❊~~ Kapitel 2 ~~❊

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Du sabberst!

Mit dem Zeigefinger tippe ich gegen meinen Mundwinkel und deute Marc an: Du hast da was!

Nein. Er sabbert nicht wirklich, aber irgendwie muss ich ihn doch ins Hier und Jetzt zurückholen.

Kaum merklich schüttelt Marc den Kopf, wohl um sich seinem Tagtraum zu entziehen. Er fährt sich mit dem Handrücken über den Mund und wischt sich die vermeintliche Spucke weg. Irritiert blickt er auf seine Hand.

Ich kann das dümmliche Hä?!? von seinem Gesicht ablesen und muss ein Glucksen unterdrücken.

Es scheint ihm keinen Sinn zu ergeben. Spucke ist nass und diese Nässe fehlt ... Er sucht nach der feuchten Spur auf der Haut.

Ich weiß, dass er nichts vorfinden wird, und seinem finsteren Gesichtsausdruck nach zu urteilen, hat er das gerade realisiert. Er ist sich nun bewusst, dass ich ihn damit nur aufgezogen habe.

Hoffentlich ist er mir nicht böse ...

Ich lächle entschuldigend und auch seine Miene erhellt sich wieder.

Ufff! Gedanklich tupfe ich mir den Schweiß von der Stirn.

Mit dem Mund forme ich ein SOS und beiße mir verlegen auf die Unterlippe.

Marc hebt fragend eine Braue und mit erhobenem Zeigefinger bitte ich ihn, einen Augenblick zu warten. Ich sehe mich rasch um, entdecke den Prüfungsexperten am Fenster. Verträumt steht er da und bewundert das Matterhorn.

Typisch Flachländer!

Unser imposantes Wahrzeichen verschafft mir etwas Zeit.

Mit ein paar Handzeichen wende ich mich wieder an Marc: Drei. Bitte. Bitte. Ich zeige ihm meine spärlich ausgefüllte Übersetzungsaufgabe und ziehe einen Schmollmund.

Marc versteht sofort und zögert auch nicht, mir zu helfen. Bereitwillig hält er sein Prüfungsblatt hoch, mit der Aufgabe drei zu mir gewandt.

Danke!, forme ich mit den Lippen.

Meine Augen verengen sich zu Schlitzen – kann man dadurch eigentlich besser sehen? – und dennoch muss ich mich höllisch konzentrieren, um Marcs Hieroglyphen zu entziffern. Ich kritzle einfach drauflos, achte kaum auf mein Blatt, geschweige denn auf die Linien. Ich schreibe, als würde mein Leben davon abhängen.

Na ja, mein Leben vielleicht nicht, aber zumindest meine Sommerferien!

Schon bald schmerzt meine rechte Hand und meine Finger krampfen sich regelrecht um den Stift.

Fast geschafft!

Mittlerweile bin ich beim letzten Satz angelangt und das Herz schlägt mir bis zum Hals. Das Blut rauscht laut in meinen Ohren, so höre ich die vehementen Schritte hinter mir erst, als sie schon ganz nah sind.

Marcs zerknirschte Miene und sein gefluchtes «Merde!» können nur eines bedeuten: Wir sind erwischt worden.

Ich ziehe den Kopf ein, will mich ganz klein machen, um die Aufmerksamkeit nicht auf mich zu lenken.

Es scheint zu klappen. Der Aufseher hat nämlich nur Marc im Visier. Wahrscheinlich weil er ihn zuvor schon auf dem Kicker hatte.

«Monsieur Foster. Für Sie ist die Prüfung jetzt vorbei. Was genau damit passieren wird, werde ich mit Ihrem Fachlehrer, Klassenlehrer und dem Direktor besprechen ... Der Verdacht liegt nahe, dass Sie abgeschrieben, beziehungsweise geschummelt haben ...»

Marc steht auf und befindet sich nun mit dem Prüfungsexperten auf Augenhöhe. Er widerspricht forsch: «Ich habe es nicht nötig zu schummeln ...» Und plötzlich wechselt er ins Französische. Er redet so schnell, der Aufseher kann kaum mit ihm mithalten, kommt fast gar nicht zu Wort. Marc will ihm wohl beweisen, wie gut er die französische Sprache beherrscht.

Ich will mich melden und mich stellen, so räuspere ich mich laut, doch Marc gibt mir ein verborgenes Handzeichen, es nicht zu tun.

Mein Name fällt kein einziges Mal. Marc nimmt alles auf sich.

Zu guter Letzt klatscht er der Aufsicht das Prüfungsblatt gegen die Brust. «Hier!» Das Blatt knittert. «Mir ist scheißegal, was Sie damit anstellen werden. Wenn es Ihnen Freude macht, können Sie sich auch Ihren Allerwertesten damit abwischen.»

Der Experte zieht scharf den Atem ein und scheint dem Platzen nahe, doch heraus kommt wider Erwarten nur noch Luft. Er ist sprachlos.

Marc nutzt die Gelegenheit, schnappt sich Etui und Rucksack und zeigt mir im Verborgenen ein Pssst!, ehe er aus dem Klassenzimmer stampft. Die Tür fällt lautstark hinter ihm ins Schloss.

Die letzten zehn Minuten der Unterrichtsstunde kämpfe ich den Drang in mir nieder, alles zu gestehen und Marc zu entlasten. Ich schaffe es kaum noch, mich auf die Prüfung zu konzentrieren. Mein schlechtes Gewissen wächst und wächst.

Beim erlösenden Dreiklang der Schulglocke, atme ich auf und gebe die Prüfung ab. Doch ich fühle mich nicht wirklich befreit oder erleichtert. Mein schlechtes Gewissen wiegt wohl mittlerweile so viel wie das Matterhorn.

Chubby Cheeks - Was sich neckt, das liebt sich ...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt