10. Der Brautstrauß

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Jolly

Nachdem Luciano mich überall herumgezeigt hatte und jedem einzelnen seiner sogenannten Capos ins Gesicht gerieben hatte, wie unglaublich vergeben er doch war, wurde mir klar, was meine eigentliche Rolle heute Abend war. Ich war sein persönlicher zweibeiniger Mittelfinger an alle Leute, die ganz heiß darauf waren, ihn mit einem Goldring an ihre Töchter zu binden. Und, hey, ich konnte ihn verstehen. Ich wäre auch tierisch genervt, wenn mich Leute so aufdringlich verkuppeln wollten.

Auch wenn ich anfangs etwas mit der Situation überfordert war, genoss ich bald das unterwürfige Geschleime, das auf mich einprasselte wie süßer Regen, sobald den Leuten klar wurde, dass ich Lucianos Partnerin war. Die Tatsache, dass sie mir Honig ums Kinn schmierten, obwohl sie mir am liebsten die Gurgel umdrehen würden war zu amüsant. Man konnte sagen, Luciano und ich hatten Spaß zusammen, jeder auf seine Art und Weise.

Dann war es Zeit für das Dinner und wir nahmen an der ewig langen Tafel Platz, die verschwenderisch mit Gold und Blumenarrangements gedeckt war. Ich musste mir nicht mal Mühe geben, meinen Pegel zu halten. Mein Weinglas wurde sofort von den aufmerksamen Kellnern nachgefüllt, sobald ich dessen Boden sehen konnte.

Nachdem wir ein Michelin-Sterne Dinner hinter uns gebracht hatten, bei dem ich aufgehört hatte, die Gänge zu zählen, erhob sich die Trauzeugin der Braut. 

„Grete wird jetzt ihren Brautstrauß werfen, darum bitte ich alle unverheirateten Ladies nach vorne zu mir." Sie klatschte aufgeregt in die Hände.

Ich sprang auf und konnte mich gerade noch davon abhalten zu salutieren. Unverheiratet, jawoll, zu ihren Diensten. Ich lief gespannt an das Ende der Tafel, an dem sich die jungen Frauen einfanden. 

Grete kam lächelnd auf uns zu und stellte sich in einigem Abstand zu uns auf. 

Ich kratzte all meine Konzentration zusammen. Startposition. Sprungbein lockern. Ziel anvisieren. 

Grete drehte sich gerade mit dem Rücken zu uns, als ich von einem Ellbogen zur Seite geschoben wurde. Ich runzelte sauer die Stirn und fuhr ebenfalls meinen Ellbogen aus, um die Frau im babyblauen Cocktailkleid wieder dahin zu drücken, wo sie hervorgekrochen war. Sie warf mir einen bösen Blick zurück und wir rangelten uns verhalten um unsere Startposition.

„Eins," ertönte die Trauzeugin und Grete ging leicht in die Knie, um zum Wurf auszuholen. Mrs. Babyblau und ich hielten inne.

„Zwei...Drei!"

Mit Wucht schleuderte Grete ihr Blumenbouquet in die wartenden ledigen Frauen hinein. Ich sprang. Mrs. Babyblau hob neben mir ab. 

Ein „Aaah" ging durch die Menge, die uns von der Tafel aus beobachtete. 

Mein Ellbogen fand zielsicher ihre Seite und sie prustete mit schmerzverzerrtem Gesicht alle Luft aus ihrer Lunge, bevor sie zu Boden ging. Mit einem wilden Kampfschrei reckte ich meine Arme nach dem Strauß wie ein Profitorwart beim entscheidenden Elfmeter. 

Ein „Oooh" ging durch die Leute. 

Mit einem lauten Plonk landete ich auf dem Marmorboden. In meinen Armen, fest und sicher, der Brautstrauß.

Weit grinsend lief ich zurück zu meinem Platz neben Luciano. Der Applaus der Menge tobte in meinen Ohren. Den Strauß in meinen Händen hielt ich wie einen erster Platz Pokal.

„Luciano, ich hab den Strauß gefangen!", verkündete ich stolz außer Atem, während ich mich neben ihm auf den Stuhl plumpsen ließ.

„Ich habe es mitbekommen.", murmelte er, ohne mich anzusehen. Er sah alles andere als begeistert aus.

Mein Grinsen wackelte, bevor es Millimeter um Millimeter verblasste. Hatte ich etwas falsch gemacht? Hatte ich es übertrieben? Hatte ich ihn blamiert? Ich runzelte die Stirn. Scheiße, ich hatte mich auf diesen Strauß gestürzt wie ein ausgehungerter Tiger. Der Strauß, der traditionell bedeutete, dass ich die nächste war, die heiraten würde. Was musste das für ein Bild abgegeben haben? Auweia. 

Vorsichtig ließ ich meine Augen über die Leute um uns herum gleiten. Sie starrten ausnahmslos alle auf uns, ihre Stimmen gesenkt, ihre Ohren gespitzt, wie, um nichts zu verpassen von dem Wortwechsel zwischen Luciano und mir. 

Auch ihm schien das Scheinwerferlicht nicht entgangen zu sein, das gerade metaphorisch auf uns lag. Er straffte seine Schultern und räusperte sich. Dann wandte er sich zu mir.

Ich versuchte, ihm mit meinem Blick ein dickes 'Entschuldigung' zuzusenden.

„Hast du gut gemacht.", lobte er mich plötzlich und ich blinzelte irritiert. Seine Augen pinnten meine unter seinem Blick fest.

„Principessa.", fügte er mit seiner tiefen Stimme hinzu. 

Bevor ich's mir versah, ließ er seine Hand um meinen Nacken gleiten und zog mich zu sich, um einen hauchzarten Kuss auf meiner Stirn zu landen.

Zu sagen, ich war überrascht, war die Untertreibung des Jahrhunderts. Schockgefroren traf es besser. Im Unterschied zu einem Schockgefrorenen allerdings, wummerte mein Herz im Akkord. Und ich musste mich hart zurückhalten, Luciano nicht an zu hecheln, nachdem er mich mit so viel Zuneigung bedacht hatte. Natürlich war das alles nur ein Schauspiel, aber... Wie konnte man so fake sein, aber gleichzeitig so heiß? Wie konnte man das exakte Gegenteil von süß sein, aber einen Kosenamen wie puren Honig klingen lassen? Und wie konnte man so angsteinflößend sein, aber so weiche Lippen haben? 

Schnell wandte ich meinen Blick von ihm ab und nahm einen Riesenschluck Wein.

Es war irgendwann nach Mitternacht, als der Chauffeur vorfuhr, der mich zurück nach Hause bringen würde. Die Party war ausgelassen. Es wurde wild getanzt, gelacht und diskutiert. Ich war fast ein bisschen traurig, schon gehen zu müssen. Aber meine Arbeit hier war getan. Mein Abend an Lucianos Seite neigte sich dem Ende zu.

Er brachte mich zum Auto, das in der lauwarmen Nacht auf mich wartete.

„Vielen Dank für deine Dienste.", murmelte er und Griff nach der Tür, um sie für mich zu öffnen.

„War mir ein Vergnügen!", lachte ich, „Wirklich, ich habe noch nie leichter Geld verdient."

Auf seinem Gesicht zeigte sich eine Regung, die man sicher nicht als Lächeln bezeichnen konnte, die aber in die Richtung ging.

„Kannst du es nochmal sagen?", fragte ich plötzlich und blickte ihn inbrünstig bittend an.

Er runzelte die Stirn.

„Was meinst du?"

„Printschipessa.", erklärte ich und warf ihm ein unschuldiges Lächeln zu.

Kurz musterte er mich, während er vermutlich nachsann, ob er sich auf den Blödsinn einlassen wollte, dann spürte ich plötzlich seine Hand an meiner Wange.

„Gute Nacht, Principessa.", erklärte er, während er mir tief in die Augen blickte. Ich hielt den Atem an, während ich mich in seinen Sonnenfinsternis-Augen verlor. Dann öffnete er die Autotür für mich und ich schaffte es irgendwie, mit meinen wackelpuddingweichen Beinen einzusteigen.

„Gute Nacht, Luciano.", rief ich, bevor er die Tür zu warf und sich das Auto in Bewegung setzte.



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---A/N---

principessa (ital.) ⇢ Prinzessin 

Mafia 101 - LucianoWo Geschichten leben. Entdecke jetzt