Kapitel 303

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Marie

„Du spinnst doch! Als ob ich jemals etwas mit einem anderen Mann anfangen würde! Und außerdem könnte ich mich da genauso aufregen: du wirst immerhin von tausenden Frauen angeschmachtet und begrabscht, wann immer es geht! Wann hab' ich jemals so einen Aufstand gemacht?!", pfefferte ich ihm dann vor die Füße, bevor ich mich abwandte. Er sollte die Tränen nicht sehen, die mir inzwischen übers Gesicht liefen. Es tat einfach nur weh, was er mir hier unterstellte. Ich hatte immer gedacht, solche Aussetzer hätten wir hinter uns gelassen. Aber offensichtlich hatte er seine Eifersucht noch immer nicht im Griff. „Das ist doch was komplett anderes!", entgegnete er nur und raufte sich die Haare, „Als ob ich jemals eine Affäre mit einem Fan haben würde!" „Ach, aber ich soll eine mit Erik haben?! Das ist doch das, was du mir hier gerade unterstellst!", brachte ich es ungläubig auf den Punkt und konnte ein Schluchzen nicht mehr unterdrücken. So ein Mist!

Einen Moment herrschte Stille zwischen uns. Eine sehr angespannte Stille, die ich nicht lange aushielt, bevor meine Beine sich verselbstständigten und mich nach oben ins Schlafzimmer trugen, wo ich mich erst einmal verbarrikadierte und meinen Tränen freien Lauf ließ. Wie konnte er mir das alles unterstellen? Ich wusste, dass er mir das alles nur im Affekt an den Kopf warf, aber es tat trotzdem weh, dass er so von mir dachte und mir allen Ernstes zutraute, ihn zu hintergehen. „Marie?", klopfte es kurz darauf leise an der Tür. „Geh weg und lass mich in Ruhe!", rief ich und rührte mich nicht und war froh, abgeschlossen zu haben. Gerade wollte ich auch absolut nichts von ihm wissen, ich brauchte einfach Zeit für zum Nachdenken. Er gab glücklicherweise recht schnell auf und ich bekam noch mit, wie er die Treppe wieder herunterpolterte, bevor es still wurde. Wie ich ihn kannte, war er vermutlich erst einmal in seinem Gym verschwunden, um den Frust loszuwerden.

Ich verließ unser Schlafzimmer an diesem Abend nicht mehr. Wincent versuchte zwar noch einmal, mit mir zu reden, doch ich machte ihm unmissverständlich klar, dass er heute im Keller in einem der Gästezimmer schlafen konnte. Ich war einfach zu verletzt, um seine Nähe jetzt ertragen zu können. Natürlich schlief ich in der Nacht dann überhaupt nicht gut. Die ganze Situation mit den Nachrichten und Briefen, die Unterstellungen und der Streit mit Wincent, all das ging mir durch den Kopf und verfolgte mich im Traum, wenn ich dann doch mal in den Schlaf fand. Dass Wincent nicht neben mir lag und mir somit auch das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit fehlte, machte es nur noch unerträglicher. Aber ich konnte auch nicht über meinen Schatten springen und doch bei ihm angekrochen kommen. Ich wusste ja nicht einmal, ob er sich überhaupt entschuldigen oder mir eher noch mehr Vorwürfe machen wollte.

Völlig übermüdet fuhr ich dann also am nächsten Morgen zur Arbeit, zum Glück ohne, dass ich ihm über den Weg lief. Den Tag über war ich die meiste Zeit im OP eingeteilt, sodass ich Erik auch kaum zu Gesicht bekam. Was mir heute auch ganz recht war, irgendwie wusste ich nicht so richtig, wie ich mit ihm umgehen sollte. Denn je länger Wincents Worte vom Vorabend auf mich wirkten, desto unsicherer wurde ich mir, ob da nicht doch etwas dran war. Als ich am Nachmittag dann gedankenverloren meinen Spind öffnete, flatterte mir allerdings der nächste Brief entgegen. Und ohne, dass ich etwas tun konnte, schossen mir die Tränen in die Augen. Ich wollte doch einfach nur, dass dieser Spuk endlich ein Ende hatte. Mit zitternden Händen öffnete ich den Umschlag, nachdem ich mich umgezogen hatte, und sank bei den Worten einfach in mich zusammen.

> Hi Marie 🥰 Ich hoffe, meine Rose ist bei dir angekommen und du hast dich darüber gefreut! Hattest du denn ein schönes Wochenende? Welcher der beiden ist denn jetzt eigentlich dein Freund und welcher die Affäre? Eigentlich dachte ich, ich hätte auch eine Chance bei dir. Ich würde dir so gerne mal näherkommen. Hast du nicht doch mal Lust, dich mit mir zu treffen? Wenn ja, dann warte ich am Samstag um 14 Uhr auf dem Marktplatz auf dich ❤️ <

Neben diesem Text lagen zwei Fotos in dem Umschlag. Das eine von Erik und mir, dass im letzten Brief schon dabei war, und das andere zeigte Wincent und mich, wie wir händchenhaltend das TV-Studio in Berlin betraten. Mir war mittlerweile so unglaublich schlecht, ich ertrug diesen Psychoterror langsam nicht mehr. Und zu wissen, dass nicht einmal Wincent gerade hinter mir stand und für mich da war, war beinahe noch schlimmer als das Problem an sich. Ich versuchte mich zu beruhigen und machte mich dann auf den Weg zum Ausgang. Ich war völlig in Gedanken versunken, sodass ich zuerst gar nicht mitbekam, was draußen auf dem Parkplatz los war. Doch zwei laut diskutierende Stimmen holten mich aus meiner Gedankenspirale zurück in die Realität.

„Lass gefälligst die Finger von meiner Freundin!" „Was willst du von mir?! Krieg mal deine Eifersucht in den Griff, Alter!" Da standen sich tatsächlich Wincent und Erik gegenüber und funkelten sich gegenseitig an. Na super, das hatte mir jetzt noch gefehlt, ein Eifersuchtsdrama auf dem Parkplatz der Klinik, wo jeder es mitbekommen konnte. Sofort beschleunigte ich meine Schritte und wollte dazwischengehen, doch die beiden bemerkten mich zuerst gar nicht. „Gib doch zu, dass du hinter den Briefen und Nachrichten steckst...", stieß Wincent hervor. „Was redest du da? Welche Nachrichten? Und welche Briefe?" Verwirrt sah Erik ihn an. Bevor mein Freund aber etwas erwidern konnte, war ich endlich nah genug dran, um dazwischen zu gehen. „Ruhe jetzt! Wincent, was willst du hier?" „Dich abholen. Ich hab' Angst um dich, seit ich davon weiß...", murmelte er und sah mich unsicher an, „Und er hier ist mir zufällig gerade über den Weg gelaufen!" Bei den letzten Worten ergriff die Wut wieder von ihm Besitz. „Schluss jetzt! Wie oft denn noch, du hast keinen Grund zur Eifersucht!", sagte ich mit allem Nachdruck, den ich aufbringen konnte, und sah nun auch Erik an. „Da hat sie recht! Wenn es dich beruhigt: ich bin vergeben. An einen Mann!", ließ er die Bombe platzen, woraufhin Wincent große Augen machte und einen Moment Stille herrschte. „Was? Ich... ich wusste nicht... oh", murmelte er und schien nun endlich zu begreifen, dass er wirklich komplett falsch lag mit allem, „Sorry!" „Darüber reden wir später noch", schob ich das Thema beiseite und zog unauffällig den neuen Brief aus meiner Tasche, „Wir haben wichtigere Probleme!" Während Wincent nur den Brief anstarrte, sah Erik mich verwirrt an. „Kann mich jetzt endlich mal jemand aufklären?!"

Ich lotste sie dann beide zu meinem Auto, in dem wir wenig später saßen, denn fremde Ohren wollte ich bei dem Gespräch nicht riskieren. Ich klärte Erik kurz auf und zeigte den beiden dann die neueste Nachricht und die Fotos dazu. Nun schien auch Wincent klar zu sein, dass Erik unmöglich dahinterstecken konnte. „Jetzt, wo ich einen Treffpunkt habe, können wir ja endlich rausfinden, wer dahintersteckt. Und dann hat der Spuk hoffentlich bald ein Ende", überlegte ich. „Was? Nein, du gehst da auf gar keinen Fall hin! Was, wenn das eine Falle ist?", legte Wincent direkt sein Veto ein. „Aber das ist die einzige Chance, es herauszufinden. Sonst geht dieser Terror doch noch ewig so weiter...", meinte ich verzweifelt und auch Erik stimmte mir zu, dass das ja keine Lösung war. Er bot an, uns zu unterstützen und so konnten wir Wincent überzeugen, dass ich dieses Treffen wirklich wahrnehmen würde. Die beiden würden sich in der Nähe verstecken und eingreifen, sollte es brenzlig werden. Und ich musste zugeben, ich wollte das Geheimnis zwar endlich lüften, hatte aber im Gegenzug auch echt Angst vor Samstag. Wie sollte ich bis dahin noch durchhalten und vor allem dann ruhig bleiben, wenn es soweit war? 

Seit du bei mir bist, weiß ich, was Ankommen istWhere stories live. Discover now