Kapitel 38

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Hüte dich vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe.

In der Bibel waren es die unschuldig verkleideten Propheten, in Kinderbüchern immer die Ungeheuer, fremde Bestien, die Unheil und Zerstörung brachten. Schaurige Märchen mit Dämonen, Schlangen, Drachen. Reaper war einer dieser großen Drachen. Furchteinflößend, mächtig und zerstörerisch. Ein Wolf im Schafspelz, dem ich zum Opfer fiel.

In dem Moment, wo ich hinfiel, stand er nicht wie die anderen versteinert aufgrund meiner Anwesenheit da, sondern trat auf mich zu. »Adina.« Seine Stimme war dünn und tief – ein Flehen.

»Nein!« Meine Schuhe schabten über den Beton, als ich zurückwich. Meine Reaktion ließ sich unmöglich beherrschen.

Er blieb stehen, kurz, bevor er einen weiteren Schritt auf mich zu kam. »Habe keine Angst vor mir. Nicht du, bitte.«

Feuchte Wangen und heftiges Kopfschütteln.

Endlich blieb er stehen, in seinem Gesicht zeigte sich nichts außer Hilflosigkeit und Überforderung. Keines dieser Gefühle glaubte ich ihm.

Hinter ihm stach mir Beaus blutleerer Leichnam entgegen, er hing an der Wand wie eine zerschundene Puppe, der Kopf neben den Füßen. Seine Augen waren verkrustet, jegliches Leuchten aus den braunen Iriden verschwunden. Schwarz und glasig.

»Bitte, Kleines.« Reapers wiederholtes Flehen riss meinen Kopf herum. »Hör mir zu. Er-«

»Nein!«, schrie ich erneut. Ich wollte nicht wissen, aus welchen kranken, eifersuchtsgetriebenen Gründen er einen Mann umbrachte. Egal, was er mir sagen würde, nichts rechtfertigte dieses Verbrechen. Ich kam wackelig auf die Beine, Augen und Herz brannten. »Du bist genau wie Elijah.« Mein Atem ging flach. »Nein, du bist schlimmer, weil er mich wenigstens nicht dazu getrieben hat, mich in eine Lüge zu verlieben.«

Reaper zuckte, als hätte ihm jemand eine Ohrfeige verpasst. »Du liebst mich?«

Das war alles, was ihn interessierte?

Seine Frage ließ ich unbeantwortet, stattdessen warf ich allen Anwesenden einen allerletzten enttäuschenden Blick zu, denn das war ein Abschied. »Ich hätte nie hier bleiben dürfen.«

»Was meinst-«

Ich drehte mich herum und stürmte die Treppe hinauf.

»Adina!«

Hinter mir hörte ich seine schweren Stiefel. Er eilte mir nach, rief meinen Namen, aber nichts hielt mich auf. Hindurch durch den Flur der Scheune, vorbei an dem Stacheldraht des Zaunes und weiter ins Chapter. In meinen Ohren klopfte mein eigenes Herz, Beaus Schreie hallten im Kopf, jagten mir über die Wirbelsäule hinab, um sich in jedem Knochen festzusetzen. Beinah stolperte ich über die Wurzeln eines verdorrten Busches, weil mir der Anblick seiner zerstückelten Überreste die Sicht verhüllte.

»Bleib stehen!«

Wäre es möglich, hätte ich mir den Klang seiner rauen Stimme aus den Ohren gerissen. Ich wollte sie vergessen.

Noch nie hatte ich so viele Emotionen in Bezug auf eine einzelne Person gefühlt. Ich war verstört und zugleich rasend, gefangen zwischen Verwirrung und Abscheu angesichts der Dinge, die er getan hatte. Und im Widerstreit dazu stand diese extreme Anziehungskraft, die ich zuvor in seiner Gegenwart empfand.

Davon war nichts mehr übrig.

»Adina!« Er packte meine Schulter, brachte mich zum Stehen.

Wimmernd riss ich mich los »Fass mich nicht an!« Hysterie schnürte mir die Kehle zu.

Burn for youWo Geschichten leben. Entdecke jetzt