Kapitel 22

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- 𝐉𝐔𝐍𝐆𝐊𝐎𝐎𝐊 -

Ich wusste nicht, ob es eine schlechte Entscheidung war, dass ich ihm alles erkläre. Ihm seine Fragen beantworte, nach all den Jahren, in den wir uns nicht mehr gesehen haben.

Wir waren jung, und vielleicht auch egoistisch. Vielleicht auch sinnlos und übertrieben. Aber nicht herzlos.

Und nun saß ich hier. An dem Ort von mir und ihm, wo wir als Kinder oft zusammen unsere Zeit verbracht haben. Wo wir über unsere Eltern gelästert haben und nicht mehr wirklich weiterwussten, wenn sie uns wieder erklären wollten, wie wichtig die Schule fürs Leben sei.

Als Teenager interessiert dich das nicht. Du hast ganz andere Sachen im Kopf, möchtest lieber den ganzen Tag zuhause sitzen oder deine Jugend genießen. Du willst dein eigenes Ding machen, möchtest rebellieren. Aber gleichzeitig, verstehst du dich selbst nicht. Du weißt nicht was richtig und falsch ist, verstehst nicht, warum deine Eltern auf einmal so nervig sind. Sie haben dich doch dein Leben lang verstanden, warum denn dann jetzt nicht?

Wieso finden sie es nicht okay, wenn du mit vierzehn alleine auf ein Konzert gehen willst? Bis in die späte Nacht draußen bleiben willst und nicht schon um 20:00 Uhr?

Ich glaube, dass es mir damals auch so gegangen ist. Ich war verwirrt und verkorkst mit mir selbst, mein Kopf und mein Herz fanden andere Dinge interessanter, als die Realität. Mit den Jahren kommt erst die Erkenntnis, was man damals für ein Mensch gewesen ist und wieso, weshalb, warum man so gehandelt und sich verhalten hat.

Von weitem sah ich Taehyung kommen, er trug eine schwarze Jogginghose und seinen schwarzen Hoodie, den er sich damals mal gekauft hatte, als wir das erste Mal alleine in Urlaub fahren durften. Er schenkte mir keine Aufmerksamkeit, erst, als er sich neben mich niederlies.

,,Du bist hier." Taehyung sagte nichts, sah in die Ferne. Er wirkte so gedankenverloren, seine Ärmel bedeckten seine Hände. Er setzte sich neben mich, verschränkte die Arme vor der Brust. ,,Ich bin nicht hier, weil ich das will, sondern weil ich Antworten möchte. Und weil mir das im Gegensatz zu dir damals was bedeutet hat"

,,Denkst du etwa, das es mir nichts bedeutet hat?" Er nickte. Ohne jegliche Miene. ,,Wieso sonst solltest du mich über die Jahre ignoriert und im Stich gelassen haben? Als wenn es dafür eine bessere Erklärung gäbe" Ich musste schlucken. Ich will nicht damit sagen, dass er mit all dem recht hätte, aber auch dafür gibt es logische Erklärungen.

,,Vielleicht hab ich meine Zeit gebraucht? Wie würdest du den handeln, wenn du plötzlich das Gefühl hast für deinen besten Freund mehr zu empfinden, als nur Freundschaft? Abgesehen davon kennen wir uns seit dem wir klein sind. Denkst du da wäre mir der Begriff ,,Homosexualität" überhaupt in den Sinn gekommen?"  Nun sah Taehyung mich ernst an, legte seine Hände auf die Knie. ,,Du wusstest ganz genau, dass ich eine schwere Zeit durchmachen musste. Du wusstest ganz genau, wie sehr es mir das Herz gebrochen hat, als ich meine Oma verloren habe. Und du willst mir jetzt allen ernstes erklären, dass es dir wichtiger war, herauszufinden, wer du bist? Nee, ich hab da keine Lust drauf, das ist mir alles zu dumm" Gerade als er aufstehen wollte, griff ich nach seinem Handgelenk, um ihn  davon abzuhalten. ,,Geh nicht, ich erklär's dir"

,,Was willst du mir noch erklären Jungkook?" Ich holte tief Luft, Taehyung sah mich erwartungsvoll an. Seine Arme verschränkte er wieder vor der Brust. ,,Ich hör zu" 

,,Es gibt vieles was du über mich weißt, und was du nicht weißt. Du weißt nicht, dass ich mich aufgrund meiner Sexualität stetig fertig gemacht habe, weil ich keinerlei Ahnung hatte, wie ich das meinen Eltern erklären sollte. Jedes Mal kam der Satz von meinem Vater, dass ich ja bald eine Freundin mit nach Hause bringen und sie später auch heiraten werde. Selbst meine Mutter hat mich immer ausgefragt, ob genau dieses eine Mädchen auf den Fotos eigentlich meine Freundin wäre. Aber ich hab mich nie dazu bereit gefühlt, da offen drüber zu reden. Ich hab Angst, nicht für den Menschen akzeptiert zu werden und viel schlimmer... damit unsere Freundschaft aufs Spiel zu setzen. So sehr mir das auch mit dir gefallen hat, ich kann es nicht ausleben. Deshalb sah ich den einzigen Ausweg darin, unterzutauchen. Und so sehr mir das auch leid tut, kann ich mich nicht mehr dafür entschuldigen. Nicht mehr. Dafür ist es zu spät"

Es klang für mich so banal. So egoistisch. Aber ich sah darin die einzige Lösung, mir selbst damit einen Gefallen zutun. Darüber ernsthaft nachdenken zu können und mich selbst zu finden. Und das, was ich brauche. 

,,Ist es wirklich nur das Outing, was dir so viele Sorgen bereitet hat? Bin ich wirklich so nachtragend, dass ich dir nicht die Zeit dafür geben würde, dich selbst zu finden?"

Taehyung hatte Recht. Ich kenne ihn schon mein Leben lang, wir sind schon immer unzertrennlich gewesen. Für ihn war ich der einzige Mensch, der ihn immer verstanden hat. Selbst bei den kleinsten Kleinigkeiten, über die er sich eigentlich keine Gedanken machen müsste, es aber trotzdem tut, weil er das Gefühl hat, nur so eine Lösung dafür finden zu können. 

,,Taehyung, ich war jung! Was hätte ich denn machen sollen? Du weißt ganz genau dass man hier in Korea nicht so leicht dafür akzeptiert wird, schwul zu sein oder sich mit einer anderen sexuellen Orientierung identifizieren zu können! Das ist diese Gesellschaft, die mir solch eine verdammte Angst macht. Taehyung, ich würde dazu stehen, wenn ich könnte. Aber dazu gehört eine Menge Mut. Es tut mir so leid, aber ich kann das nicht"

Ich hörte plötzlich ein Schluchzen seinerseits, wischte sich die Tränen auf seinen Wangen weg. Wenn ich könnte, würde ich ihn umarmen. Ihn sagen, dass wir dafür eine Lösung finden würden. Stattdessen saß ich da, fühlte mich wie gelähmt.

,,Dann wars das also" Es war mehr ein Hauchen, als er sich langsam von mir entfernte. Ich wollte was sagen, wollte meine Hand nach ihm greifen, um diese in meiner festzuhalten. Ich fühlte mich unfassbar schlecht, hatte das Gefühl, mich gleich übergeben zu müssen. Aber nein, nicht hier. Nur noch Taehyungs Schritte hörte ich auf dem Kiesweg, seine Arme vor der Brust verschränkt. 

Und plötzlich spürte ich einen Tropfen auf meiner Nasenspitze. Zwei, drei, vier. Zehn. Statt mir meine Kapuze aufzusetzen, spürte ich jede einzelne Regentropfe auf mein Körper fallen. Meine Kleidung, meine Haare wurden nass. Aber es war mir egal. Es fühlte sich richtig an. Ich hab es verdient. 

Den Starkregen, die kleinen Hagelkörner, das Gewitter. Ich hab es verdient.


𝐻𝑂𝐿𝐷 𝑂𝑁 | taekookWhere stories live. Discover now