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Zweimal ist er daran vorbeigerannt, doch irgendwann steht Ronny vor Carmens Haus. Er hat keine Ahnung, wie er das geschafft hat. Er schwitzt und hat Durst. Sein Knie tut weh. Die Hose ist am rechten Knie zerrissen, weil er bei den Altglascontainern neben der Pferdeweide gestolpert und hingefallen ist. Ronny sieht an sich herunter. Dreckige Hände, Schrammen am Arm, schmutziger Pulli, kaputte Hose. Er sieht aus wie Lumpi.

Carmens Haus sieht immer noch schön aus, jedoch nicht mehr so schön wie gestern. Ronny sieht Dinge, die ihm bisher noch nicht aufgefallen sind. In der Dachrinne wächst Gras. Eine zerbrochene Plastikgießkanne liegt neben dem Weg. Dem Gartenzwerg neben der Treppe fehlt der linke Arm. Als Ronny sich dem Haus nähert, wird in einem Fenster neben ihm der Vorhang zur Seite geschoben. Ronny zuckt zusammen. Zwei gerötete Augen in einem bleichen Gesicht starren ihn an. Hat er es doch gewusst. In Carmens Haus lebt ein Monster. Das ist bestimmt der Rabe. Carmens Papa. Was will denn der von ihm? Er trägt einen grauen Schnauzer und eine komische Frisur. Jetzt winkt er Ronny auch noch zu und will auch gar nicht mehr schrecklich aussehen. Er fuchtelt mit seiner verbogenen Hand herum und bedeutet Ronny, zum Eingang zu kommen. Kurz darauf öffnet sich die Haustür und der Rabe steht leibhaftig vor ihm. Ronny ist unschlüssig, was er tun soll. Zurück zum Kindergarten laufen? Laut um Hilfe rufen? Den Raben vors Schienbein treten? Er entscheidet sich für ein freundliches Lächeln.

Carmens Rabenpapa ist ganz krumm. Er stützt sich auf einen Gehstock und muss sich am Türrahmen festhalten, damit er nicht umfällt. Seine Stimme klingt warm.

»Na, du Furzknoten! Ausgebüxt?«

Ronny verzieht den Mund. Was ist denn ein Furzknoten? Hört sich nicht nett an. Wenn der Rabe jetzt Ruven wäre, würde er ihn in den Schwitzkasten nehmen, bis er quiekt und um Hilfe schreit.

»Komm mal fix rein! Muss dich ja keiner hier rumstehen sehen!«

Rabenpapa guckt die Straße hinunter. Beim Drehen des Kopfes knackt sein Nacken. Der Gehstock klackert lustig auf den Bodenfliesen. Ronny folgt dem Raben ins Haus, wo es jetzt anders riecht als heute Morgen. Nicht mehr nach Waschpulver und Parfum, sondern nach Pippi, ungewaschenen Haaren und Staub. Ständig kratzt der Rabe sich irgendwo. Am Hals, auf dem Handrücken, im Gesicht. Feine Schuppen rieseln auf den Boden. Sie durchqueren den Flur. Der Rollstuhl steht jetzt an einer anderen Stelle. Ronny wirft einen Blick durch die offen stehende Wohnzimmertür. Die Zitronenlimo und die Salzstangen stehen noch auf dem Tisch. Das beruhigt ihn. Durch die großen Fenster scheint die Sonne ins Haus und lässt Ronnys Beklemmung verschwinden. Er sieht Alberich durch den Garten rennen. Ein kleines geflecktes Kaninchen rennt vor ihm davon und verschwindet am Fuß des Apfelbaums in einem Loch. Plötzlich pikst Rabenpapa ihn mit dem Gehstock in den Rücken.

»Hee! Keine Löcher in die Luft starren, Jungchen! Komm her, ich zeige dir mal was!«

RONNYWo Geschichten leben. Entdecke jetzt