Kapitel 47

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Ando betrachtete stolz, wie Isa mit seiner zukünftigen Stiefmutter und seinem Vater sprach.
Die beiden waren sehr überrascht, als Ando zuerst nach einem Kleid bei Diljia erbat und dann erklärte, seine Braut sei endlich eingetroffen.
Wie er es sich dachte, reagiert Diljia sofort und lud die beiden zum Frühmahl in ihr Gemach ein, um sich besser kennen zu lernen. Der nächste Schreck über Kaldr und Varis war schnell überwunden und die beiden lagen nun vor Diljias Kamin und Kaldr nagte an einem Knochen, den Diljia für ihn geordert hatte.
Natürlich gab es seltsame Blicke der Mägde und auch die höher Bediensteten, die ihren Dienst bei der neuen Herrin verrichteten,  fragten sich, warum sich Isa nicht gleich zu erkennen gegeben hatte.
Diljia nahm gerade Isas Hand und strich ihr über den Handrücken.
„Wir sind so froh, dass du hier bist. Thore wollte nicht ohne dich hier sein und er wagte es sogar, sein Dasein bei der Hochzeit in Frage zu stellen."
Isa runzelte einen Moment die Stirn, als sie seinen Geburtsnamen hörte, doch dann lächelte sie.
„Ich muss zugeben, dass ich auch nicht ohne ihn sein wollte. Deswegen wagte ich den Weg hierher, obwohl mir viele abrieten."
Morten schnalzte mit der Zunge.
„Es war tatsächlich gefährlich, was du gewagt hast. Warum hast du nicht mit dem Boten auf einen bessren Zeitpunkt gewartet? Ich kenne diesen Mann und weiß, dass er kein Risiko eingegangen wäre."
Isa sah Morten schulterzuckend an.
„Ando erzählte mir auch von einem Boten, aber niemand am Königshof wusste von einem Mann, den Ihr geschickt habt, Herr."
Morten strich sich nachdenklich über den Bart.
„Das ist seltsam. Ich habe ihn schon vor einiger Zeit geschickt und er ist ein zuverlässiger Mann."
Ando trat hinter Isa und legte seine Hände auf ihre Schulter.
„Vielleicht kam er nie an. Wenn er mit einem Langboot unterwegs war..."
Morten schüttelte den Kopf.
„So verrückt bin ich nicht, einen fähigen Mann zu dieser Jahreszeit in einem Langboot mit voller Besatzung zu schicken. Ich brächte nicht nur ihn in Lebensgefahr, sondern auch die Seeleute. Nein, ich habe ihn über Land geschickt. Und er weiß genau, wo er einkehren kann, wenn ihn ein Schneesturm erwischt. Ich habe zwar damit gerechnet, dass es lange dauern würde, bis man den Norden bereisen kann, aber dass der Mann nicht einmal bis zum König kam, ist seltsam."
Er zeigte auf Isa.
„Du hast es ja bewiesen, dass es möglich ist und du bist fremd in meinem Land, Kind."
Isa nickte.
„Allerdings fand ich keinen Hof auf meinen Weg, obwohl Andos Bruder mir erklärte, dass es welche geben müsste, die mir Gastfreundschaft gewähren würden."
Morten nickte.
„Das ist richtig. Jeder meiner Bauern hält sich an die alten Anweisungen der Götter, obwohl ich ein christlicher Fürst bin. Selbst ich halte mich an manche alten Gesetze, weil es einfach sinnvoll ist. Die Gastfreundschaft gehört unbedingt dazu."
Er stand auf und ging zum Kamin.
„Ich werde nach ihm suchen lassen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass du keinen Hof gesehen hast, denn wenn du auf den Wolf vertrautest, wird er dich weit weg von den Menschen geführt haben."
Isa nickte, doch Ando bemerkte, dass ihr irgendetwas auf der Zunge lag, es aber nicht aussprechen wollte.
Er drückte sanft ihre Schultern und sah dann lächelnd zu Diljia.
„Wenn du erlaubst, werde ich meiner Braut die Burg zeigen. Auch wenn sie schon einige Tage hier ist, hat sie noch nicht alles gesehen."
Diljia schlug erschrocken die Hand vor den Mund, wie sie es heute schon einige Male tat, sobald ihr bewusst wurde, dass die zukünftige Fürstin den Boden der Halle schrubbte.
„Natürlich. Ich werde euch noch einen Umhang bringen lassen, damit du ihr auch außerhalb der Burg etwas zeigen kannst. Den Wald oder das Ufer zum Fjord. Oh ja. Der Platz ist noch schöner, selbst im Winter."
Sie sah zu Morten, der sie verliebt anlächelte.
Ando musste ein Schnauben unterdrücken. Er liebte Isa auch, aber so stellte er es bestimmt nicht zur Schau.
Stattdessen nahm er Isas Hand und führte sie in sein Gemach. Kritisch blieb er stehen und betrachtete den Raum, der für ihn ausreichend war, aber mit Isa zusammen würde es etwas eng werden.
„Ich werde mit meinem Vater reden, damit wir andere Räume beziehen können."
Sie kicherte und legte ihre Arme um seinen Nacken.
„Wir haben schon in ganz anderen Behausungen unser Lager geteilt und es hat mich nicht gestört."
Sie lehnte sich an ihn.
„Deine Mutter will mir eigene Gemächer geben. Sie will es wohl so halten, wie es bei ihr und deinem Vater ist."
Er richtete sich auf.
„Das kommt nicht in Frage! Ich werde mich bestimmt nicht nachts durch die Flure schleichen, nur um in dein Gemach zu kommen. Das mag mein Vater vielleicht jahrelang toleriert haben, aber ich bestimmt nicht. Wir werden uns nicht mehr trennen."
Sie lächelte ihn an und nickte.
„Dann ist es ja gut, das ich abgelehnt habe. Auch in deinen Namen."
Er setzte sich auf einen Hocker und hob sie auf seinen Schoß.
„Was ist dir vorhin durch den Kopf gegangen, als du mit meinem Vater über den Boten geredet hast?"
Sie holte tief Luft.
„Dir entgeht wohl nichts. Aber ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich etwas lostrete, was lieber ruhen sollte."
Ando zuckte mit den Schultern.
„Du kannst mir alles erzählen, das weißt du. Bei meinem Vater bin ich mir zwar nicht sicher, aber er scheint ein vernünftiger Mann zu sein."
Er fuhr sich über das Gesicht.
„Es ist schwierig für mich. Es ist meine Heimat. Ich habe meinen Vater gefunden. Meine Mutter brauche ich nicht kennenlernen, aber meine Ziehmutter ist eine gute Frau."
Isa nickte.
„Ich mag deine Eltern. Aber es ist hier anders als bei Kjartan und Tarja. Ich denke, dein Vater ist ein ehrenwerter Mann, aber das kann man nicht von allen behaupten."
Ando hob eine Augenbraue.
„Was hast du gehört?"
Sie seufzte.
„Ich habe nur Sachen aufgeschnappt, Liebster. Als Magd hört man viel, da einige uns gerne übersehen. Dennoch weiß ich, dass es Männer gibt, die nicht mit dir einverstanden sind."
Er zuckte mit den Schultern.
„Es ist auch tatsächlich nur einer, aber er hat Männer, die ihm folgen. Und diese reden ihm um den Mund, um sich ihre Position zu sichern."
Ando nickte.
„Rolf. Ich ahne schon, dass hinter seinem freundlichen Getue nichts Gutes dahinter steckt."
Isa umarmte ihn und legte ihren Kopf auf seine Brust.
„Da ist noch etwas. Er hat nach einem Rechtssprecher geschickt. Er betonte, dass es ein Christ sein muss."
Ando fluchte.
„Dann hat er es tatsächlich auf mich abgesehen. Das ist sein größter Anklagepunkt, nämlich, dass ich kein Christ bin und meinem alten Glauben nicht abschwöre. Wen hat er geschickt?"
Sie lächelte ihn an.
„Mache dir keine Sorgen. Er hat Anouk, die Frau, die mich herbrachte, zum Königshof geschickt. Ich habe sie darum gebeten, zu Bendt zu gehen. Sie ist klug und weiß, dass sie sich ihm anvertrauen kann. Dein Bruder wird wissen, was zu tun ist."
Ando nickte, denn das war die Wahrheit. Wenn es um Intrigen, Verrat und solche Sachen ging, war Bendt derjenige, der sich am meisten damit auskannte.
„Ich hoffe, Rolf hat dich nicht bemerkt. Ich will dich nicht in Gefahr wissen."
Isa schüttelte den Kopf.
„Selbst in der Zeit, als ich als Magd arbeitete, bemerkte er mich nicht. Er ist einer von den Männern, die hochnäsig auf ihnen Untergebene herabblickt oder sie einfach ignoriert."
Sie hob einen Finger.
„Ich hoffe, du bist nicht so ein Mann geworden?"
Er lachte leise und küsste sie auf sie Wange.
„Nein. Ich wurde gut erzogen. Ich habe mich immer brav bedankt und nur einmal etwas lauter gesprochen, als sich die Frauen das Recht heraus nahmen, mich in ihr Lager zu locken."
Sie grinste ihn an.
„Das muss ja schwer für dich gewesen sein, ihnen allen zu widerstehen. Ich weiß ja, dass die Mägde hier nicht unansehnlich sind."
Er knurrte leise.
„Hör auf damit, Isa. Du weißt, dass ich keine andere Frau als dich will."
Sie nickte, denn sie wusste es wirklich. Aber sie neckte ihn eben gerne.
„Ich frage mich wirklich, wer den Boten aufgehalten hat und damit unser Zusammentreffen verhindern wollte. Zuerst hatte ich wirklich deinen Vater und deine Ziehmutter im Kopf, aber die scheinen keine Standesdünkel zu haben."
Ando nickte.
„Das haben sie wirklich nicht. Wie sie es dir schon erzählten, kommt Diljia ebenfalls nicht von einer adligen Familie. Sie haben mir mehr als einmal versichert, dass sie auf keine arrangierte Ehe bestehen, weil sie selbst schlechte Erfahrungen machten. Sie dürfen jetzt erst heiraten."
Isa kaute nachdenklich an ihrem Daumennagel.
„Es kann dann nur so sein, dass jemand eben nicht will, dass du als Nachfolger deines Vaters benannt wirst."
Ando schnaubte.
„Das bin ich doch schon. Mein Vater hat es verlauten lassen, kaum dass er meine leibliche Mutter der Entführung seines Erben bezichtigte."
Isa zuckte mit den Schultern.
„Aber du hattest noch keine Frau. Und damit konntest du keinen Erben zeugen. Nun kannst du es. Ich bin mir sicher, dass es nicht mehr lange gedauert hätte, bis dieser Rolf eine passende Braut präsentiert hätte."
Ando riss die Augen auf.
„Diljia ist noch nicht zu alt, um selbst einen Erben zur Welt zu bringen. Ich glaube nicht, dass sie unfruchtbar ist. Zumindest jetzt nicht mehr, seit Gundis fort ist und sie ihre Vertrauten mitnahm."
Isa nickte langsam.
„Es ist einfach, den Körper so zu vergiften, dass er keinen Samen aufnehmen kann. Es hängt alles zusammen, Liebster. Wir erkennen es nur noch nicht. Ich bin mir sicher, dass noch einiges auf uns zukommt."
Er seufzte.
„Das befürchte ich auch. Und wenn ich ehrlich zu dir sein darf, will ich die Burg so lange nicht verlassen, bis ich meinen Vater und Diljia in Sicherheit weiß."
Sie lächelte ihn an.
„Das verstehe ich. Und deswegen bleibe ich auch bei dir. So lange du willst. Auch wenn es für immer ist."

Anouk rieb die Hände aneinander und pustete ihren Atem auf die Finger.
Es hatte sehr lange gedauert, bis sie an der Königsburg angekommen war. Dreimal war sie in einen Schneesturm geraten und froh um die Sachen gewesen, die ihr Isa mitgegeben hatte.
Gerade rechtzeitig erreichte sie ihr Ziel, denn das Lebenswasser, dass ihr Vater auch immer trank, ging zur Neige. Es war schon ein gewaltiger Zufall, dass Bendt, der unbekannte Krieger und zukünftiger Verwandte von Isa, gerade diesen Alkohol wählte, der von der Heimat ihres Vaters kam.
Fagan, ihr Vater,  war noch ein kleiner Junge gewesen, als man die Nordmänner über die Hebriden in seine Heimat eintrafen und Tod und Zerstörung mit sich brachten. Während sie sich selbst dort ansiedelten, verkauften sie die Gefangenen als Sklaven und so kam es eben, dass der kleine Fagan bei den Nordmännern aufwuchs. Er hatte Glück, denn ein Nordmann mit gutem Herz kaufte den Jungen, weil ihm sein rotes Haar gefiel. Fagan wuchs mit den Kindern der Nordmänner auf und als er sich freikaufen konnte, blieb er noch etwas, um sich mehr zu verdienen. Außerdem war da noch Rhoana, Anouks Mutter, die er begehrte und die er an seiner Seite wissen wollte.
Anouk war hier geboren und aufgewachsen und dennoch fühlte sie sich in diesem Land fremd. Vor allem die Menschen kamen ihr seltsam vor.
Doch dieser Bendt hatte ihr etwas Heimat ins Herz gebracht, auch wenn es nur eine kleine Flasche gewesen war und sie wahrscheinlich nie einen Fuß auf das Heimatland ihres Vaters setzen würde.
Dennoch.
„Du wolltest mich sprechen, Mädchen?"
Sie drehte sich zu der Stimme um und starrte den Mann an, der gerade in die Gesindekühe gekommen war.
Er war kleiner als die Männer, die ihr sonst begegnete. Sie waren etwa auf gleicher Höhe, aber das irritierte sie nicht so sehr. Gerade kreuzte er seine Arme vor seiner Brust und die Muskeln traten unter den Tätowierungen hervor.
Sein langes Haar war zu einem geflochtenen Zopf gebändigt und seine hellblauen Augen schauten sie neugierig an. Sie erkannte, dass er sehr klug war und in ihr wuchs das Bedürfnis, sich mit ihm zu unterhalten.
Nun, das würde nicht in Erfüllung gehen, wenn sie ihr Gegenüber weiterhin so anstarrte.
Leise räusperte sie sich.
„Mein Name ist Anouk. Ich habe Isa zur Burg des Fürsten Leifsson begleitet und ich wurde hierher geschickt, um dem Berater des Königs eine Nachricht zukommen zu lassen."
Das ernste Gesicht des Mannes verflüchtigte sich und ein Lächeln zierte seine Lippen.
„Da muss ich dich enttäuschen, Mädchen. Ich bin nicht der Berater des Königs. Ich habe ncihts mit dem König zu tun."
Sie nickte.
„Ich weiß, wer du bist. Isa hat es mir erzählt. Dein Name ist Bendt Kjartansson und du bist er Berater deines Bruders Finn Kjartansson. Außerdem bist du ein Kundschafter und ein Gesandter deines Bruders."
Sie hob den Beutel in die Höhe, den sie von Isa hatte.
„Du hast Isa den Beutel mitgegeben und sie hat ihn mir vermacht."
Er nahm den Beutel an und grinste, als er die leere Flasche schüttelte.
„Hat Isa meinen Bruder gefunden?"
Sie zuckte mit den Schultern und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
Vor dem Kamin wurde es nun sehr warm.
„Ich kann es dir nicht sagen. Ich verschaffte ihr Arbeit auf der Burg, damit sie ihren Liebsten suchen kann, aber dann wurde ich mit einer Botschaft hierher geschickt."
Sie zog ihre Kapuze vom Kopf und schüttelte ihr Haar aus, dass nun lockig ihren Rücken herunterfiel.
Sie hörte ein leises Stöhnen und sah zu Bendt, der sie nun mit großen Augen betrachtete.
„Was?", fragte sie böse, denn sie mochte es nicht, wenn man sie so anstarrte. Wahrscheinlich machte er sich über ihr rotes Haar lustig, wie jeder andere Nordmann.
Bendt schluckte hart, doch dann lächelte er.
„Verzeih mir, ich war nur einen Augenblick abgelenkt. Aber ich danke dir, dass du mich über Isas Verbleib aufklärst, aber nun solltest du zu diesen Berater gehen und..."
Sie schüttelte den Kopf, dass ihre Locken nur so herumflogen.
„Nein. Das wollte ich dich nicht treffen. Irgendwie habe ich das Gefühl, es passiert gerade etwas Schlimmes. Deswegen wollte ich zuerst mit dir reden. Isa meinte, du wärst sehr klug und würdest alles verstehen."
Sie neigte sich zu ihm.
„Es wurde nach einem Rechtssprecher verlangt. Nach einem christlichen Rechtssprecher. Und ich sollte eben nur mit diesem Berater reden. Ist das nicht komisch? Der Haushalt von Fürst Leifsson ist christlich. Warum bestellt man einen christlichen Rechtssprecher, wenn man selbst christliche Berater hat?"
Bendt sah sich um und nahm sachte ihren Ellbogen.
„Das ist wirklich seltsam. Komm mit mir. Ich weiß, mit wem wir reden sollten."

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