41. Kapitel || Ersehnte Rückkehr

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Jeder von uns war überrascht, als Wera eines Abends unser Abendessen unterbrach, da sie unerwartet vor der Türe der Glasmachers stand.

Ella gab sie gar nicht mehr her, so lange umarmte sie ihre große Schwester. Auch Herr Glasmacher umarmte sie, doch es war eine wesentlich kürzere Begrüßung, der es auch an Herzlichkeit fehlte.

Das konnte allerdings auch daran liegen, dass Wera erschöpft wirkte.

Obwohl sie ihren Vater sehr lange nicht gesehen hatte, ging sie sofort auf ihr Zimmer, ohne etwas zu essen.

Ich räumte mit Ella zusammen die Spülmaschine ein, während ihr Vater sich erschöpft auf das Sofa setzte. 

„Fandest du auch, dass Wera irgendwie seltsam war?", fragte sie mich mit gedeckelter Stimme. „Vielleicht ist sie noch sauer..."

Ich sah kurz zu ihrem Vater herüber, der mit dem Fernseher beschäftigt war, und griff nach ihrer Hand, um einen flüchtigen Kuss darauf zu drücken. 

„Vielleicht ist sie auch einfach nur müde", beruhigte ich sie. 

„Ja, das kann sein", meinte sie und sah zu ihrem Vater. Dann flüsterte sie: „Aber ich will ihr am liebsten von uns erzählen."

„Dann mach das doch", schlug ich vor, „wir sind doch eh fertig damit, die Spülmaschine einzuräumen."

„Komm mit", bat sie mich, also machten wir uns auf den Weg zu Weras Zimmer. Sie klopfte an die geschlossene Türe. 

Es kam ein fragendes Murren aus dem Zimmer, also öffnete Ella die Türe. 

„Wera, wir wollen- oh, was ist denn los?"

Ich war gerade in den Raum getreten. Wera lag in ihrem Bett, in einem Meer von benutzten Taschentüchern, und sie wischte sich gerade Tränen aus dem Gesicht. 

„Es ist nichts", meinte sie, aber ihre Stimme war tränenschwer. 

Das schrie nach einem Schwester-Gespräch.

„Bin in deinem Zimmer", teilte ich Ella leise mit und ging aus dem Zimmer, die Türe hinter mir schließend. 

Auf Ellas Bett daddelte ich am Handy, aber ich stellte überrascht fest, dass die Wände wohl dünn sein mussten. Ich konnte jedenfalls alles verstehen. 

„Jetzt erzähl mal, was los ist, Wera. Vielleicht kann ich ja helfen", bat Ella gerade. 

Ihre Schwester schniefte. „Ich glaube, du wirst nicht so begeistert davon sein", meinte sie unsicher. 

„Wir haben uns doch wieder vertragen", erinnerte Ella sie, „es kann ja gar nichts so schlimmes sein."

Wera schien zu zögern, ob sie sich ihrer Schwester anvertraute, denn es gab eine Stille. 

Dann schließlich sagte sie etwas, dass zu leise war, um es zu verstehen. Ella machte ein überraschtes Geräusch. 

„Du hast dich verliebt?", wiederholte sie ungläubig. „In wen? Ruben?"

Das musste falsch gewesen sein, denn Ella versuchte es weiter. 

„Etwa Nero?"

„Doch nicht Nero!"

Stille.

„Dann... etwa ein Mädchen?", fragte Ella schließlich zögerlich. 

„Typen sind einfach nichts für mich", gestand sie leise. 

„Ich wusste nicht- das macht ja nichts", beeilte sich Ella zu sagen

„Ich meine, Esra ist ja auch nett."

„Nicht Esra."

„Wie? Nicht Esra?Aber dann... bist du in diese Kaya verliebt?"

Weras lautes Schluchzen klang wie eine Bestätigung. 

„Aber", versuchte Ella, sie zu trösten, „das ist doch gar nicht schlimm. Sie ist... sie hat bestimmt auch ihre guten Seiten..."

„Eben nicht", meinte sie traurig, „wir haben uns gestritten und..."

„Warte", unterbrach Ella sie sanft, „ich höre das alles zum ersten Mal. Also, du hast dich in sie verliebt und dann?"

„Sie meinte, sie mag mich auch, und dann sind wir uns irgendwann nähergekommen. Mir war klar, dass das keine Beziehung war, aber ich dachte, sie würde mich zumindest freundschaftlich mögen und mir vertrauen."

„Du hast also etwas mit jemandem angefangen, in den du verliebt bist, obwohl du wusstest, dass die Person dich nicht liebt?", fasste sie skeptisch zusammen. 

„Wenn du es so sagst, klingt das ziemlich dumm", stellte Wera fest und seufzte schwer. 

„Jedenfalls ist heute rausgekommen, dass Nero und Kaya so einen Schwur gemacht haben. Dass sich alle von uns fernhalten. Sie hat mir das nie gesagt. Ich fühle mich so verarscht."

„Und du bist verletzt, weil du das nicht wusstest?"

„Sie ist richtig laut geworden, so würde man doch nicht mit Freunden umgehen, die einem wichtig sind. Esra zum Beispiel schreit Kaya doch auch nie an", sagte sie traurig, „ich dachte wirklich, wir würden uns gut verstehen. Uns vertrauen."

Ella versuchte, ihrer Schwester gut zuzureden, mit gesenkter Stimme, deswegen verstand ich nur einzelne Worte. Langsam beruhigte sich Wera.

„Wenn noch etwas ist, ruf einfach nach mir, okay?", meinte Ella schließlich nach einigen Minuten und verließ das Zimmer ihrer Schwester, nachdem diese eine Antwort gemurmelt hatte. 

Sie setzte sich ebenfalls auf das Bett. 

„Wera geht es nicht gut", meinte Ella nur und ich beschloss, ehrlich zu sein. 

„Ich habe ein bisschen was durch die Wand mitbekommen", teilte ich ihr leise mit, um ihre Schwester nicht zu beunruhigen. 

Hoffentlich dachte sie nicht, dass ich gelauscht hatte. „Das dachte ich mir schon, die Wände sind leider dünn", flüsterte sie. 

„Sie tut mir wirklich leid. Irgendwie nicht fair, dass wir so glücklich sind und deine Schwester so am Boden."

Ella nickte und griff nach meiner Hand. „Das wird sich schon klären", meinte sie und lächelte mich an. 

„Du glaubst an ein happy end für deine Schwester?"

Ella zuckte mit den Schultern und grinste. „Warum nicht? Im Notfall helfen wir nach."

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Das Mädchen mit den SchlangenaugenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt