Kapitel 58

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Der Morgen des Angriffs begann ruhig.
Später würde man sagen, dass es einigen zu ruhig war. Doch es war eine Kleinigkeit, die den Verlauf des Angriffs zum Vorteil des Fürsten ausfiel und ihm und seinen Kriegern etwas Zeit verschaffte.
Die Burgbewohner begannen bei Sonnenaufgang mit ihrer Arbeit und der Sohn des Fürsten lief auch schon mit seinem Vater über den Burghof und unterhielt sich angeregt mit ihm.
Die Kinder, die in der Burg lebten, rannten schon umher und manch einer schimpfte mit ihnen, wenn sie vor deren Füßen liefen. 

Es war wie jeden Morgen.
Gerade, als die Wache das Burgtor öffnen wollte, um den täglichen Geschäften nachzugehen, stolperte ein Junge über ein Tau, dass jemand achtlos im weg liegen ließ, fiel unglücklich hin und stieß sich den Kopf an einem Stein.
Alle waren in heller Aufregung, weil der Junge einige Momente ohne Bewusstsein war und man auch sah, dass sein Bein sich seltsam verdreht hatte. Bevor noch einer daran dachte, das Tor zu öffnen, holte man lieber Bruder Anselm, der sich das Kind ansehen sollte.
Jeder schaute auf das Geschehen hinter dem Burgtor und niemand bemerkte, wie sich von der Waldseite her einige Krieger heranschlichen, ihre Bögen anspannten und dann einen Hagelschauer an Pfeilen auf die Burg entließen.
Brennende Spitzen drangen in die Strohdächer der Scheunen ein und einige andere trafen auf Männer, die auf den Burgmauern Wache schoben.
Nach einem Moment der absoluten Stille, brach die Panik aus. Mütter rannten zu ihren Kindern, um sie in das Innere der Burg zu bringen, wo sie in Sicherheit vor den Brandpfeilen waren. Bauern, Krieger und Männer vom Adel halfen den Verletzten ebenfalls in die Burg zu kommen, während Bruder Anselm anderen Frauen Anweisungen gab, wo man die Verletzten unterbringen sollte und wo man das Verbandszeug und die Kräuter fand, die er schon seit mehreren Wochen auf Raten des Fürstensohnes hortete.
Der Fürst selbst erstarrte und schaute dann in das entschlossene Gesicht seines Sohnes, der nicht beunruhigt wirkte.
Thore rief nach Tjelle, der mit seinen oberen Kriegern voll bewaffnet in den Burghof kam und ihm zunickte.
Fürst Morten ließ sich auch ein Schwert bringen und haderte mit sich selbst, dass er die Bedenken seines Sohnes nicht ernster genommen hatte.
Die Leute bildeten eine Löschkette, die vom Brunnen bis zu den brennenden Dächern reichte und das Schlimmste verhinderte.
In der Burg half die Fürstin und deren Schwiegertochter bei der Versorgung der Verletzten. Sie hörten Bruder Anselm zu, doch dann machten sie sich an die Arbeit, um den Männern und den Frauen zu helfen, die vor Schmerzen stöhnten.
Die Kinder saßen im Speiseraum der Burg und die älteren Mägde versuchten sie mit Geschichten und Liedern von den Kampfgeräuschen abzulenken.
Anouk, die Waldläuferin, saß am Fenster des großen Saals, in dem die Verletzten untergebracht wurden und schoss mit ihrem Bogen auf die Gegner, die zahlreich aus den Wäldern strömten. Insgeheim betete sie zu den Göttern, dass ihre Familie verschont geblieben war.
Vor dem kleinen Eingang, den die Bediensteten als Ein- und Ausgang nutzte, stand eine Schar Krieger und starrten böse auf den ehemaligen Bewohner dieser Burg, der ihnen eigentlich versprach, durch diesen Einlass leicht in die Burg zu kommen. Doch auch hier hatte der Sohn des Fürsten Vorsichtsmaßnahmen ergriffen und es war schier unmöglich, die kleine Tür zu öffnen.
Rolf, der laut fluchte, wusste nicht, dass diese Tür nicht nur verriegelt war, sondern auch schon seit einiger Zeit nicht mehr benutzt wurde. Der Sohn des Fürsten hatte es zumauern lassen, weil er einen Angriff genau an dieser Stelle befürchtete. Rolf wusste nicht, dass es mittlerweile einen anderen Eingang gab, der aber gut beschützt wurde und es unmöglich für einen Fremden war, diesen zu finden. Das Schlimme war allerdings, dass der Versuch, hier einzudringen, bemerkt wurde. Pfeile und Felsbrocken hagelten auf die Krieger herunter und bevor sie sich schützen konnten, starben viele Männer mit dem Schwert in der Hand. Der Rest entfernte sich wieder von der Burg und fluchten auf Rolf, der unter den Geflüchteten war.
So beschränkten sich die Angriffe an diesem Tag nur auf den Fernkampf, in denen der Feind versuchte, große Teile der Burg in Brand zu setzten, was ihnen nur mäßig gelang, da auch hier Vorsichtsmaßnahmen getroffen worden waren.
Die Sonne ging unter und der Feind zog sich in den Schutz des Waldes zurück, um am anderen Tag sein Glück erneut zu versuchen.

WolfsgesangWhere stories live. Discover now