10. Kapitel

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"Gellert!" Jenneth flog mir regelrecht entgegen. Whoa. Ich blieb stehen, ließ meine Augen zwischen ihm und Durmstrang hin und her wandern. Das Eis war da.
Gefroren.
Kalt.
"Jenn.", sagte ich, neigte mich zu ihm und küsste ihn. "Wie waren deine Ferien?" Ein Schatten fiel über seine Augen und er strich sich bekümmert die glatten, braunen, halblangen Haare aus dem Gesicht. "Mum ist gestorben.", murmelte er. Zur Antwort hob ich eine Augenbraue. "Blutflüche enden zumeist tödlich. Und nichts kann daran etwas ändern." Er nickte. "Ich weiß. Wie war's bei dir?" Als er seine Frage stellte, spannte ich meine Muskeln an. Was sollte ich ihm sagen? Ach, ganz okay, nur meine Schwester ist entführt, vergewaltigt und getötet worden. Ansonsten war es super! Nein. Das würde er nicht verstehen. Niemand würde es verstehen. Die klaffende Lücke in meiner Seele, die Leere. "Das Übliche. Du weißt schon.", erwiderte ich darum. Mehrmals blinzelnd verzog er das Gesicht. "Ohhh. Jaaaah. Schon klar." "Ist nicht schlimm.", ich schüttelte den Kopf und warf einen Blick auf die Schüler, die inzwischen durch den Haupteingang strebten. "Komm. Gehen wir. Immerhin haben wir dieses Jahr eine wichtige Mission." Während wir nebeneinander dem Strom der anderen Schüler folgten fragte Jenneth: "Du meinst, den Elderstab zu finden?" "Ja.", ich nickte. "Und wenn du das noch einmal so laut sagst, belege ich dich mit einem Schweigezauber.", fuhr ich fort und bedachte ihn mit einem frostigen Blick aus meinen zweifarbigen Augen. "Tut mir leid. Du hast Recht. Muss ja nicht gleich ganz Durmstrang wissen." Schuldbewusst wich er mir aus. Ein leichtes Lächeln verzog meine Lippen. Ja. Genau so. Fürchtet euch.
Die Mugggel würden büßen, wenn ich erst den Elderstab hatte.
Der Elderstab. Das erste Heiligtum des Todes. Dann nur noch die beiden anderen und ich war der Meister des Todes und... dann würde ich Gina zurückholen können. Endlich. Seit ungefähr zweieinhalb Wochen war sie tot und es brannte wie kaltes Feuer. Nur das Eis auf meiner Seele gebot dem Einhalt. "Mach dich bereit. Diese Nacht legen wir los.", kommandierte ich. Jenneth und ich waren fast in unserer Haupthalle angekommen, wo unsere geliebte Schulleiterin Wynoriva wieder eine Rede halten würde. Schon bei dem bloßen Gedanken daran wurde mir langweilig. "Hey, Jenn. Hast du dieses Mal ein Kissen mitgebracht?", fragte ich ihn, denn er hatte schon bei der letzten Frühlingsrede in unserer Direktorin verlauten lassen, dass er das nächste Mal ein Bett mitbringen wollte. "Nee.", gab er zerknirscht zurück. "Hab's vergessen." Tadelnd schüttelte ich den Kopf und grinste, obwohl sich in meiner Seele genauso wenig etwas rührte, wie in den vergangenen zwei Wochen auch. "Du bist wirklich zu vergesslich, Jenn.", sagte ich. Nun, da wir in der Haupthalle angekommen waren, blieben wir stehen und setzten uns. Just in dem Moment pflanzte sich die schlanke Gestalt meiner Exfreundin und immer noch aktuellem Nebenspielchen Karinja neben mich. "Hallo Gellert.", schnurrte sie. Jenneth sah sie eindeutig verstört an, ich hob nur die linke Augenbraue. "Karinja. Es ist mir keine Freude, dich wieder zu sehen. Ich hoffe, du hattest schreckliche Ferien?" Sie schüttelte den Kopf und rutschte noch dichter zu mir. Natürlich wusste ich, was sie von mir wollte. "Nein. Meine Ferien waren gut. Nur etwas...", sie schniefte demonstrativ "langweilig. Wenn du verstehst." Ich ließ meine rechte Augenbraue ebenfalls in die Höhe wandern. "Schon klar. Hast du denn bei dir Zuhause niemanden, der deinen Ansprüchen genügt?" Mit mitleidheischender Miene schüttelte sie noch einmal den Kopf. "Neeeiiin.", jammerte sie und strahlte dann Jenneth an. "Du hast solches Glück, dass du ihn jetzt hast. Weißt du", sie  lag inzwischen mehr auf dem Tisch, beziehungsweise auf mir, als dass sie saß "ich beneide dich wirklich. Sag", mit einem Ruck stand sie auf und stellte sich so von hinten zwischen Jenneth und mich, dass ich, wenn ich gewollt hätte, einen perfekten Blick auf ihren sehr freizügigen Ausschnitt gehabt hätte "habt ihr es schon gemacht?" Jenneths Ohren wurden rot. "Was?", fragte er. Karinja grinste. "Du weißt, was ich meine, Jenneth Ivanov." "Karinja.", sagte ich. Sofort flog ihr Kopf zu mir herum. "Ja?" "Was ich wann mit wem tue ist allein meine Sache. Also halt den Mund und sei still. Wenn du schon meinst, hier neben mir sitzen zu müssen, dann tu das still schweigend.", knurrte ich. Verführerisch klimperte sie mit ihren Wimpern. "Ganz wie Ihr wünscht, Meister.", hauchte sie, trat zwischen Jenneth und mir hervor und setzte sich wieder neben mich, natürlich nicht, ohne mit ihren Fingern über meine Wange zu streichen. Darauf starrte ich sie mit einem finsteren Blick an, der sagte: 'Bezähm dich, Karinja. Bezähm dich.' Ihre braunen Augen funkelten vor Verlangen, aber sie nickte und begann, ihre Fingernägel zu studieren. "Ich glaube", flüsterte Jenneth mir zu "sie ist besessen von dir." Ich zuckte zur Antwort nur die Schultern. "Soll sie doch. Denn ich bin es definitiv nicht." "Zum Glück.", murmelte Jenneth und lehnte den Kopf gegen meine Schulter. Reglos ließ ich ihn gewähren. Er glaubte wirklich, ich würde ihn lieben. Armer Jenneth Ivanov. Wirklich. Er wäre ganz süß, wenn er nicht so ein bedauernswerter Narr wäre.
Ich war Gellert Grindelwald.
Ich war gutaussehend.
Ich war charismatisch.
Ich war mächtig.
Ich war verführerisch.
Ich hatte ein Herz aus Eis.
Meine Fähigkeit zu lieben war vor zweieinhalb Wochen mit Gina gestorben. Nein. Es konnte sein, dass Jenneth mich liebte. Dass Karinja mich liebte. Dass Charina mich liebte. Dass so viele andere mich liebten, die mir in den Gängen sehnsüchtige Blicke zu warfen. So viele andere, mit denen ich schon ein Spielchen gehabt und ihre Namen wieder vergessen hatte. In drei Tagen wurde ich 16. Nein. Sollten sie mich alle lieben. Ich liebte niemanden. Mein Herz war aus Eis, meine Seele war aus Eis. Nie im Leben würde ich wieder jemanden lieben. Denn Gina war tot.
Applaus setzte ein, als unsere Schulleiterin Wynoriva eintrat. "Meine lieben Schüler und Schülerinnen!", begann sie. Einige der Abschlussklässler pfiffen. "Eyyyy, Leyra!", schrie einer. "Du machst mich so geil! Wie wär's mit heut Abend am Waldrand?" Darauf kassierte er von sämtlichen unserer Lehrer und unserer Schulleiterin Blicke wie Dolche. "Hüten Sie Ihre Zunge!", mahnte unsere Svhulleiterin. Der Schüler wandte den Kopf ab, seine Freunde brachen in Gelächter aus. Ich seufzte und verdrehte kollektiv mit Jenneth die Augen. Unsere Schulleiterin fuhr fort, aber ich hörte nicht mehr zu. Während sie sprach, begann Karinja, ihre Nägel zu lackieren, Jenneth stützte den Kopf in die Hände und schlief halb während ich unsere Haupthalle scannte. Alexej und Sergej machten offenbar einen Wettbewerb, wer mehr auf einmal trinken konnte, den die beiden hingen jeweils an einer riesigen Flasche. Charina sprach mit ihrer Freundin Anastasia über die beste Methode, um sich einen Jungen zu angeln (beziehungsweise Charina belehrte ihre Freundin), Junosch zielte mit seinem Messer auf den Kopf irgendeines braunhaarigen Typen am Tisch gegenüber. Am Tisch zwei nebenan brach Gekreisch aus, als eine Schwarzhaarige aufsprang und begann, einen Blonden zu verprügeln. "Du ekelhafter, perverser Spanner!", kreischte sie dabei. "Hör auf, mich so anzustarren!" Noch während der zu Verhauende zu Boden ging, kamen zwei Lehrer und eskortierten die Schwarzhaarige hinaus. Der Blonde stand auf und setzte sich wieder hin, als wäre nichts geschehen. Unsere Schulleiterin Wynoriva sprach weiter. Ich stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus und haute meine Stirn auf die Tischplatte. War ich hier eigentlich nur von Irren umgeben? Bei den Heiligtümern, es wurde wirklich Zeit, dass ich den Elderstab fand.

Loveless || Gellert Grindelwald FFWhere stories live. Discover now