❊~~ Kapitel 9 ~~❊

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Tief und wohlig seufzend lege ich das Buch zur Seite und schließe verträumt die Augen.

Ich fühle mit den Hauptcharakteren des Romans mit. Noch vor ein paar Stunden steckte ich in derselben Situation und nun da ich weiß, was sie empfinden, erlebe ich die spicy Szenen noch einen Zacken intensiver.

Sachte berühre ich meine Lippen, lasse den Zeigefinger kitzelnd darübergleiten.

Ich kann Marcs Kuss noch immer spüren, den Geschmack von dunkler Schokolade auf meiner Zunge schmecken.

Mmmmh ...

Ich zeichne den Weg seines Mundes nach bis zu einer Stelle an meinem Hals, an der er etwas länger verharrt ist. Nach wie vor nehme ich ihn dort wahr ... so als wär da was.

Hmmm ...

Plötzlich fehlt mir seine Nähe und ich habe das Bedürfnis, die Arme um mich zu schlingen, bedecke meine Haut dort, wo er sie berührt hat.

In Gedanken durchlebe ich den Kuss noch einmal und prompt meldet sich auch das Kribbeln in meinem Bauch zurück.

Mutters Rufen holt mich aus meiner Träumerei: «Corinne! Abendessen ...»

Die Haustür fällt ins Schloss, es raschelt und augenblicklich dringt der Geruch von Burger und Pommes in mein Zimmer und in meine Nase.

Eigentlich müsste mir jetzt der Magen knurren, doch ich verspüre kein Hungergefühl. Stattdessen regen sich die wohl tausend Schmetterlinge. Da bleibt kein Platz mehr für Nahrung.

Kann man nur von Luft und Liebe leben?

Scheint so.

Davon wird man wenigstens nicht dick ... außer man wird schwanger.

Mentale Notiz an mich: sich um Verhütung kümmern!

Ich stehe auf und geselle mich zu Mum und Samuel in die Küche.

«Seid ihr gerade erst vom Zahnarzt zurück?»

«Wir waren noch einkaufen und bei Mäcces essen. Aber ich hab auch an dich gedacht, Schwesterchen.» Samuel stellt die McDonald's Tüte vor mich auf der Kücheninsel ab und grinst breit, zeigt mir seine wieder makellose Zahnreihe.

Wie lange das wohl so bleibt?

«Äh ... Danke ... Aber ich habe keinen Hunger.»

«Schatz. Du hattest doch nur ein Sandwich ...»

Meine Mutter mustert mich besorgt und ich knicke ein.

«Um ehrlich zu sein, hatte ich noch nicht einmal das ...»

«Es ist noch im Rucksack?», fragt mein Bruder hoffnungsvoll nach.

«Nein. Bourbon, Alain Fosters Husky, hat es verputzt.»

«Schade ...»

Doch plötzlich beginnen die Rädchen in seinem Kopf auf Hochtouren zu arbeiten. Ich kann es ihm ansehen.

Ist es, weil ich auf Foster getroffen bin? Oder denkt er wieder mal ans Essen? Überlegt er, was jetzt mit meinem Burger und den Pommes geschieht?

«Na dann. Wenn du keinen Hunger hast ...» Er schielt auf mein Essen.

«Bedien dich ruhig.» Ich schiebe die noch warme Tüte vor ihn. «Morgen steigt eine Poolparty und mein Bikini muss perfekt sitzen, wenn er denn noch rechtzeitig geliefert wird ...»

Er stöhnt auf. «In letzter Zeit habe ich solche Sprüche ziemlich oft gehört – ein Mal zu oft. Das ist nun zum Glück vorbei. Fang du bitte nicht auch noch damit an, Schwesterchen.»

Macht er sich etwa Sorgen um mich?

Versucht er Vaters Rolle einzunehmen?

Er klingt vielleicht etwas wehmütig. Also habe ich richtig vermutet. Es ist vorbei.

«Dann ist sie jetzt offiziell deine Ex?»

Er nickt nur und ich kann mir einen Seitenhieb nicht verkneifen: «Tröste dich. Dann ist sie für diese Woche jetzt bestimmt satt ...» Ich tippe gegen meinen Zahn und deute damit an, dass sie sein Zahneckchen verschluckt hat.

Samuel verzieht seine Miene zu einem stummen Haha!.

«Und was meinen Hunger betrifft. Sei doch froh, sonst kämst du jetzt nicht in den Genuss meines Menüs ...»

Sam packt den Burger, die Pommes und eine Curry Sauce aus der Tüte. Bei der Sauce rümpft er die Nase.

«Aber wenn ich's mir recht überlege ...» Er sieht schon sein Essen in Gefahr. Doch ich ergreife die Curry Sauce, in die ich üblicherweise die Pommes tunke, öffne sie und schlürfe sie aus. «Zufrieden? Das waren ja wohl genügend Kalorien für heute ...»

Sam verzieht angewidert das Gesicht.

Auch ich bedauere es. Ich kann Marcs Kuss nicht mehr schmecken ...

«Die Post habe ich heute Morgen schon hereingeholt und auf die Kommode in der Garderobe gelegt ...» Mutter kommt mit dem Paket zurück in die Küche und stellt es vor mich hin.

«Ups! Hab ich gar nicht gesehen.»

«Ist ja auch ein kleines ...»

«Wirklich viel Stoff kann das ja nicht sein», meckert Sam und blickt abschätzig auf den Karton.

«Hör auf, deine Schwester zu ärgern!» Mutter gibt ihm einen Seitenhieb. «Los. Anprobieren. Ich will ihn sehen.»

Ich nehme den schwarzen Bikini aus der Schachtel und verkünde verheißungsvoll zwinkernd: «Bin gleich zurück.»

«Gleich?», spottet Samuel und verdreht die Augen. «Schwesterherz. Bis du dich umgezogen hast, habe ich dein Small Menu locker ratzeputz fertig gespachtelt. Wetten?»

Diese Wette werde ich mit Sicherheit gewinnen. «Dein Einsatz?»

Er deutet auf den Bikini. «So teuer kann das bisschen Stoff nicht sein ...»

Heißt das, er bezahlt mir den Bikini?

Ich fische die Rechnung aus dem Karton und spiele sie ihm mit einem selbstbewussten «Danke!» zu.

«Hey! Du hast noch nicht gewonnen ...»

«Aber so gut wie. Sam. Ich bin nicht wie deine Tussis und brauche eine Ewigkeit im Bad oder vor dem Spiegel ... Die Wette gehe ich gern ein. Ich gebe dir sogar eine Pommes Vorsprung.» Ich stibitze ihm eine Pommes frites und ziehe mich kauend in mein Zimmer zurück, um mich in absoluter Rekordzeit umzuziehen.

Nach nicht einmal zwei Minuten – keine Drehung, kein Posieren vor dem Spiegel, kein grelles Licht – trete ich direkt vor mein Publikum.

Samuel verschluckt sich und wirft den letzten Happen Burger achtlos zurück in die Verpackung.

Gerade sehe ich in ihm den unbeherrschten Jungen von früher, der stets zornig das Spielbrett vom Tisch gefegt hat, wenn er kurz vorm Scheitern war. Und wie damals ist Sam auch heute noch ein äußerst schlechter Verlierer. Mit diesem Pseudo-Husten will er wohl von seiner Niederlage ablenken.

Aber ich durchschaue dich, Samuel Wyss!

Hastig nimmt er einen großen Schluck Cola, um den vermeintlichen Husten zu stillen und den Bissen runterzuspülen.

«Das kommt davon, wenn man das Essen runterwürgt», schimpft Mutter.

Doch es scheint ernst. Sam hustet nach wie vor und sie klopft ihm kräftig auf den Rücken.

«Sam. Geht's?» Besorgt mache ich einen Schritt auf ihn zu und berühre seine Schulter. «Bekommst du wieder Luft?»

Sein Gesicht ist rot und wird noch röter, obwohl der Husten langsam abebbt.

Das kann nicht nur an der verlorenen Wette liegen. Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht.

Chubby Cheeks - Was sich neckt, das liebt sich ...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt