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Es hatte nur einiger Andeutungen bedurft, ein falsches Wort ins rechte Ohr, um den beständig schwelenden Hass zwischen den Anhängern der Guelfen und der Ghibellinen von Verona neu anzufachen. Die schwarz gekleidete Gestalt, die sich in den tiefen Blätterschatten einer Pappel drückte, lauschte dem Klirren aufeinanderprallender Schwerter. Wüstes Gebrüll hallte von den Fassaden der Häuser wieder, die Geräusche stampfender Füße ertönten, heisere Schmerzensschreie durchschnitten die Nacht. Heißblütige junge Männer droschen aufeinander ein, um eine Kränkung zu rächen, die es niemals gegeben hatte.
Der Dunkle lachte lautlos vor sich hin und richtete sich auf. Er griff nach dem Seil, das von der Pappel herabhing, die das Mauerwerk überragte. In weichen Schuhen lief er die Wand hoch. Oben angekommen, nutzte er den Schwung, um den ganzen Körper auf die Mauerkrone zu hieven. Flach auf der Mauer liegend, zog er das Tau zu sich herauf und ließ es auf der anderen Seite heruntergleiten. Der halbe Mond bot genug Licht, um die nachtstille Via Cappello im Blick zu behalten. In der Casa delle Farfalle, dem nobelsten Freudenhaus von Verona, hatte am Abend ein rauschendes Fest stattgefunden. Eine Nacht zügelloser Freuden und Ausschweifungen, wie man ihm mit genüsslichem Schaudern zugeraunt hatte. Die Frau, auf die sein Augenmerk gerichtet war, hatte der Versuchung nicht widerstehen können, sich mit ihrem Benediktinerpater zu vergnügen, der in seinen Predigten mit Vorliebe wider das sündige Verlangen des Fleisches wetterte.
Der Gedanke erzeugte ein dünnes Lächeln. Die Ironie gefiel ihm. Des Paters eigene Medizin gegen ihn zu verwenden ...
Der Dunkle sah zu, wie sich das Tor der Casa delle Farfalle öffnete und eine Gestalt mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze auf die Straße trat. Bald würden im Kloster die Laudes gehalten werden und für den Pater wurde es höchste Zeit, sich nach San Zeno aufzumachen.
Nur wenig später flackerten die Fackeln neben dem Tor erneut im Luftzug. Die Frau schlüpfte durch die Mannpforte, zupfte die Kapuze ihres Umhangs zurecht und eilte mit gesenktem Kopf die Gasse entlang. Wie erwartet, hatte sie auf einen Begleiter verzichtet. Flach auf dem Bauch liegend, um seine Silhouette zu verstecken, beobachtete der Dunkle sie, bis sie im tiefen Schatten der Häuser kaum noch sichtbar war. Geschmeidig richtete er sich auf, griff nach einem Ast der Pappel, hangelte sich an ihm entlang, bis seine behandschuhten Finger gegen den Enterhaken stießen. Er ertastete das Seil und glitt rasch daran in die Dunkelheit, bis er weichen, nachgiebigen Boden unter seinen Füßen spürte.
Hinter der Mauer lag ein abgeschlossener, von Hecken gesäumter Garten mit Brunnen. In zwanzig Schritt Entfernung erhob sich der trutzige Gebäudeblock eines Palazzo. Einige Tage zuvor hatte er sich das Anwesen genau angesehen, um sicherzugehen, dass die Bewohner weder Wachleute noch Hunde besaßen. Nie würde er sich allein auf Informationen aus dritter Hand verlassen. Er hatte persönlich jedes Detail des Geländes studiert.
Tief geduckt eilte er durch den Garten zur gegenüberliegenden Seite des Grundstücks. Ein schmales Tor öffnete sich lautlos auf einen Fußpfad zwischen zwei Häusern. Der Dunkle schlüpfte hindurch und huschte bis zur Einmündung der Straße vor. Mit dem Rücken an eine Hauswand gepresst, lauschte er dem Stakkato ihrer Schritte, die immer näher kamen. Er senkte die Lider und konzentrierte sich auf die Geräusche; das kaum hörbare Scharren ihres Mantels über den Boden, ihr leise zischender Atem, der ihm verriet, dass sie sich selten in derart flottem Tempo fortbewegte. Jetzt wehte auch ihr Geruch heran, eine Mischung aus Lavendel und Moschus. Sie war nur noch einen Wimpernschlag von seinem Versteck entfernt. Er schob sich behutsam einen Schritt nach vorn. Während er auf den richtigen Moment lauerte, fiel ihm ein, dass er ihrem Namen nicht kannte. Für gewöhnlich wusste er solche Dinge über seine Opfer. Nun, vermutlich würde er nicht lange warten müssen, bis sich in der Stadt herumsprach, wer sie war. Nicht bei dem gruseligen Fund, den irgendein Unglücklicher bald machen würde.
Ihr Schatten verdunkelte die Einmündung. Sein Arm schoss vor, legte sich wie eine stählerne Klammer um ihren Hals und riss sie zu Boden.


Unter einem unscheinbaren Haus, das sich an den Hügel von San Pietro schmiegte, verbarg sich ein Labyrinth aus geheimen Gängen. Einige führten ins Nichts und endeten vor einer massiven Steinwand. Andere wiederum waren so verschlungen und verwinkelt, dass selbst der findigste Eindringling bald verloren und entmutigt war. Am Ende dieses Irrgartens, wie inmitten eines großen Spinnennetzes, lag Kardinal Giuseppe Marsalis Geheimkammer. Die Wände der Kammer waren mit prächtigen Teppichen verkleidet, und nur zwei kleine, Schießscharten-ähnliche Fenster hoch oben in der Mauer ließen ein wenig Licht herein. Der Fußboden war mit dicken Wollteppichen ausgelegt, in einer Ecke waren Polster, Kissen und Decken zu einer bequemen Schlafstätte ausgebreitet.
Der Dunkle mochte den Raum. Kein Geräusch störte die Stille. Sogar die Tür war so geschickt hinter Behängen versteckt, dass es schwierig war, hineinzukommen und für den Unvorsichtigen noch verwirrender, wieder hinauszugelangen. Die Kammer wurde von einer Reihe feiner Bienenwachskerzen erhellt. In der Mitte stand ein quadratischer Eichentisch, mit einem hochlehnigen Stuhl dahinter. Dort saß Kardinal Marsali und trommelte mit den Fingern sanft auf die Tischplatte. Ihm gegenüber lümmelte der Dunkle in seinem Sitz, die Hände vor der Brust gefaltet, die Füße lässig auf der Tischkante ruhend.
»Orlando, Orlando«, tadelte Marsali milde. »Wann begreifst du endlich, dass mir dein rüdes Benehmen nicht im Geringsten imponiert?«
»So bin ich nun mal«, gab Orlando spöttisch zurück.
Der Kardinal erhob sich, schlenderte um den Tisch herum und trat hinter Orlandos Stuhl. Er legte ihm die Hände auf die Schultern und neigte seinen Mund zum Ohr des jungen Mannes. »Ich könnte dich zum Teufel jagen, du kleine Ratte. Was würde dann wohl aus dir werden?«
Orlando lachte leise. »Drohungen Eminenz? Ich bin beeindruckt. Ich dachte, Ihr wüsstet, welchen Wert ich für Euch habe.«
Marsalis Rechte glitt von seiner Schulter und schloss sich locker um seine Kehle.
»Welchen Wert hast du denn, mein Lieber?«, fragte er mit einem gefährlichen Unterton. Der Griff verstärkte sich. »Komm schon, hilf meiner Erinnerung auf die Sprünge.«
Orlando blinzelte. Jeder Atemzug war ein Kampf, aber er konnte nicht sagen, ob es an Marsalis Hand lag, die auf seine Kehle drückte, oder daran, dass er mit jedem Luftholen den köstlichen Duft seines erhitzen Körpers einatmete. Das merkwürdige Flattern, das sich in seinem Magen ausbreitete, machte ihn ein wenig unruhig, weil er keine Ahnung hatte, was es zu bedeuten hatte.
War es gut? War es schlecht? Was zur Hölle war es?
»Habe ich nicht jeden Eurer Aufträge erfolgreich erledigt?«, brachte er mühsam hervor. »Auf Euch ist nie ein Verdacht zurückgefallen.«
Marsalis Griff um seine Kehle lockerte sich, aber er machte keine Anstalten, ihn loszulassen. »Die Frau wurde gefunden«, sagte er.
»Alles wird so verlaufen, wie Ihr es angeordnet habt, Eminenz. Ihr könnt mir vertrauen.«
Marsali zog die Hand zurück und strich mit einer federleichten Berührung über Orlandos Wange. »Vielleicht kann ich das wirklich.«
Er umrundete Orlandos Stuhl, wischte die Füße des jungen Mannes vom Tisch und nahm selbst auf der Kante Platz. »Ich habe eine neue Aufgabe für dich. Hör zu.«
Er beugte er sich vor und begann leise zu sprechen.
Orlando lauschte aufmerksam, und während Marsali seinen Plan beschrieb, erschien ein Grinsen auf seinem Gesicht. Die süßen Worte und Sätze, die von Marsalis Lippen kamen, erfüllten sein Herz mit gieriger Vorfreude auf die bevorstehende Aufgabe.


Willkommen zu meinem neuen historischen Krimi!

Gefällt Euch die Idee?  Über Anmerkungen, Lob oder Kritik freue ich mich sehr. Falls Euch das Kapitel gefallen hat, lasst mir bitte ein Vote da, das motiviert total!

Eure Máire


Mord in Verona - Tödliche Intrigen Der 3. Fall für Yon und AdaWhere stories live. Discover now