner als jeder ihrer Gegner sein. Um das Große Spiel zu überleben musste sie gewinnen. Aber...
Lady Joanna und Lord Tywin ließen ihren Zwiespalt lediglich aufkeimen. Gesät wurde dieser vor Ewigkeiten. Cersei war besessen. Und keiner konnte ihre Lage identifizieren. Jede Wache, an der sie vorbei schwankte verzog nicht den Hauch einer Miene. Jeder Diener verneigte sich nur. Jeder Lord und jede Lady, als Gäste auf Casterlystein, fügten noch ein angemessenes Grüßen hinzu.
„Wie viel Beachtung sie dir alle schenken, süße Tochter.", flüsterte Joanna in Cerseis Ohr. Wie ein Teufel auf sie einredend. Sie dazu verleitend sich auf unsicheren Beinen der Burg schutzlos zu entfernen und den rund zweitausend Fuß hohen Klippen zu nähern.
Die Wellen schlugen hoch. Brachen an dem Stein. Konnten jedoch nie seine volle Größe erreichen. Cersei sah hinunter. Auf das Meer der Abenddämmerung, welches weit unter ihr lag. Lediglich Luft, das pure Nichts füllte den Raum.
„Spring, meine kleine Löwin." Nur die Größten konnten so tief fallen.
Hart peitschten die Winde in ihr Gesicht. Sie verzog keine Miene. Angeregt tanzten ihre blonden Locken. Doch sie stand stocksteif am Hang der Klippe. Joanna hinter Cersei, die kalten Hände auf ihre Schultern, flüsterte ihr weiter ins Gewissen.
„Dann ist alles vorbei. Dein Schmerz, dein Leid, dein Kummer. Sie werden dir genommen. Es ist so einfach, so simpel. Lass dich fallen." Nie schien ihr die Option angemessener.
„Dann bist du auch bei mir. Endlich werden wir wieder vereint sein. Als Mutter und Tochter. Bis in alle Ewigkeit. Als unsterbliche Seelen."
Eine Träne rollte ihre rosige Wange hinunter. Dann noch eine. Schlagartig erkannte Cersei, dass es nicht das war, was sie wollte. Aber doch auf eine verdrehte Art und Weise richtig.
Ich habe gekämpft und ich habe gesiegt.
Und nun sollte das ihre Belohnung sein? Nach all den Jahren?
Das Schicksal hatte mich seit Anbeginn des Spieles kreuzweise gefickt.
Mit einmal verlor Cersei den halt. Fiel. Anmutig, langsam. Als währte der Moment, ein Sekundenbruchteil, Minuten. Doch plötzlich wurde sie von einer Hand gepackt. Noch bevor ihr der Boden unter den Füßen genommen wurde.
„Cersei?", fragte die besorgte Person. Der Schock riss sie aus ihrer Paralyse.
Tyrion... Er hatte sie gerettet. Vor dem sicheren Tod bewahrt.
Wenn du erschienen bist, um mir zu sagen, dass ich Tyrion nicht weh tun sollte. Dass du es nicht willst. Dass ich um Verzeihung bitten sollte. Dann...
Das weiß ich.
Gerötet und feucht waren ihre Augen. Die Königin weinte, unaufhaltsam. Sie warf sich in die Arme ihres kleinen Bruders. Kauerte auf den Schnee. Beschmutzte dabei selbst ihr sündhaft teures Kleid und schürfte sich die Knie wund.
Wer hat ihr denn was in den Wein gemischt? Tyrion wusste nicht wie er mit Cersei umgehen sollte. Mit allem von ihr. Wie sie weinte, schluchzte und sich an den Kragen seines Mantels klammerte.
„Es tut mir leid.", gestand seine Schwester.

A Lions LegacyDonde viven las historias. Descúbrelo ahora