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F̲̅e̲̅l̲̅i̲̅x̲̅ P̲̅o̲̅v̲̅:

„Ich bin erst seit zwei Minuten wach und will schon wieder schlafen", sind meine ersten Worte, nachdem eine App namens Wecker meinen unruhigen Schlaf unterbricht. Langsam setze ich mich auf, um diesen auszuschalten, damit ich wenigstens vor der Schule noch meine Ruhe habe.

Diese Erinnerungen von Jongnim waren die Nacht über erneut so präsent, als wären sie vorgestern passiert, während mein Herz aufgrund der Schmerzen rast. „Dieser verdammte Wecker!", beschwere ich mich minimal gereizt. Anscheinend hat mein Zeigefinger auf „Schlummern" gedrückt, statt auf „Aus". Jetzt ertönt der nervige Ton noch ein zweites Mal, als wäre einmal nicht genug.

Schlecht gelaunt drehe ich meinen Oberkörper zu dem Nachkästchen hin, bevor ich mein Handy beim Greifen fast fallen gelassen hätte. Eigentlich will ich doch nur dieses unangenehme Geräusch loswerden. Jetzt muss ich nur noch mit Socken in eine Pfütze steigen und der Tag ist perfekt. Nicht.

Unmotiviert wie ein Pferd ohne Hafersack trotte ich ins Bad, damit wenigstens mein Gesicht nicht der Hölle gleicht. Im Badezimmer angekommen, stützen meine Hände mich erstmal am Waschbecken ab, ehe ich tief durchatmen muss. Schlimmer kann es sowieso nicht mehr werden, richtig?

In Gedanken versunken, fische ich mir eines der schönen, zusammengefalteten Handtücher, kurz bevor ich mir das Gesicht wasche.

Flashback:

Mit einem breiten, warmen Lächeln betrete ich die Klasse, bis mir mein bester Freund ins Auge springt. „Hey, Lix!", begrüßt er mich freundlich, ebenfalls umspielen seine Lippen ein Grinsen. „Hey, Jong!", erwidere ich, während die Mädchen wie üblich über den neusten Gossip tuscheln. „Ich muss dir dringend etwas erzählen", drängt der Junge, bevor seine weiche Hand meinen Oberarm nimmt, um mich mitzuziehen.

Aufgeregt lasse ich meinen Körper auf den Stuhl neben meinem besten Freund Jongnim fallen. „Was musst du denn loswerden? Du wirkst extrem ungeduldig", stelle ich belustigt fest, ehe der Größere nicht mehr zu stoppen ist. „Ich habe draußen die Typen gehört, welche die Transe letztens zusammengeschlagen haben. Auf jeden Fall wollen die fünf das Transgirl ausfindig machen, um ihr wieder was anzutun. Du erinnerst dich doch an den Vorfall von letztens?", erweckt der Junge meine Erinnerung, welche in mir Schuldgefühle hochdrücken lassen. „Ja", presse ich die Antwort über meine Lippen hervor. „Außerdem heißt es Transboy. Er hat sich schließlich mit er, ihm Pronomen vorgestellt und sogar seinen neuen Namen genannt", hänge ich an, da es mir wichtig ist, Jongnim klarzumachen, die Person richtig anzusprechen. „Wie auch immer. Ist doch egal", wechselt der Junge plötzlich seinen Ton zu einem genervten um.

Vor nicht allzu langer Zeit hatte sich jemand in dieser Klasse als transgender geoutet. Die Person wurde jedoch so stark gemobbt, dass er die Schule verlassen musste. Ich konnte leider nichts machen, denn meine Versuche, das Mobbing abzuwehren, scheiterten. Jedes Mal, bei dem ich helfen wollte, wurde ich von verschiedenen Leuten zurückgezogen mit der Ausrede „Du kannst nichts machen. Sie wird es schon schaffen". Es ist mehr als falsch, so zu denken. Es ist mehr als falsch, nichts zu tun. Es ist mehr als falsch, jemanden fertig zu machen, der nichts dafür kann. Diese intoleranten Menschen. Es liegt in deren verdammten Verantwortung. Stattdessen schlagen sie auf andere ein, wobei sich die Mitläufer amüsieren und lachen.

Kurz schüttelt sich mein Körper unmerklich, damit diese Gedankengänge aus meinem Kopf verschwinden. „Hast du noch irgendwas von ihr gehört?", fragt Jongnim gespannt. „Nein, leider. Glaubst du, es geht ihm gut?", blicke ich besorgt zu meinem besten Freund. „Keine Ahnung. Das geht uns ja nichts an, wie es ihr geht", betont er die falschen Pronomen trotzdem extra.

Zu diesem Zeitpunkt sah ich aber nur über die schlechte Seite von ihm hinweg, sodass ich später den größten Fehler meines Lebens beging und unter anderem meine offene, extrovertierte, überall anzutreffende Persönlichkeit verloren hatte.

Flashback Ende

Mit Tränen in meinen Augen und meinen Wangen hinunter kullernd, lande ich wieder in der Realität, als hätte mir jemand einen Schlag verpasst, während ich im Bett seelenruhig schlummere. „S-Shit", bringe ich verletzt flüsternd heraus. Meine Nase, sowie Augen sind komplett rot angelaufen, als wäre ich auf eine Antarktis Exkursion gereist. Hasserfüllt und mit starrem Blick schaue ich immer noch in den Spiegel des Badezimmers, meine Hände und Finger bohren sich währenddessen in den kalten Rand des Waschbeckens, sodass man bereits die weißen Knöchel nicht übersehen kann.

„Ich hasse dich so unfassbar sehr, Jongnim!", schreit meine Stimme laut in Gedanken. Das Gefühl, die Beherrschung zu verlieren bringt mich noch um den Verstand. Die Erinnerungen flackern vor meinem inneren Auge auf, welche ich hartnäckig unterdrücke. Zumindest ist es ein missglückter Versuch. Mein Spiegelbild verschwimmt mit jeder Sekunde noch mehr. Die allbekannte, salzige Flüssigkeit verdünnt durch Trinkwasser befeuchten die Haut meiner Wangen, da ich eigentlich den Plan hatte, mein Gesicht zu waschen.

„Wieso muss das alles jetzt wieder hochkommen?", stellt sich mein Gehirn nach einigen Minuten, in denen ich mich halbwegs beruhigen konnte, selbst eine Frage, während ich mir verzweifelt in die Haare raufe. Unfähig weiter im Stehen die Zeit zu verlieren, lässt sich mein Körper langsam an der nächsten Wand neben dem Spiegel niedersinken. Die Kälte der Fliesen ist deutlich zu spüren, weswegen sich eine Gänsehaut auf meiner Haut breitmacht. Leicht zitternd, verheult schlingen sich meine Arme unterbewusst um meine Beine, bevor ich meinen Kopf auf ihnen ablege.

„Wieso belastet mich das so? Es war doch alles gut", belüge ich mich selbst. Mein Verstand weiß bereits die Antwort, jedoch verdrängt mein Herz diese Erkenntnis.

Als ich endlich meine Sachen fertig habe, treffe ich unerwartet meine Mutter im Flur. „Lixie, was machst du denn noch hier? Ich dachte, du musst zur Schule", bemerkt sie verwirrt. „I-Ich", bleiben die Worte in meinem Hals stecken.

Meine Mama mustert mich mehr als besorgt. Ich konnte ihr bis zum heutigen Tag nicht sagen, was in meiner alten Schule passiert ist. Meine größte Befürchtung ist, dass sie es nicht akzeptiert, mich als Unmensch oder komisch bezeichnet. Jedoch bin ich mir sicher, ich kann ihr nicht auf Ewig entfliehen, denn gegen ihre Sturheit verliert man nur.

„Soll ich dich zur Schule bringen?", schlägt sie fürsorglich vor. „Nein, passt schon. Du würdest zu spät zur Arbeit kommen", erwidert meine Stimme mit einem Lächeln. „Du hast mir immer noch nicht den Grund deines Wechsels verraten. Wenn du reden willst, dann kannst du zu mir kommen", betont die Frau ihre Unruhe deutlich. „Ich weiß, danke. Ich muss jetzt aber los, sonst komme ich viel zu spät an", umarmen wir uns noch kurz, ehe meine Beine Geschwindigkeit aufnehmen.

Mit Ach und Krach bin ich rechtzeitig bei dem Schulgebäude angekommen, wobei ich beim Spind schnell die Bücher hole, ehe ich in Rekordzeit ein Rennen starte.

„Und deswegen hatten die Leute im
Mittelalter Probleme mit Durchfall und der Pest", quasselt der Geschichtslehrer, während ich die Tür aufmache, ihn leicht verstört ansehe. „Guten Morgen, Felix. Du scheinst genau richtig zu kommen. Setze dich, ich brauche für sieben Minuten Verspätung keine Entschuldigung. Noch dazu ist das bei diesem Thema nicht unverständlich", witzelt der Anfang 30 Jährige. In der Zwischenzeit glotzen mich alle an, wobei meinen Augen der leicht grünliche Teint mancher Mitschüler auffällt. Changbin hat seine gesamte Aufmerksamkeit der Welt außerhalb gewidmet, was mich kurz stutzig werden lässt. Normalerweise wünscht der Kleinere mir einen guten Morgen, selbst wenn ich nichts erwidere.

„Habe ich etwas falsches gemacht?", schwebt die gesamte, restliche Stunde ein Fragezeichen in meinem Kopf.

Aber natürlich zeige ich wieder mal kein Gramm meiner echten Gefühle, sondern setze die eiskalte Maske erneut auf, welche mir eigentlich auch weh tut, jedoch wird das von mir persönlich ignoriert.

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Es ist tatsächlich länger geworden, als erwartet. Hoffentlich gefällt es euch!

Ich hoffe, ich ziehe die Story nicht ins Langweilige xD (wenn doch, dann bitte ich um eine Meldung)

Have a lovely time!

Don't hurt me \\ ChanglixWhere stories live. Discover now