Familienzuwachs (?)

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*Annemarie*
Nun stand ich hier im Backstage Bereich zwischen meinem Verlobten und unseren Familien. Wer hätte das gedacht? Ich sicher nicht. Zumal meine Eltern gar keine Musik mochten und gewiss auch nicht freiwillig hier waren. Zumindest unterhielt sich meine Mum mit Angela recht gut. Mein Vater stand abseits und beobachtete das Geschehen. Ich kuschelte mich an Wincent. Immer wieder hauchte er mir sanfte Küsse auf mein Haar. Shayenne stand mittlerweile auf der anderen Seite von Wincent.
Mein Vater musterte uns argwöhnisch. Was ging denn schon wieder in seinem Kopf ab?
"Fabi? In 15 Minuten ist Stagetime"
"Alles klar." Amelie klatschte in die Hände. "Ich bringe euch zur Loge."  Automatisch kuschelte ich mich noch enger an meinen Freund.
„Annemarie kommst du? Dein Vater will los."
„Ja Mum, ich komme schon. Klein Moment."
Ich drückte Wincent schnell noch einen Kuss auf seine Lippen.
„Viel Spaß mein Schatz, genieße deine Show. Wir sehen uns später."
„Danke. Habt ihr auch viel Spaß. Heute singe ich nur für euch. Wir sehen uns direkt nach der Show. Ich liebe dich."
„Annemarie, kommst du endlich? Ich habe keine Lust ewig hier rum zu stehen und zu warten. Ich will mich endlich hinsetzen", maulte mein Vater. Entschuldigend sah ich Wincent an und erntete einen mitleidigen Blick von ihm.
Na dann wollen wir mal. Amelie, Wincents Familie und Marco gingen freudestrahlend die Gänge entlang. Meine Familie machte hingegen ein Gesicht, als würden sie gequält werden.
„Euch hat keiner gezwungen hier zu sein. Nun freut euch doch mal. Es ist doch eine super Change alle in Ruhe kennenzulernen."
Kaum in der Loge angekommen setzte sich mein Vater auf den erstbesten Stuhl. Ich schüttelte nur leicht den Kopf. Ich sah mich kurz um und beschloss Marco Gesellschaft zu leisten.
„Hey Marco, willst du auch ein Bier? Ich könnte eins gebrauchen."
„Klar, alleine trinken lasse ich dich nicht. Was wäre ich denn für ein Freund? Außerdem macht Winnie mich einen Kopf kürzer, wenn ich dich aus den Augen lasse."
„Das wollen wir besser nicht riskieren. Wir brauchen dich ja noch." Zusammen gingen wir aus der Loge und bestellten uns in der angrenzenden Bar jeweils ein Bier.
„Dann wollen wir mal gucken, was der Chaot so auf die Bühne zaubert."
„Es wird dir gefallen." Gedankenverloren legte ich meinen Kopf gegen Marcos Arm und trank einen Schluck von meinem Bier.
„Annemarie, wo habt ihr denn das Bier her? Dein Vater will auch eins." Kurz zuckte ich zusammen. ich hatte gar nicht mitbekommen, dass meine Mutter neben mir stand.
„Ähm, wenn du raus gehst, dann siehst du direkt die Bar."
„Danke." Meine Mutter verschwand Richtung Bar.
„Ich gehe mal zu meinem Vater, solange die Show noch nicht beginnt.
„Alles klar. Ich befreie dich, wenn die Show anfängt."
Ich lächelte Marco dankend an. Kurz umarmte er mich und ich ging schließlich zu meinem Vater.
„Alles klar bei dir?", versuchte ich ein Gespräch anzufangen.
„Ja. Muss." Er machte eine kurze Pause, bevor er weiter sprach. „Reicht dir ein Typ eigentlich nicht? Kaum ist dein Freund nicht da, kuschelst du mit dem nächsten rum. Außerdem, was ist das hier für ein Job? Tausende Weiber himmeln deinen Freund an oder was auch immer er ist."
Seine Aussage machte mich wütend. Gerne würde ich ihm jetzt meine Meinung geigen, doch würde es diesen Abend versauen. Also atmete ich ich noch einmal durch, bevor ich antwortete.
„Papa, bitte gebt ihm eine Chance. Auch das hier ist ein Job. Nicht jeder kann den ganzen Tag an einem Schreibtisch hocken. Ob du es glaubst oder nicht, dass hier ist harte Arbeit und auf gar keinen Fall leicht verdientes Geld."
In diesem Moment ging das Licht in der Halle das zweite Mal aus. Die Menge fing an zu toben. Ich bekam direkt eine Gänsehaut. Ein Schauer nach dem anderen lief mir über den Körper. Es war die Energie, die von der Halle ausging.
„Na los Annemarie, geh zu deinen Freunden. Dein Papa und ich laufen schon nicht weg." Dankend sah ich zu meiner Mama. Ich drehte mich gerade um, als Benni auf die Bühne kam. Meine Bierflasche stellte ich auf einem Tisch ab und lief wie hypnotisiert zu Shay und Marco, die beide an der Absperrung der Loge standen.
„Waaaas er fängt mit Feuerwerk an?", brüllte uns Shay entgegen.
„Ja." Etwas anderes konnte ich nicht erwidern.
„Dein Bruder ist immer wieder für eine Überraschung gut", stimmte Marco mit ein. Wir genossen die letzten Klänge des ersten Liedes.
Wincent begrüße seine Fans und moderierte das nächste Lied an.
„Das nächste Lied habe ich vor einigen Jahren für meinen besten Kumpel Marco geschrieben, der heute auch hier ist. Aber eigentlich müsste der Song Hier mit euch heißen, aber heute singe ich den Song nur für dich, Marco. Danke für deine Freundschaft." Ich sah wie Wincent strahlte. Shay und ich sahen uns beide an und wie durch eine stumme Abmachung, nahmen wir Marco in die Mitte und knuddelten ihn.
„Danke, dass du immer für Wincent da bist", flüsterte ich ihm ins Ohr.
„Nicht dafür. Er ist mein bester Freund und ich bin auch immer für dich da."
„Danke Marco, das bedeutet mir viel." Die nächsten zwei Lieder feierten wir zusammen. Doch nun kam der schwere Part für Wincent und mich. Das nächste Lied hatte für uns beide so viel Bedeutung. Zwar ist es schon weit vor mir entstanden, aber allein in der kurzen Zeit, die Wincent und ich zusammen verbrachten, hatte das Lied uns aus der ein oder anderen Krise heraus geholfen. Es steckte so viel wahres drin. Wincent und ich behielten unsere Beziehung bewusst geheim. Es gehörte nur uns beide. Klar wusste jeder, dass er nun eine Freundin hatte, aber eben auch nicht mehr. Keiner wusste von unserer Verlobung, keiner wusste von unseren Problemen und Auseinandersetzungen. Und das war auch gut so. Immer wieder suchte er meinen Blick. Ich konnte eh nicht meine Augen von ihm abwenden. Viel zu schnell ging dieser Moment vorbei und ich musste unwillkürlich schlucken. Die nächsten Lieder, die jetzt kamen, würden nicht leichter werden. Stumme Tränen kullerten mir über mein Gesicht. Als ich mich umsah, sah ich wie auch die Großeltern, seine Mum und auch Shay wie erstarrt zu Wincent schauten. Wenn es schon für mich nicht leicht ist, wie fühlte es sich wohl für seine Familie an?
„Es ist seine Geschichte, nicht deine. Du hast ihm da raus geholt. Nicht ich, nicht Shay, nicht seine bis dato engsten Vertrauten. Du hast dem Kerl da unten wieder beigebracht zu lieben und zu vertrauen. Allein du. Ich habe ihn noch nie so glücklich gesehen wie mit dir. Behaltet das bitte bei. Ich will dich irgendwann neben ihm bei eurer Hochzeit sehen. Ihr gehört zusammen." Ich wusste nicht, was ich sagen soll, mal wieder. Was ist das denn heute für ein Tag?
„Marco...eigentlich ist es Wincents Job, mich sprachlos zu machen, aber du schaffst es mindestens genauso gut. Danke."
„Und nun genießen wir den rest des Konzertes. Die schweren Lieder sind geschafft. Gleich kommt doch bestimmt das Medley. Ich hole uns schnell ein neues Bier und dann wird gefeiert."
Mit diesen Worten drehte Marco sich um und lief zur Bar. Ich stellte mich eng an Shay, denn es war ihr Lied, welches als nächstes kam. Sie war deutlich gefasster, aber vermutlich hörte sie das Lied live nicht zum ersten Mal. Marco kam wieder und drückte uns jeweils ein Bier und einen Shot in die Hand. Pünktlich zum Medley stellten wir unsere leeren Bierflaschen ab und sprangen und sangen wir lauthals mit.
Der Rest des Konzertes verflog nur noch so. Ich wurde immer nervöser. Wincent fing immer wieder meinen Blick. Solange wir uns ansahen, war meine aufkeimende Nervosität wie weggeblasen. Wie machte er das immer?
Natürlich kamen mir bei 'Kaum Erwarten' wieder die Tränen. Mit Wincents Grinsen im Gesicht fiel es mir noch nie schwer, an diese wundervoll klingende Zukunft zu denken. Grinste er heute mehr als sonst? Musste er auch an unsere Zukunft denken? Wann wird es wohl soweit sein, dass dieser Wunsch in Erfüllung ging?
"Reiß dich mal zusammen und heul nicht wegen so einem scheiß Kitsch", riss mein Vater mich voll aus meiner Traumwelt.
Schnell wischte ich mir die Tränen aus den Augen.
"Geht's dir gut?", fragte mich eine bekannte Stimme.
"Ja es ist nur...", weiter kam ich nicht.
"....das Lied", vervollständigte Fabi meinen Satz. Wo kam der denn auf einmal her?
"Fabi, was machst du denn hier? Hast du dich verlaufen?", fragte Amelie.
"Ne. Ich such eigentlich Franzi."
"Die ist schon die ganze Zeit unten. Die müsste da rumspringen."
"Oh, na dann gehe ich da mal hin."
"Warte, ich komme mit", warf ich schnell ein.
"Sicher?", fragte Fabi nach.
"Klar. Dann kann ich dir helfen, deine Freundin zu suchen. Und außerdem ist das Konzert gleich vorbei und ich will Wincent wie immer unten in die Arme nehmen, sobald er von der Bühne kommt."
Ohne groß darüber nachzudenken, legte ich Fabi meinen Arm um seine Schultern. Zusammen gingen wir Richtung der Treppen.
"Reichen dir drei Kerle nicht?", stichelte mein Vater, als wir in hörbarer Nähe waren. Doch ich ignorierte ihn. Er konnte mich mal. Sollte er denken, was er will. Ich weiß, zu wem ich gehörte.
Wincents Stimme hinter der Bühne war leiser und trotzdem bekam ich von Zeile zu Zeile jedes Mal mehr Gänsehaut.
"Wollt immer irgendwo ankomm'n
Jetzt weiß ich auch wie's ist, wenn da jemand wartet
Bei dem Bleiben für mich plötzlich normal wird
Ich bin angekomm'n bei dir und angekomm'n bei mir."
Ich atmete einmal tief durch und wartete, dass Wincent von der Bühne kam. Nun war der Pflichtteil durch, jetzt würden wir zumindest meine Eltern schocken. Wer weiß, wen noch. Rechnen wird da heute bestimmt keiner mit.
"Hier steckst du. Ich konnte dich oben in der Loge nicht mehr sehen."
"Ich wollte unser Ritual nicht kaputt machen", grinste ich ihn an.
"Unser Ritual, hmm?"
"Ja und außerdem habe ich jetzt lange genug ohne dich ausgehalten..."
Wincent nahm mich in den Arm, doch ich drückte ihn weg.
"Ih du stinkst, geh duschen", lachte ich.
"Das hat dich in Köln auch nicht gestört."
"Heute aber. Schließlich kann ich heute nicht mit duschen, denn wir haben noch was vor. Schon vergessen?"
"Das würde ich nie vergessen." Ich griff nach seiner Hand und zusammen gingen wir durch den Backstagebereich Richtung Duschen.
"Jungs, wir... nein, ich geh duschen. Wir kommen gleich wieder. Könnt ihr vielleicht Anns Familie solange in ein Gespräch verwickeln? Wir würden gerne uns gleich noch von allen verabschieden."
"Klar, aber warum wartet Ann nicht hier auf dich?", fragte Benni berechtigterweise. 
"Wir müssen noch was klären. Gleich wisst ihr warum", sprach ich mehr in Rätseln, als dass es der Truppe helfen würde.
"Hast du einen Plan, wie wir es den anderen sagen wollen?", fragte ich wenig später. Wincent zog sich währenddessen sein verschwitztes Shirt aus.
"Nicht wirklich. Sollten wir vielleicht die Verlobung nachstellen? Ich meine, ich könnte dich ja nochmal fragen", überlegte Wincent.
"Nein, das kommt doch niemals authentisch genug rüber. Ich finde, wir sollten denen das einfach sagen. Nur wie?"
Wincent stellte in der Zwischenzeit das Wasser ab und ich reichte ihm sein Handtuch. Kurz glitt mein Blick über seinen Körper. Wie sexy kann ein Mann nur sein? Nein, Ann, nicht ein Mann, das ist dein Mann. Mein zukünftiger Mann, um genau zu sein.
"Ann, hier oben sind meine Augen." Ertappt blickte ich hoch. Seine tiefbraunen Augen fixierten mich.
"Ich weiß", antwortete ich und gab ihm einen Kuss. Allerdings beendete ich ihn wieder, bevor wir unsere eigentlichen Pläne wieder nicht umsetzen konnten.
"Was sagen wir eigentlich?", kam ich dann auf das Ausgangsthema zurück.
"Die checken doch eh, wenn wir uns jetzt etwas überlegen", erwiderte Wincent. "Wir machen das einfach..."
"...spontan?", beendete ich seinen Satz. "So wie den Antrag?"
"Jap." Wincent grinste und zog sich sein Shirt über.
"Dann ist das dein Job", sagte ich.
Während er sich fertig anzog, summte er die Melodie von 'Kaum erwarten' vor sich hin. Und das auch noch, als wir wieder zu den anderen gingen. Eigentlich wäre es die perfekte Überleitung zu unserer Ankündigung.

*Wincent*
"Da seid ihr ja endlich! Wir wollten so langsam los. Danke für die Einladung", wurden wir von Anns Eltern begrüßt.
Ich spürte, wie die gute Laune meiner Verlobten direkt wieder verschwand. Na super.
"Bevor ihr geht, wollten wir euch noch kurz etwas sagen", begann ich. "Also, wenn wir alle schonmal zusammen sind... Wir dachten, wir nutzen diesen Abend und verkünden etwas."
Ich machte eine Pause und sah kurz unsere Familien und engsten Freunde an. Shay sah mich mit großen Augen an, meine Mum sah auch überrascht aus, Franzi versteckte sich bei Fabi, Marco und Johannes sahen sich fragend an und Anns Eltern schauten noch immer genauso grimmig wie vorher. Ich warf meiner Band einen kurzen Blick zu und sah, wie Manu Benni anstupste und irgendwas zuflüsterte.
"Ist Ann schwanger?", platzte es dann aus meiner kleinen Schwester heraus, als ich gerade meine Erklärung fortführen wollte.
Ich sah im Augenwinkel, wie Johannes sich die Hand vor den Mund hielt und dann laut lachend vom Stuhl fiel. Was war denn mit ihm jetzt los?

Wir sind mittendrin Où les histoires vivent. Découvrez maintenant