Die Reise zum Mond (Kurzgeschichte)

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Sanftes Licht erhellte das Gras unter den Pfoten der Kätzin und ließ es silbrig glänzen. Sehnsüchtig schaute sie zu ihm hinauf, zum großen, silbernen Mond, der wie ein Beschützer am Himmel hing und ewig war. Warum beschützt du uns denn nicht mehr? Anklagend schaute sie nach oben.

War er schon immer so klein gewesen? Ein großes Verlangen überkam sie und vorsichtig machte sie einen Schritt, dann noch einen. Schließlich rannte sie, rannte auf das Gebirge zu, all das Leid vergessend, das wie ein Leichentuch über ihr gehangen hatte. An seinem Fuß wurde sie langsamer. Noch einmal sah sie hinauf. Der Mond schien auf sie zu warten.

Sieh doch, flehte sie. Ich kann nicht hinauf, ich muss sie beschützen, wenn du es nicht schon tust. Bitte hilf mir! Doch das kalte Licht des fernen Mondes leuchtete weiter unbewegt auf sie herab.

Sie begann zu klettern. Die scharfen Kanten der Felsen schnitten ihr ins Fell, mehrmals wäre sie beinahe ausgerutscht, aber sie bemerkte es nicht.

Nur der Mond zählte.

Sie balancierte auf einem schmalen Grad entlang, sprang über eine Schlucht, rutschte aus, fiel hin, stand wieder auf und lief weiter. Kein steiler Hang konnte sie stoppen, keine noch so breite Schlucht ihren Weg zerschneiden.

Es wurde kälter. Unter ihren Pfoten knirschte leuchtend weißer Schnee. Mit einem Kreischen flog ein Adler auf. Sie war seinem Nest zu nahe gekommen und hatte ihn geweckt. Kurz verharrte sie auf dem steilen Felssims und betrachtete die umherfliegenden Federn. Sie werden verloren gehen, wie ich, wie wir, dachte sie. Womit haben die Kleinen das verdient? Warum habe ich sie in mein Unheil gerissen?

Sie riss sich zusammen kletterte immer höher. Mit ihren zerschundenen Krallen hielt sie sich an jedem noch so kleinem Spalt in der glatten Felswand fest und zog sich nach oben.

Endlich.

Sie hatte die Spitze des Berges erreicht. Er war der höchste Berg des Gebirges, in dem sie lebte. Gelebt hatte. Ihr Fell klebte matt, klamm und feuchtkalt an ihrem mageren Körper, ihre zerschundenen Pfoten brannten und sie fröstelte, als der eisige Nachtwind sie streifte. Dann sah sie nach oben.

Der Mond war riesig und wunderschön. Sie hatte das Gefühl, hochspringen zu können, dann hätte sie ihn erreicht. Sie seufzte wohlig und rollte sich zu einem zitterndem Ball zusammen, direkt unter dem riesigen Vollmond, auf der Spitze des windumtosten Berges.

Bitte beschütze sie, ich kann es nicht, ich kann es nicht mehr. Ich übergebe sie dir, bitte behüte sie, flehte sie still. Sie müssen von mir fernbleiben, bitte, ich kann nicht mehr, ich kann diese Verantwortung nicht tragen!

Dann schlief sie ein.

Bitte...


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