36. Kapitel

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Kurz bevor die enge Beziehung zwischen meiner Cousine Cleo und mir zerbrochen war, hatte ich sie gefragt, was sie sich wünsche. „Einfach so?", hatte sie wissen wollen und ich hatte genickt. „Die Kontrolle über die Zeit, aber zu meinem 18. Geburtstag darfst du mir gerne neue DVDs kaufen."

Damals fand ich ihre Aussage verrückt, eben typisch Cleo, aber inzwischen wünschte auch ich mir der Zeit nicht hilflos ausgesetzt zu sein. Ich hörte schon lange keine Schritte mehr, sie hatten uns gefunden und umzingelt. Es muss in Sekunden geschehen sein, doch die Umarmung mit Erik fühlte sich an wie eine Ewigkeit. Fast so, als könnten wir gemeinsam den Moment anhalten.

Langsam lösten wir uns voneinander und stellten uns hintereinander auf. Vermutlich wäre ich entspannter, wenn ich zumindest die Gesichter meiner Gegner sehen könnte, stattdessen blickte ich 16 rote Masken entgegen. Einige davon waren mit Perlen verziert, was dem Ganzen etwas gefährlich Majestätisches verlieh.

„Sie können uns nicht alle gleichzeitig angreifen", flüsterte Erik mir zu, „dafür fehlt ihnen der Platz."

Hoffnung flammte in mir auf, doch wir würden auch nicht gegen alle einzeln kämpfen können, dafür reichten unsere Kräfte nicht aus. Jeder Schlag würde eine Qual sein, unsere Muskeln würden zu zittern beginnen und plötzlich würden wir jede kleinste Wunde verstärkt spüren. Wieso sind wir hier stehengeblieben, wo wir von vier Seiten angegriffen werden konnten?

Leicht drehte ich meinen Kopf zur Seite, als Erik leise weitersprach: „Wir müssen den Anführer als erstes besiegen, dann verlieren sie ihre Organisation."

„Und wenn sie das nur noch unberechenbarer macht?"

„Sind sie das nicht sowieso? Wer auch immer hier die Kommandos gibt ist uns einen Schritt voraus, seine Gefolgschaft wird sich erst daran gewöhnen müssen selbstständig zu handeln. Diese Sekunden nutzen wir und flüchten."

Langsam blickten wir von Person zu Person, jeweils 4 in einem Gang, doch niemand wirkte höhergestellt als der andere. Panisch versuchte ich alle Anwesenden gleichzeitig im Blick zu haben, um jedes noch so kleine Zeichen kurz vor ihrem Angriff mitzubekommen. Doch keiner rührte sich auch nur einen Zentimeter, bevor die ersten vier Angreifer auf uns zustürmten.

Ich hob meinen Arm vors Gesicht, um den ersten Schlag abzuwehren. Kurz bevor der zweite Schlag meinen Arm erreichte, ergriff ich meinen Gegner und riss ihn zu mir, während ich ihm gegen sein Schienbein trat. Durch den Schwung verlor er das Gleichgewicht und fiel zu Boden. Ein Tritt gegen die Schläfe und mein Opponent verlor sein Bewusstsein.

Doch sobald ein Kämpfer ohnmächtig war, kam der nächste. Es war ein unausweichliches Wechselspiel aus Angriff, Verteidigung und Ausweichen.

Meine Handknöchel begannen zu bluten, als meine Faust die Maske traf und ich erkannte, dass diese aus Metall war. Zumindest hatte ich etwas an dessen Verschluss zerstört, denn als meine Gegnerin zurückwich, verrutschte ihre Maske und gab ihr rundes Gesicht und ihre wirr hin und her zuckenden Augen frei, sowie ein Kabel, welches zuvor von Kapuze und Maske verborgen gewesen war.

„Erik", schrie ich über die Geräusche des Kampfes hinweg. „Sie bekommen ihre Anweisungen per Headset! Der Anführer ist nicht hier."

Das wars. Die einzige Chance die wir hatten, verschwand vor meinen Augen. Selbst wenn der Anführer trotzt der Kopfhörer hier wäre, würden wir erst mit ihm kämpfen können, wenn wir alle anderen besiegt hätten.

„Bleib hinter mir", rief Erik zurück, doch ich verstand nicht, was er bezwecken wollte. Rücken an Rücken war eine gute Kampfposition und ich stand somit schon hinter ihm.

Wir kämpften weiter und ich schaute immer wieder zu Erik, der sich langsam von mir entfernte. Ich versuchte ihm zu folgen und merkte, dass er sich auf die Wand zubewegte. Wir kamen nur langsam voran, doch als ich der Wand nur noch einen Schritt entfernt stand, fühlte ich mich besser. Nun konnten wir Seite an Seite kämpfen und unsere Gegner hatten weniger Angriffsfläche.

Mir wurde früh beigebracht, wie wichtig es war, dem Gegner immer einen Schritt voraus zu sein. Es war einer der auschlaggebendsten Fähigkeiten im Kampf und sollte niemals vernachlässigt werden.

„Versetz dich in mich hinein Cataleya", hörte ich meine Mama flüstern, als es wieder ihre Aufgabe war, sich zu verstecken. „Ich bin größer als du, ich kann nicht jedes Versteck nutzen, in das du hineinpasst." Aufgeregt war ich vom Sofa auf ihren Rücken gesprungen. „Zum Beispiel der Wäschekorb?" „Genau meine Süße."

Ich hatte es geliebt mit meiner Mama verstecken zu spielen und dabei alles Gelernte sofort umsetzen zu können. Doch sie hatte verpasst mir beizubringen, wie viel Angst es machen konnte, zu wissen, was der beste Zug gegen einen selbst wäre.

Es müsste nur kein neuer Angriff stattfinden, sobald alle anderen am Boden lagen und wir hätten kein menschliches Schutzschild mehr, welches die Lóngs davon abhielt auf uns zu schießen.

Noch immer kämpfte ich gegen dieselbe Frau und auch Erik ging es nicht besser. Wie unsterblich und mächtig wir uns sonst in Kämpfen fühlen mögen, hier, gefangen in den unterirdischen Gängen des Kolosseums, waren wir schlichtweg menschlich.

Bevor Eriks Gegenspieler meinem Partner ein Messer in den Schädel stechen konnte, schoss ich ihn in die Schulter und brachte wenige Sekunden später die Frau mir gegenüber zu Boden. Wenn wir schon sterben würde, dann nicht ohne Verluste ihrerseits.

Ich werde überleben.

Also würdest du lieber mit dem Gewissen sterben, zumindest viele Personen der gegnerischen Seite getötet zu haben?

Ich werde überleben.

Die am Boden liegenden Mafiosi sind nicht tot, sie werden wieder aufwachen.

Ich zuckte zusammen, als ich an den Verletzten dachte, der trotz der Schusswaffe weiterkämpfte und schrie panisch Eriks Namen, doch dieser reagierte nicht.

Er wusste nichts von dem hohen Schmerzensgrad, den die Lóngs aushielten.

Die Temperatur in den Gängen sank, als ich die Person erblickte, der ich in die Schulter geschossen hatte und direkt zu Füßen Eriks lag. Langsam hob dieser seine Hand, in der sich eine Pistole befand und richtete diese auf Erik, der damit beschäftigt war, einem Messer auszuweichen.

Wie in Zeitlupe drehte Erik seinen Kopf und plötzlich konnte ich ihn nicht mehr als den Serienmörder sehen, dem selbst die eigene Mafia nicht traute. Er war der Junge der sich wie ein Kleinkind über frisch gebackenen Apfelstrudel freute, der mit Thomas im Winter eine dämliche Wasserschlacht machte und es liebte zu tanzen und zu singen, auch wenn er nicht gut darin war. Aber vor allem war er der Junge, den meine Tante so liebte, dass sie ihn wie ihren eigenen Sohn behandelte.

Jemanden im Herz zu treffen, besonders in der linken Herzkammer, führte zu einem schnellen Tod von einer halben Minute. Für jemanden, der keine Schmerzen fühlte, eine halbe Minute zu lange Zeit, um Erik zu erschießen.

Noch immer verging alles wie in Zeitlupe und ich schrie erschrocken auf, als auf einmal alles ganz schnell passierte.

Ich schoss dem Mann in den Kopf, der sich leicht aufgerichtet hatte, wodurch er nach hinten gerissen wurde und sein Schuss Erik knapp verfehlte.

Für einen Moment rührte sich keiner. Vier Personen waren neben uns, während pro Gang nur noch zwei Gegner übrig waren. Ich nahm Erik bei der Hand und zog ihn in Richtung des Ganges links von mir, bevor der Kampf wieder fortgeführt werden konnte. Erik traf einem Mitglied der Mafia am Bauch und wir rannten an ihm vorbei.

Heyy

Was macht ihr morgen zu Silvester?

Eure KS


It's a SecretWo Geschichten leben. Entdecke jetzt