19. Kapitel

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Je veux ton amour.

"Erzähl mir von ihr. Von Ariana.", sagte ich und setzte mich im Schneidersitz auf mein Bett. Albus zögerte zunächst, dann setzte er sich nenben mich und lehnte sich mit dem Rücken an die Fensterbank. Die rot-braunen Haare fielen ihm in Strähnen ins Gesicht, seine blauen Augen wanderten über die Vielzahl von Büchern, die in dem Regal standen, dass meinem Bett gegenüberlag. "Sie ist 14.", begann er schließlich. "Und sie ist sehr... lieb und sehr empfindlich, also sensibel, mein ich. Sehr feinfühlig und-", er stockte. Bei Albus setzte ich mein Gespür nicht ein, hielt es in den Tiefen meinerselbst zurück. Aber auch so spürte ich, dass etwas... fehlte. "Und?", hakte ich darum sanft nach. Er zögerte wieder, biss sich auf die Lippen. "Wenn mein Bruder das erfährt, bringt er dich um.", murmelte er. Ich schenkte ihm ein Lächeln. "Da wäre er nicht der einzige.", erwiderte ich ruhig. "Ich sag's niemandem, Al. Auch nicht Bathilda, wenn du das nicht willst." "Das wäre... gut, wenn du es wirklich niemandem sagst.", antwortete er, immer noch sichtlich mit sich selbst kämpfend. Ich blinzelte. "Kein Problem. Ich werde schweigen wie ein Grab.", gelobte ich. Dankend nickte er. "Danke. Also, die Sache mit Ari ist... Wir... Wir sind wegen ihr hierher gekommen. Nach Godric's Hollow.", er verharrte, seine Lippen teilten sich, als er innehielt. "Wir mussten weg von da, wo wir vorher gewohnt haben, wegen...", Albus' leuchtend blauen Augen verengten sich und er zögerte noch einmal. Ruhig strich ich mir eine blonde Locke aus dem Gesicht und wartete geduldig. "Mein... Mein Vater ist in Askaban gestorben.", fuhr er mit einem zitternden Atemzug fort. "Das Ministerium hat ihn dorthin gesteckt, weil er... wegen... Weil er Muggel angegriffen hatte." Muggel. Hass loderte in mir auf, aber ich verschränkte nur meine Hände über meinem Knie. "Nun, und... diese Muggel...", er biss sich erneut auf die Lippe. "Ari war sechs Jahre alt, damals.", sprach er weiter. Sechs. Mein Herz krampfte sich zusammen. Nur ein Jahr älter als meine Schwester, als sie gestorben war. "Sechs.", wiederholte Albus noch einmal. "Sie war im Garten und... Du weißt, wie das ist mit unserer Magie, wenn sie noch nicht ausgebildet wurde. Sie ist frei, unkontrolliert, impulsiv. Ich weiß nicht, was sie gemacht hat. Vielleicht hat sie einen Zweig schweben lassen oder dergleichen. In jedem Fall... wurde sie dabei von einer Handvoll Muggel-Jungen beobachtet. Die waren natürlich begeistert und wollten, dass Ari diesen 'Trick' wiederholt, aber das konnte sie natürlich nicht. Und dann... Und dann haben sie... sie drangsaliert. Frag mich nicht, in welcher Art und Weise, ich weiß es nicht.", er seufzte bebend, seine Finger zitterten. "Seitdem ist sie schwer traumatisiert davon, mein Vater suchte Rache für dieses Vergehen und starb dafür in Askaban. Aber Ari... Dieses Trauma, es... es hat etwas mit ihr gemacht, es-" Seine Stimme brach. Ich schluckte, rückte näher zu ihm und zog ihn an mich, strich sanft über seinen Rücken. Schwestern, denen von Muggeln etwas angetan wurde... Damit hatte ich leider Erfahrung. Zu bitter, zu gut. Es schnürte mir die Kehle zu, doch ich schluckte es mühsam hinunter. Mein Schmerz spielte jetzt keine Rolle. Es ging nur um Al. Er zitterte in meinen Armen, schmiegte sich an mich, den Kopf seitlich an meiner Brust, ich spürte seine bebenden Atemzüge. Was auch immer dieses Trauma mit seiner Schwester gemacht hatte, es musste furchtbar und grausam sein. Aber ich drängte ihn nicht, es mir zu erzählen. Wir hatten Zeit. Ich hatte Zeit. Nur für ihn. Bei keinem anderen Menschen - außer vielleicht Tante Bathilda und natürlich Gina - wäre ich so geduldig gewesen. Wenn mich etwas interessierte, wollte ich eine Antwort. Prompt. Jetzt und sofort. Ohne Verzögerung. Aber dieses Mal... Dazu war das Thema zu zerbrechlich, dazu war Al zu zerbrechlich, zumindest in dieser Hinsicht, und mir war klar, dass ich diese Zerbrechlichkeit in meinen Händen hielt und auf gar keinen Fall zerbrechen lassen durfte und würde. Ohne Al loszulassen, lehnte ich mich mit meinen Schulterblättern an die Wand und zog ihn noch ein bisschen enger an mich. Ich hielt ihn fest, seine Augen waren geschlossen, seine Atemzüge tief und zitternd. Schon einmal war ich gegangen, als mich ein anderer unbedingt gebraucht hätte... Nie wieder. Nie. Wieder. Nie wieder würde ich diesen Fehler noch einmal machen. Einmal war einmal zu viel. In diesem Moment war ich so unendlich versucht, ihm von Gina zu erzählen. Doch nur der bloße Gedanke daran genügt und ein solcher Schmerz bohrte sich in meine Lunge, dass es mir den Atem raubte. Nein. Ich kann ihm einfach nicht von Gina erzählen... Noch nicht. Eines Tages., beschloss ich. Geduldig saß ich da, ihn immer noch an mich pressend und wartete. Auf was? Entweder darauf, dass er sich von mir losmachte oder darauf, dass er weitersprach. Oder beides. Es war eigentlich ziemlich egal, denn es gab keine Verpflichtung, die ihn daran band, mir zu sagen, was mit seiner Schwester war.
"Sie ist ein Obscurus."
Albus' Worte, nur ein heiseres Flüstern, erschraken mich. Ohne ihn loszulassen neigte ich mich an sein Ohr und wisperte: "Ein Obscurial?" Er nickte, ich spürte es, seine Wärme durch mein Hemd. "Ja. Ihre Magie... sie... sie..." "Sie wurde dunkel und fing an, sie zu vergiften.", ergänzte ich für ihn. Wieder nickte Albus, das Gesicht immer noch an meiner Brust vergraben. Jetzt. Jetzt wäre der passende Moment um ihm zu sagen, dass ich ihn zu gut verstand. Der passende Moment, um ihm von Gina zu erzählen. Aber ich bekam kein Wort hervor, der glühende Schmerz verbot es mir, diese Worte auszusprechen. Also fragte ich stattdessen: "14 ist sie, sagst du?"
Ein weiteres Nicken.
Blinzelnd schürzte ich die Lippen. 14. Das war alt für ein Obscurial. Bewundernswert, denn es erforderte ein erstaunliches Maß an Stärke, Lebensenergie und Lebenswillen, mit einem Obscurus in sich das statistische Maximal-Alter von 10 zu überschreiten. "Bei... Bei ihrem letzten großen Ausbruch hat ihr Obscurus... unsere Mutter getötet.", flüsterte Albus nun. Oh. Ich zuckte leicht zusammen. "Oh.", sagte ich leise, hielt ihn immer noch fest an mich gedrückt. "Das ist... schrecklich." Wieder nickte Albus. Mir fiel auf, dass er nicht 'meine Schwester', sondern 'ihr Obscurus', gesagt hatte. Gab er ihr nicht die Schuld? Offensichtlich nicht. Das war... wahrlich Charakterstärke. Trotzdem. Obscuriale wurden eigentlich nicht alt und die Wahrscheinlichkeit, dass Ariana ihr 18. Lebensjahr nicht erreichte, war sehr hoch. Noch eine tote Schwester. Nein. Nein, nein. Das sollte Albus nicht auch noch ertragen müssen. Er sollte nicht den gleichen Schmerz spüren müssen, der mir die Seele verbrannte. "Al?", fragte ich sanft. Er schluckte. "Ja?"
"Sieh mich an.", flüsterte ich. Langsam hob er den Kopf, Tränen glänzten in seinen leuchtend blauen Augen. "Al.", wiederholte ich. "Ariana wird nicht sterben und auch niemanden mehr in Gefahr bringen." Verständnislos blickte er mich an. "Warum?", hauchte er. Ein Lächeln schlich sich auf meine Züge, ich drückte ihm einen sanften Kuss auf die Lippen. "Weil wir sie retten werden.", sagte ich ruhig.

Loveless || Gellert Grindelwald FFWhere stories live. Discover now