1. Kapitel - ANNIE

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Der kühle Wind fegte in mein Gesicht und ich musste frösteln. Der Herbst kam, das merkte ich. Jeden Tag wurde es kälter und die Bäume verloren ihre Blätter, mit denen man toll spielen konnte. Wenn ich endlich Lehrling werden würde, dann würde es bestimmt schon sehr kalt sein, schließlich dauerte es bis dahin noch länger als einen Vollmond.

"Was ist denn los, Annie?", rief Jimmy, mein Wurfbruder, mir zu.

Jimmy war immer schon sehr aufgedreht gewesen, ganz anders als ich, die eher stillere und sanftere von uns beiden. Was auch gut so war, denn sonst würde ich niemals so oft mit ihm und unserer Mutter Amelie in den Wald gehen, um zu spielen. Manchmal kamen auch unsere Freunde, welche mit uns im Bau lebten, mit, zu fünft war es einfach viel lustiger als nur zu zweit.

Ich seufzte und schüttelte den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben und anwortete: "Jaja, schon gut. Gehen wir jetzt noch was fressen? Mein Magen knurrt schon!" Dabei versuchte ich, gutgelaunt zu klingen, wobei ich mir nicht sicher war, ob mir das gelungen war.

Jimmy nickte und leckte sich die Lippen, was mich belustigt aufschnauben ließ. Mein Bruder ignorierte das aber gekonnt und lief etwas schneller zur Mitte des Lagers, wo sich der Beuehaufen befand.

Schnell rannte ich ihm nach. Hoffentlich gab es noch ein bisschen etwas von einem Rehkitz...
"JA!", rief ich aus, als ich tatsächlich ein halbes Reh am Haufen liegen sah. Sofort begann mein nerviger Bruder, meinen Ausruf nachzuahmen. Ich verdrehte die Augen.

In dem Moment traten Simon, Penny und Matthias aus dem Jungenbau. Ich winkte ihnen mit der Schwanzspitze zu, als Zeichen, das sie zu uns kommen sollten.

Penny mochte ich von den dreien am liebsten. Sie war immer freundlich zu mir und wir verstanden uns gut. Vorallem über ihre beiden Brüder regten wir uns gerne gemeinsam auf.
Der Größte der Geschwiser, Simon, begrüßte mich mit einem Schwanzwedeln, Jimmy ignorierte er aber einfach.

Matthias warf einen Blick über meine Schulter und fragte mich aufgeregt: "Dürfen wir mit euch das Rehkitz fressen?"

Sofort drängte Penny sich an mir vorbei und zog die Beute zu uns.

Mein Bruder schlug vor, das wir uns an den Rand des Lagers setzen sollten, und so half ich meiner besten Freundin, das rießige Beutestück hinter den Wölfen herzuziehen.

Endlich waren wir dort angelangt, wo wir hinwollten, sodass Penny und ich sofort in das feuchte Gras sinken lassen konnten.

Dann begannen wir, gierig Stücke vom Reh zu reißen, um sie zu fressen. So konnte es von mir aus immer sein.

******

"Möge sich das gesamte Rudel des rollenden Steins hier vor meinem Bau versammeln!", rief eine Stimme und weckte mich aus meinem Schlaf. Es war Rollender Stein, der Alpha unseres Rudels.

Müde torkelte ich aus dem Jungenbau hinaus in die Mitte des Lagers, wo bereits fast alle Wölfe rund um Rollender Stein versammelt waren.

Als Penny mich sah, lief sie aufgeregt zu mir und erklärte glückselig: "Meine Brüder und ich werden zu Lehrlingen ernannt! Ich bin schon so gespannt, wer mein Lehrender wird!"

Ich ließ mich von der Freude meiner Freundin mitreißen und rieb meinen Pelz an ihr. Ich wollte, das sie wusste, wie sehr ich mich für sie freute.

Irgendwann werde ich dann Lehrling, dann kann ich endlich meinen Traum leben, Beta-Wölfin zu werden! Es muss so schön sein, seine Gefährten und Freunde heilen zu können!

Rollender Stein räusperte sich, dann bellte er: "Drei Junge werden heute Lehrlinge werden; Simon, Matthias und Penny."

Mein Pelz kribbelte. Welche Lehrenden würden die Geschwister wohl bekommen?

"Simon, von nun an wird dich Ben lehren. Er war schon immer ein edler Gamma-Wolf, und ich bin sicher, das er dich zu einem großartigem Wolf machen wird."

Die Augen von Simon wurden groß, als er mit seinem neuen Lehrenden zur Seite treten durfte.

"Matthias, von nun an wird dich Sean lehren. Er ist treu und freundlich, ich weiß, er wird dich zu einem bewussten Wolf machen wird."

Man merkte, wie der neue Lehrling versuchte, nicht laut aufzujubeln. Ich verstand ihn sehr gut, Sean war ein sehr netter

"So, kommen wir zur letzten der drei: Penny. Dir wird eine große Ehre aufgebührt. Alise, unsere Beta-Wölfin, ha beschlossen, das sie eine Nachfolgerin ernennen will. Sie hat eine gute Wahl getroffen und du wirst bestimmt eine erfolgreiche Beta-Wölfin."

Das Rudel begann zu jubeln, doch mein Herz blieb stehen. Nein... Das konnte nicht sein! Ich sollte doch Beta-Wölfin werden!

Die Welt begann, sich zu drehen, und ich sank zu Boden. Meine Gedanken wirbelten durch mein Gehirn wie Bienen, und ein unbeschreiblicher Schmerz machte sich in meiner Brust aus, das ich aufjaulen musste.

Nein... Bitte sag, das ich träume... Komm schon, wach auf!

Doch ich wachte nicht auf. Das hier - war Realiät.

******

"Was ist denn passiert?", fragte Jimmy und warf mir einen prüfenden Blick zu.

Inzwischen lag ich zusammengerollt im Jungenbau, der Mond warf Licht auf mich und meinen Bruder. Amelie, unsere Mutter, stand vor dem Lagereingang und bewachte das Rudel. So waren wir ganz allein, da Penny, Simon und Matthias diese Nacht ja schon bei den Lehrlingen schliefen - naja, Penny bei der Beta-Wölfin.

Erneut machte sich Schmerz in mir breit. Warum hatte genau meine beste Freundin der Lehrling von Alise werden müssen? Würde ich ihr jemals wieder unbekümmert unter ihre Augen treten können, ohne sie zu beneiden? Ach, ich war so egoistisch!

Mit einem Seufzen richtete ich mich auf und starrte in die großen, runden Augen von Jimmy. Ich erklärte ihm traurig: "Ich... Ich wollte schon immer Beta-Wölfin werden, aber jetzt... Es ist vorbei."

Mein Bruder merkte, wie schlecht ich mich fühlte, und kuschelte sich enger an mich. Zum Glück hatte ich  jemanden wie ihn, einen Wolf, der mich voll und ganz verstand.

"Wenn du mich brauchst, bin ich für dich da, das weißt du doch, Ann!", flüsterte Jimmy und ich schmiegte mich noch ein bisschen enger an ihn.

Ann nannte er mich meistens nur, um mich aufzumuntern, denn er wusste, wie gerne ich es mochte, wenn er mich so nannte.

Ich hob meinen Kopf und sah zum Sternenhimmel hinauf. Dort wirkte alles so friedlich, als wäre nie etwas geschehen...

Ein neuer Gedanke kam mir. Was war, wenn das Rudel der ewigen Jagd, die Vorfahren von uns, gewollt hatten, das Penny die Beta-Wölfin wurde? Vielleicht war ich nur dazu bestimmt, eine ganz gewöhnliche Gamma-Wölfin zu werden?

Ein lauter Seufzer entfuhr mir. Es würde nichts bringen, jetzt herumzugrübeln. Ich sollte einfach schlafen,  so wie Jimmy. An seinen gleichmäßigen Atemzügen erkannte ich, das er bereits tief schlief.

Ich versank noch tiefer in meinem Moosbett und endlich fand ich meine Ruhe.

Was alles an einem einzigen Tag passieren kann...

WOLVES: Der Anfang von etwas Großem (Band 1)Where stories live. Discover now