2

3 1 0
                                    

»Soeben hat ein Bote diese Nachricht überbracht, Madonna Ada. Sie trägt das Stadtsiegel.«
Ada Contarini sah kurz von der Abhandlung auf, an der sie arbeitete. »Mein Vater ist in der Halle, Ella. Am besten bringst du den Brief gleich zu ihm hinauf.«
»Er ist an Euch adressiert, Herrin.«
»An mich?« Die junge Ärztin legte die Schreibfeder fort, nahm die versiegelte Rolle in Empfang und betrachtete sie unschlüssig. Schriftstücke mit dem Stadtsiegel von Verona enthielten selten gute Nachrichten, das wusste sie aus leidvoller Erfahrung. Vorsichtig brach sie das Siegel, zog die Rolle auseinander und las.
»Oddio.« Ada fuhr von ihrem Stuhl hoch und eilte aus der Küche. »Papà! Papà!« Mit einer Hand ihre Röcke raffend, hastete sie die Treppe zum Obergeschoss empor und stürmte in die Halle. Ihre Eltern saßen in ihren üblichen Lehnstühlen vor dem Kamin und starrten ihre Tochter mit einer Mischung aus Erstaunen und Bestürzung an.
Ada hielt ihrem Vater mit einer auffordernden Geste das Pergament hin. »Papà! Ist das Euer Werk?«
Renier Contarini nahm wortlos den Brief an sich und begann zu lesen.
»Jesus!«, entfuhr es ihm. »Nein, Ada, mit dieser Sache habe ich absolut nichts zu tun. So weit reicht mein Einfluss nicht.«
Ada riss die Augen auf. »Aber ... wer dann?«
Ravena Contarini, die bisher schweigend zugehört hatte, beugte sich vor und nahm Ihrem Gemahl das Pergament aus der Hand. »Der Große Rat hat es für angemessen erachtet, die Möglichkeit einer Zulassung als Ärztin für die wohlgeborene Ada Contarini zu prüfen«, las sie leise vor. »Besagte Ada Contarini wird gebeten, sich drei Tage nach Pfingsten einer Prüfung ihrer medizinischen Kenntnisse durch Professoren der Medizinschule von Bologna zu unterziehen ...«
Ravena ließ das Blatt sinken und sah erst ihrem Mann, dann ihre Tochter an. »Das sind doch großartige Nachrichten«, befand sie lächelnd. »Genau das, was du immer angestrebt hast, Ada. Warum schaust du so nachdenklich drein? Freust du dich nicht?«
Ada sank auf einen Stuhl und verschränkte die Hände im Schoß. »Ich weiß es nicht, Mutter. Mein Antrag wurde jahrelang entschieden abgelehnt und nun soll es so einfach sein? Ich kann mir diesen Sinneswandel nicht erklären. Ihr, Papà?«
Renier schüttelte den Kopf. »Ich verstehe es ebenso wenig. Ich habe auf unterschiedlichen Wegen versucht, mich für Ada zu verwenden. Ohne Erfolg. Nicht einmal Santiago konnte etwas ausrichten, obwohl er über beträchtlichen Einfluss im Großen Rat verfügt.«
Ada nickte. »Seht Ihr, Mutter, das meine ich. Diese Einladung kommt viel zu plötzlich. Etwas stimmt da nicht.«
»Ein einflussreicher Fürsprecher vielleicht?«, schlug Ravena vor.
»Ich wüsste keinen«, erwiderte Ada.
»Was ist mit Konradin von Hohenstaufen? Der Herzog hat allen Grund, dir dankbar zu sein für deine Hilfe bei der Aufklärung der Morde an den Gesandten.«
»Ach, Mutter, ich befürchte, er hat meinen Namen längst vergessen«, sagte Ada. »Aus den Augen, aus dem Sinn.«
Renier erhob sich, holte einen Weinbecher vom Wandregal, füllte ihn und reichte ihn seiner Tochter. Ada nahm den Becher dankbar entgegen und trank einen Schluck.
Sie wollte sich so gerne freuen – die Gelegenheit ihre Zulassung zu erhalten war etwas Seltenes und Wunderbares. Doch tief in ihrem Inneren hegte sie die Befürchtung, dass die Einladung ein grauenvoller Scherz war, den sich eine missgünstige Seele erlaubte. Entschieden verdrängte sie die Erinnerung an den Hohn, den man ihr entgegengebracht hatte, den beißenden Spott ihrer männlichen Amtskollegen, der ihr noch in den Ohren klang. Ihr seid keine von uns. Wir hoffen, im Bett taugt Ihr mehr, als Ihr's als Ärztin tut.
Ihr Vater strich sich nachdenklich über den kurzen Bart. »Lassen wir uns die Sache einmal genauer durch den Kopf gehen«, schlug er vor. »Wer außer uns weiß von deinem Wunsch, eine Approbation zu erlangen?«
»Niemand.«
Ravena beugte sich vor und musterte sie so eindringlich, dass Ada am liebsten weggesehen hätte. Sie ahnte, was nun folgen würde. Ihre Mutter nutzte jede Gelegenheit, um Yon Moreno ins Spiel zu bringen, auch wenn Ada sich befleißigte, nicht darauf einzugehen.
»Aber mit Yon hast du doch gewiss über deinen Herzenswunsch gesprochen, nicht wahr?«
»Nein, Mutter, warum hätte ich das tun sollen?«
Ravena lächelte sanft. »Diese Sache würde zu ihm passen. Er liebt es, dir Geschenke zu machen.«
»Das ist absurd, Mutter, und das wisst Ihr auch. Yon verfügt wohl kaum über die nötige Macht, um meine Zulassung durchzusetzen.«
»Da muss ich Ada beipflichten«, sagte Renier.
»Dann gibt es da draußen vielleicht mehr Menschen, als du denkst, die dich schätzen und an dich glauben.«
»Wohl kaum«, murmelte Ada.
»Wir dürfen die Augen nicht vor der Tatsache verschließen, dass es eine List sein könnte, die Adas Stellung – oder auch meine – untergraben soll«, sagte Renier. »Ich halte es für weise, die Einladung mit Vorsicht zu betrachten und uns gründlich umzuhören, bevor wir eine Entscheidung treffen.«
Ada seufzte. »Ich weiß.« Wie satt sie es hatte, beständig gegen Misstrauen und Zweifel ankämpfen zu müssen. Sie wollte in der Lage sein, ihren eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, doch dieses Ziel schien immerzu außerhalb ihrer Reichweite zu liegen.
»Wir sollten trotzdem nicht versäumen, Ser Yon zu befragen«, beharrte Ravena. »Ich kann das Gefühl nicht abschütteln, dass er seine Hände im Spiel hat.«
»Gebe Gott, es wäre so«, murmelte Renier. »Dann müsste ich mir weniger Sorgen machen, dass Ada erneut zum Spielball eigennütziger Ränkeschmiede werden könnte. Ihre wahre Herkunft ist nicht länger das gut gehütete Geheimnis, das wir über Jahre hinweg bewahrt haben.«
»Ich werde sogleich eine Nachricht an Yon aufsetzen«, erklärte Ravena.
Ada horchte auf. »Er ist nicht in der Stadt, Mutter.«
»Oh. Das wusste ich nicht.«
»Ich auch nicht«, gestand Renier.
»Er kümmert sich um sein Gut«, murmelte Ada.
Ravena wandte sich ihrem Gemahl zu. »Da hast du es. Unsere beständig Desinteresse heuchelnde Tochter weiß besser Bescheid als wir.«
»Tja. Vielleicht war Yon klüger als wir und hat einen Weg gefunden, wie man ihr beikommen kann«, bemerkte Renier launig.
Ada schüttelte den Kopf, weigerte sich, in Gedanken eine Antwort zuzulassen, von der sie hoffte, dass sie nicht wahr sein konnte. Sollte Yon ihr tatsächlich diese unglaubliche Möglichkeit verschafft haben, so würde sie für immer in seiner Schuld stehen – eine Schuld, die sie niemals begleichen konnte. Und das kam nicht infrage.


Mord in Verona - Tödliche Intrigen Der 3. Fall für Yon und AdaWhere stories live. Discover now