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TIMÉO

Wie ein Déjà-vu nehme ich die Partyszene um mich wahr. Sie katapultiert mich direkt zurück an meinen Geburtstag, dass letzte Mal, als ich hier war. Der Abend, an dem ich Amelia kennenlernte. Quentin hat mich hierhergeschleppt, weil er der Meinung ist, das tut uns gut. Dabei ist er der Einzige, der von uns beiden Spaß hat. Ich sitze nur auf einer der Royal blauen Lounge im ersten Stock des Clubs und schaue wie damals an meinem Geburtstag, auf die feiernde Meute von Touristen hinab. Konfetti regnet von der Decke, bunte Lichter erhellen flackernd den Raum. Der Beat der Musik hämmert mir so laut in den Ohren wie immer, wenn ich hier bin. Tatsächlich bin ich froh, dass die laute Musik meinen Kopf leerfegt. In Kombi mit dem teuren Tequila, den ich wie Wasser schlucke, wird dieses taube Gefühl intensiver. Es fühlt sich gut an, an nichts zu denken. Das tue ich viel zu selten.
Eigentlich will ich Quen dafür anschnauzen, dass er mich hergezerrt hat, aber im Moment ist mir die Welt voll egal. Alkohol, Musik und Drogen. Der fette Joint, den mir einer der Männer gegeben hat, hat längst seine Wirkung in meinen Knochen entfaltet. So dumpf und leicht zugleich fühlt sich mein Körper fremd an. Herrlich.
Der Don Julio 1942 geht runter wie Wasser. Hab ich das schonmal erwähnt? Sicher nicht. Auf jeden Fall geht er runter wie Wasser.
Gott der Joint war gut. Normalerweise genehmige ich mir nie eine Pause, aber heute brauche ich das. Nachdem, was die letzten Tage passiert ist, nimmt mein Körper diese Auszeit dankend an. Meine Glieder entspannen sich, selbst mein Schwanz regt sich kein bisschen heute Nacht. Gut so. Die Auswahl hier hält sich eh in Grenzen.

Quentin bedient sich an den Frauen wie an einer Minibar und es reicht mir, ihm zuzuschauen. Es ist recht amüsant. Mich sprechen die Huren hier nicht an. Sie stammen alle von demselben Schuppen und ich kenne den Besitzer gut. So wie jeden anderen, der in der Schattenwelt der Stadt seine Geschäfte treibt. Wir helfen uns öfters gegenseitig aus. Egal mit was. Wenn er Schutz braucht, sind wir da, im Gegenzug dafür beliefert er uns mit neuster Ware. Der einzige Punkt in diesem Pakt der unumgänglich ist, ist der Fakt, dass ich es nicht akzeptiere, wenn er gekaufte Frauen einstellt. Ihn mit Sergio Karakov auf ein Level zu stellen, wäre schrecklich dumm. Ich akzeptiere es nicht. Das Geschäft der Prostitution ist nichts für mich. Schon gar nicht, wenn ich dafür minderjährige Südamerikanerinnen um die ganze Welt schicke. Das ist eine no go. In meiner Stadt herrschen Regeln. Entweder sie halten sich daran, oder müssen mit den Konsequenzen rechnen. So wie mein Onkel Mathieu. Er spielt ein gefährliches Spiel, dem ich früher oder später ein Ende setzen werde. Noch dulde ich seine Präsenz, weil ich durch die Heirat wusste, ich habe so gut wie gewonnen, in dem Streit, der schon ein Jahrzehnt andauert. Nun haben sich die Karten neu gemischt. Auch wenn er sich auf dem Schachfeld rar gemacht hat, weiß ich das er noch da ist. Er wartet auf seinen Schachzug. Vermutlich plant er was. Aufgeben ist nicht seine Stärke. Keiner der Moreaus gibt so einfach auf. Wir haben den erneut im Blut und auch das dickköpfige. Aber das sollte jeder wissen, der mit uns verkehrt.

Mein Weg oder kein Weg, so einfach. Ich weiß, wann ich recht habe und wann nicht. Jeder der das nicht akzeptieren will, hat wortwörtlich Pech gehabt. Ich bin schon lang genug im Business, ja bin in meinen Dreißigern und keine Zwanzig mehr. Da habe ich mir noch, dass ein oder andere sagen lassen, weil mein Vater da noch lebte. Nach seinem Tod war es schlagartig vorüber damit. Weil ich sein musste, zu dem er mich auserkoren hatte, als ich noch im Leib meiner Mutter war. Die Bürde des Erstgeborenen eben. Ich habe mich schon früh damit auseinandersetzen müssen. Unter Druck müssen Kinder früher erwachsen werden als die, die man einfach Kind sein lässt. Während andere in meinem Alter mit neun mit Autos spielten, brachte mein Vater mir schießen bei und mein Großvater nahm mich mit auf die Jagd. Nicht um Tontauben zu schießen, sondern echte Ziele »Erfolg ist eine Frage des Willens«, hatte er mir immer eingetrichtert. »Es reicht nicht im Leben nur zufrieden sein zu wollen, Junge. Wenn du nicht der Beste bist, wirst du's zu nichts bringen.«
Mein Großvater war ein kleines Arschloch. Eines mit ner Menge Geld aufm Konto. Mein Vater hatte sich schon früh gegen seinen jüngeren Bruder durchgesetzt und die alte Familienhierarchie besagte, dass stets der Erstgeborene das gesamte Vermögen erben würde. Nur männliche, versteht sich. Diese Regel datiert man bis ins fünfzehnte Jahrhundert zurück. Was ich davon halte, mal dahingestellt aber bei solchen alten Familienstrukturen ist das eben so. Ich kann froh sein, dass sie mich nicht bereits vor meiner Geburt an eine andere Familie als Bräutigam für ihre Tochter versprochen haben, um noch mehr Reichtum zu scheffeln.

Die Zusammenhanglosigkeit meiner Worte ist dem Alkohol geschuldet. Oder doch dem Cannabis, keine Ahnung. Vermutlich ein Mix aus beidem. Der harte Beat der Musik strömt in mein Gehirn hinein, es spielte auch an meinem Geburtstag. Meine Augen fallen, berauscht vom Alkohol zu, während mein Kopf auf der Rückenlehne der Lounge liegt. Meine Gedanken katapultieren mich sofort wieder zurück zu meinem Geburtstag. Nur ganz kurz genehmige ich mir den Schmerz, den Sie in mir auslöst...

»Soll das ein Scherz sein?«, frage ich und drücke Quentin den Brief in die Hand. Er beginnt zu lachen, als er liest, was dort geschrieben steht. Nachdenklich deute ich den drei Männern mit den Brecheisen in der Hand, dass sie die Kiste öffnen sollen. Was auch immer unter dem Deckel verborgen liegt, es muss ja eine Menge wert sein, wenn es so gut verpackt ist.
Es knackt, Holz splittert und Eisen bricht. Der Deckel öffnet sich ein Spalt. »Macht schon«, sporne ich meine Jungs an. Sie schieben zu viert den Deckel beiseite wie den eines Sargs. Ihre verdutzten Gesichter vergesse ich nicht, genau so wenig wie meines, als ich sie zur Seite drücke und mir selbst ein Bild von dem machen will, was sich in der Kiste befindet. Ich spähe über den Rand und stocke. Lange glänzende Haare und funkelnde Augen, in denen ein scheuer Ausdruck liegt. Stupsnase und volle Lippen. Ich halte die Luft an, als mein Blick ihren nackten Körper hinabgleitet. In der Kiste liegt eine Frau. Gefesselt und nackt, aber wunderschön. Ich versuche erst gar nicht eine freundliche Mine aufzusetzen, als sich unsere Blicke kreuzen. Unter der dicken Schicht Angst erkenne ich Feuer in ihren Iriden lodern. Ein heißes, unbändiges Feuer. Ein Lachen löst sich aus meiner Kehle, wenn ich daran denke, wie James und Sawyer sie wohl in diese Kiste bekommen haben. »Willkommen zuhause, kleine Kratzbürste.«

Ausatmend hebe ich meinen Kopf wieder. Sie lässt mich einfach nicht in Ruhe... plagt meine Gedanken bis ich einschlafe und sogar in meinen Drogentrips, bleibt mir ihr Gesicht vor meinem inneren Auge nicht erspart. Gott. Wieso sehe ich sie immer vor mir, wenn ich die Augen schließe?
Ich hasse die kleine Bitch, für das, was sie getan hat. Für die Dinge, die sie gesagt hat, weil sie vermutlich alle erstunken und erlogen waren. Sie hat sich hier ausgeruht, bis ihre kleinen rückgratlosen Hunde sie wieder eingesammelt haben und zurück nach London transportiert haben. Pah. Amelia hat mich hintergangen.
Und trotzdem ... trotzdem spukt sie in meinem Kopf herum wie eine Fata Morgana. Ihr Lachen schallt in meinen Ohren wieder, ihre Karamell farbigen Augen bilden sich vor mir. Ihre Stimme, ihr Duft, ihre Wärme. Sie hat sich wie ein Parasit in meinen Kopf gefressen.
Ich will sie tot sehen, das will ich wirklich, aber aus irgendeinem Grund, wird mir ganz warm ums Herz wenn ich an die kleine Britin denke. Die Weise, wie sie meinen Schwanz geritten hat, wie ihre Pussy sich um ihn zusammenzog und ihre Wände mich fast zerquetschten. Ihre Küsse. Ihre Berührungen. Fuck. Fuck. Fuck.
Sie hat mich so krank gemacht, dass ich nicht mehr klar denken kann. Gehirnwäsche hat die dumme Bitch mit mir getrieben. Jetzt ist sie weg und ich bin wie ein Köter, der ihr hinterher trabt.

»Nachschub.« Quentin fällt neben mir aufs Sofa und hält mir ein Tablett voller Shotgläser unter die Nase. Ihm folgen einige der Huren, die ihn vorhin bereits betatscht haben. Sie schwirren um ihn herum wie Bienen. Der Typ muss ja nen Monster Schwanz haben. Oder einfach nur prahlen, wie viel Kohle er hat. Was es von beiden auch ist, ich will die Antwort gar nicht wissen.
Kommentarlos leere ich die Hälfte der Gläser und quetsche mir danach eine halbe Scheibe Zitrone im Mund aus. Das lässt den Geschmack intensiver werden. Keine Ahnung, was das war, aber kein Vodka, so viel ist sicher.
»Was hältst du davon, wenn die Ladys sich nur um dich kümmern, heute?«
»Lass mal. Ich brech dir die Knochen, wenn die mich auch nur antatschen!«, mache ich ihm über die dröhnende Musik hinweg klar. Lachend hebt er abwehrend die Hände. »Klaro Boss.«
»Hast du was von James und Sawyer gehört?«, frage ich ihn neugierig. Die beiden sind immer noch dabei herauszufinden, wohin Scotland Yard die Blondine geschickt hat, doch mittlerweile herrscht seit über einer Woche Funkstille.
»Die machen das schon«, versichert mein bester Freund mir. Er setzt ein neues Glas an und leert es binnen weniger Sekunden. Dann wirft er grölend die Hände in die Luft und lässt sich das nächste reichen. Kindergarten.
»Quentin!«
»Was? Die kleine Bitch haut schon nicht ab. Lass uns einen Abend Spaß haben, Méo! Spaaaaaß
Er zieht das a übertrieben lang, um zu untermauern, wie ernst er es meint. Er versteht nur einfach nicht, wie tiefgehend ihre Aktion war. Wie sehr ich nach Rache lechze. Niemand spielt so mit mir, erst recht keine Frau. Erst recht nicht Sie. Ganz gleich ob es ein Jahrzehnt dauern wird, bis ich sie finde, am Ende werde ich ihr Henker sein.
Mach dich gefasst, Amelia Moreau. Du suhlst dich in Sicherheit, aber ich werde dir schon bald beweisen, dass du nirgends vor mir in Sicherheit bist. Niemals, ma petite chérie.

King of Marseille | 18+Where stories live. Discover now