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Zur Zeit der Terz saß Yon Moreno, ehemaliger Söldner und jetzt Beamter der Justiz in der Wohnhalle seines Landguts vor dem Kamin. In Hemd und Beinlingen, die Schenkel gespreizt, saß er da und genoss die Hitze der brennenden Scheite, die ihm half, Feuchtigkeit und Kälte aus den Kleidern zu vertreiben. Sein Diener hatte ihm die Nachricht überbracht, als er, von einem plötzlichen Gewitterguss bis auf die Haut durchnässt, von der Jagd zurückgekommen war. Sein oberster Dienstherr verlangte seine Anwesenheit in Verona und wenn Ser Apollon rief, ließ man besser auf der Stelle alles stehen und liegen. Yon stöhnte und ballte die juwelengeschmückte Faust. Er hatte gehofft, der Stadt noch eine Weile fernbleiben zu können. Der Abschluss seines letzten Falles hatte zu einem Bruch mit seinem Freund Micheletto geführt und auch Ada hatte seitdem nichts von sich hören lassen. Yon konnte den Gedanken nicht ertragen, wie leer sein Leben ohne diese beiden sein würde. Auf dem Gut konnte er sich mit den nicht enden wollenden Renovierungsarbeiten ablenken, aber in der Stadt würde ihn jede Straßenecke an Ada erinnern. Das war keine Aussicht, die er begrüßte.
Yon rief nach seinem Diener und bat ihn, trockene Kleidung bereitzulegen und sein Ersatzpferd satteln zu lassen. Widerstrebend kehrte er der Wärme den Rücken zu und begab sich in seine Schlafkammer, um sich umzukleiden.
Der Ritt nach Verona verlief ohne Störung. Yon führte sein Ross in den Hof des Palazzo della Ragione und übergab es einem der herbeieilenden Knechte. Nach einem kurzen Blick rundum entschied er sich, in der Wachstube der Stadtsoldaten vorbeizuschauen, um zu hören, was es Neues gab. Drinnen fand er Flavio di Girolami, seinen obersten Büttel, der ihn erfreut begrüßte.
»Ser Apollon erwartet Euch schon ungeduldig«, sagte Flavio. »Wir haben eine Frauenleiche.«
»Weiß man, wer sie ist?«, fragte Yon.
»Nein, Herr, bisher nicht. Aber die Geschichte riecht nach Verdruss, das spüre ich. Ser Apollon besteht auf absoluter Geheimhaltung der Todesumstände. Streng genommen dürfte ich Euch nichts über den Fund erzählen.«
Flavio zwinkerte verschwörerisch und Yon grinste. »Ich bin ganz Ohr.«
Der Büttel führte ihn über den Hof zur Treppe und berichtete im Gehen von dem untypisch heftigen Straßenkampf der vorangegangenen Nacht.
»Wenn mich meine Nase nicht trügt, hat jemand gezielt Streit zwischen ohnehin verfeindeten Familien gesät. Ob die Frau durch die Kämpfe zu Tode kam oder die Auseinandersetzungen dazu dienten, um einen Mord zu vertuschen, vermag ich nicht zu sagen.«
Yon nickte. »Danke, dass du mich vorgewarnt hast, Flavio. Wir sehen uns gewiss später noch.«
Der Büttel kehrte in die Wachstube zurück. Yon stieg die Treppe hinauf, winkte einen der Hausdiener heran und trug ihm auf, ihn anzumelden.
Ser Apollon, oberster Justizbeamter und Herr über ein Heer von Spionen und Sondergesandten, saß in seinem Amtszimmer hinter einem von Pergamenten und Schriftrollen bedeckten Schreibtisch. An der Wand neben dem Fenster lehnte Micheletto und musterte ihn mit jenem kalten, leidenschaftslosen Blick aus seinen blauen Augen, der in Yon regelmäßig das Verlangen weckte, ihm einen Faustschlag zu versetzen. Micheletto war unrasiert, sein Gesicht finster; das ehemals kurz geschnittene goldblonde Haar hatte sich zu einem widerspenstigen kinnlangen Schopf entwickelt. Ein harter Zug lag um seinen Mund. Seit der unglücklichen Liebschaft mit der Mörderin Verde Marin war mit ihm nicht zu spaßen. Er diente wieder als Ser Apollons Leibwächter, ein gnadenloser Jäger, der seinem Herrn folgte wie ein Schatten. Immer öfter ging Yon die Frage durch den Kopf, ob er sich in Micheletto so sehr getäuscht haben konnte.
»Setzt Euch, Ser Yon«, befahl Apollon. »Wir haben ein Problem.«
Yon hätte seinem Dienstherrn gerne unverblümt, kurz und bündig mitgeteilt, dass er sich seine Probleme sonst wo hinstecken konnte. Stattdessen faltete er die Hände im Schoß und sah Apollon an.
»Ich habe von den Unruhen der letzten Nacht gehört«, bemerkte er. »Anhänger der San Bonifazio haben Parteigänger der Nogarola angegriffen, hieß es. Stimmt das?«
»Wie habt Ihr davon erfahren?«, fragte Apollon ihn mit gespielter Liebenswürdigkeit.
»Ich habe meine Quellen.«
Das glattrasierte Gesicht des Justizbeamten verzog sich zu einem spöttischen Lächeln; seine Lippen kräuselten sich, und er glich eher einem zähnefletschenden Hund als dem Abkömmling einer noblen Familie.
»Ich habe meine Quellen«, ahmte er Yon höhnisch nach. »Wer von dem hergelaufenen Gesindel, das sich Stadtsoldaten nennt, konnte den Mund nicht halten? Sagt's mir!«
»Ser Apollon, die Spatzen pfeifen die Neuigkeit längst von den Dächern«, erwiderte Yon gelassen. »Daran lässt sich nichts ändern. Aber der Aufruhr ist nicht Euer eigentliches Problem, nicht wahr? Wegen einer nächtlichen Prügelei hättet Ihr mich nicht rufen lassen. Da steckt mehr dahinter.«
Apollon stand auf und reckte seine hochgewachsene Gestalt, bis die Gelenke knackten, dann fuhr er sich mit den Fingern durch das kurz geschnittene dunkle Haar. »Oh ja«, knurrte er. »Da steckt noch mehr dahinter. Ein paar überreizte Heißsporne sind bei den Kämpfen gestorben. Das interessiert mich einen Dreck, aber es gibt einen Todesfall, den ich nicht hinnehmen kann.« Er holte tief Atem. »Ihr kennt Madonna Claudias Singvögel.«
»Ihre Huren, Dirnen und cortigiane, meint Ihr wohl?«, ließ sich Micheletto vernehmen. »Gewiss kennt er die.«
Apollon ging über Michelettos Einwurf hinweg, als habe es ihn nicht gegeben. »Diesen Singvögeln gehören auch einige hochgeborenen Witwen an, die sich dem Schutz und der Sicherheit unserer schönen Stadt verschrieben haben. Sie leisten mir wertvolle Dienste und ich habe ihnen meinen persönlichen Schutz garantiert. Eine von ihnen war Madonna Severina Montecchi, die Witwe meines liebsten Freundes aus Studientagen. In den frühen Morgenstunden fand man sie tot in einer Gasse unweit ihres Hauses am alten Fischmarkt. Man hat ihr die Kehle durchgeschnitten. Im gleichen Stadtviertel tobte auch der Straßenkampf.«
»Sie könnte ein zufälliges Opfer der Kämpfe geworden sein«, sagte Yon.
»Das ist unwahrscheinlich«, erwiderte Apollon hitzig. »Madonna Montecchi kannte jeden Winkel der Stadt und sie war nicht dumm. Sie hätte zu vermeiden gewusst, den Raufbolden in die Hände zu fallen.«
»Mord, Ser Apollon?«
Apollon zog eine Grimasse. »Ein Unfall war es wohl kaum.«
»Hat man sich an ihr vergangen?«, fragte Yon.
»Dazu scheint es nicht gekommen zu sein«, erklärte Apollon. »Madonna Montecchis Körper wies jedoch eine Reihe von Blutergüssen an den Oberarmen auf und sie hatte Blut unter den Nägeln ihrer linken Hand. Sie muss sich gegen ihren Angreifer gewehrt haben, bevor man sie überwältigt und auf barbarische Weise getötet hat.«
»Ich bedaure Euren Verlust, Ser Apollon. Wir leben wahrlich in unruhigen Zeiten.«
Apollon funkelte Yon an. »Euer Bedauern könnt Ihr Euch an den Hut stecken«, knurrte er. »Ich will Vergeltung. Ich will, dass der Mörder gefasst wird.«
Yon schüttelte sich innerlich vor Unbehagen. »Was hat das mit mir zu tun?«, fragte er. »Ihr erwartet doch nicht etwas, dass ich diesen Fall für Euch löse?«
»Doch, genau das erwarte ich.«
»Ihr habt mir bisher nicht den kleinsten Anhaltspunkt geliefert, mit dem ich beginnen könnte«, stellte Yon fest. »Falls Ihr ein Wunder erwartet, bin ich nicht der richtige Mann.«
Apollon schnaubte abfällig und Yons Unbehagen wuchs. Er spürte, dass sein Dienstherr ihm etwas verheimlichte.
»Ser Apollon, da ist noch etwas, nicht wahr?«
Der Justizbeamte drehte sich zu Micheletto um. »Schafft Euren Hintern nach draußen«, blaffte er. »Und haltet Euer Ohr vom Schlüsselloch fern!«
Nachdem die Tür hinter Micheletto ins Schloss gefallen war, sank Apollon auf seinen Schreibtischstuhl und fuhr sich mit beiden Händen durch das Gesicht.
»Es gibt da in der Tat noch etwas, Yon«, murmelte er. Er griff nach einem in Tuch gewickelten Päckchen und schob es über den Tisch.
Yon schlug den Stoff auseinander. Ein Misericordia-Dolch mit einem in sich gedrehten kannelierten Griff kam zum Vorschein. Yon stockte der Atem. Er brauchte weder die Amethyst Cabuchons noch die Inschrift auf der Klinge, Nunquam retrorsum zu sehen, um zu wissen, wem die Waffe gehörte. Neben der Klinge lag ein, offensichtlich von einem Mantel abgerissener Fetzen Stoff, der ein Stück eines Wappens zeigte. Auch dieses war im hinlänglich vertraut. Yon schluckte. »Woher stammen die Sachen?«
»Den Stofffetzen hatte Severin in ihrer rechten Faust, der Misericordia lag unter ihrem Körper.«
Yon starrte seinen Dienstherrn an. »Warum gebt Ihr mir diese Dinge?«
»Weil Ihr bewiesen habt, dass Ihr unbestechlich seid. Ihr werdet nicht ruhen, bis Ihr die Wahrheit gefunden habt.«
»Aber ...«
»Yon. Ich bin zu lange im Geschäft, um auf eine derart offensichtliche Täuschung hereinzufallen«, sagte Apollon. »Nur ein Hohlkopf wäre einfältig genug, Beweise seiner Schuld am Tatort zurückzulassen. Euer Bruder ist kein Hohlkopf, da stimmt Ihr mir doch gewiss zu?«
Yon nickte stumm, weil er nicht sicher war, ob er seiner Stimme trauen konnte.
»Schön. Da wir uns in dieser Sache einig sind, macht Euch am besten gleich an die Arbeit. Findet heraus, was geschehen ist, und bringt mir den wahren Mörder.«


Mord in Verona - Tödliche Intrigen Der 3. Fall für Yon und AdaWhere stories live. Discover now