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Heute trägt Ronny das blauweiß gestreifte T-Shirt. Seine Mutter meint, das würde ihn wie einen braven Jungen aussehen lassen. Blauweiß, wie die Matrosen, wie der HSV, wie Blaubeeren mit Sahne, wie das Veilchen unter Mamas Auge. Blaues Veilchen auf sehr, sehr bleicher Haut. Und dabei hat Papa dieses Mal gar nicht so doll zugehauen!

Ronny will da nicht rein. Seine Mutter zerrt ihn am Arm hinter sich her, obwohl sie weiß, dass das nichts bringt. Sie ist wütend. In einer Viertelstunde beginnt ihr Dienst bei Edeka. Schon gestern war sie zu spät gekommen, weil der Kampf mit Ronny so lange dauerte. Der Kindergarten ist gut gesichert. Die Klinken sind so weit oben angebracht, dass Kinder sie nicht erreichen. Das gefällt ihr. Niemand kommt hier raus, wenn er es nicht soll, es sei denn er klettert auf das Schaukelgerüst, von dort aus in den Apfelbaum, dann in den knorrigen Birnenbaum und über den Zaun. So wie Ronny. Gestern. Gleich nach dem Frühstück, das er nicht angerührt hat. Er wollte Schokopops und Nutella, und sowas gibts im Kindergarten nicht.

Ronny kann das Shirt nicht leiden, aber er muss es anziehen. Das andere mit dem Darth-Vader-Aufdruck ist in der Wäsche. Ein anderes hat er nicht. Er hätte mit nackigem Oberkörper gehen können, hatte sich schon damit abgefunden, er fand seinen kleinen, hageren Körper knackig, das hatte Mandy von nebenan bestätigt, sie fand ihn süß. Seine Mutter aber machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Sie meint, dass es  ausreicht, wenn einer ihrer Männer den lieben langen Tag mit nacktem, verschwitztem Oberkörper durch die Gegend läuft, Bier trinkt und herumgrölt.

Das T-Shirt ist ausgeleiert, es hat ein Loch am Bündchen, weil Ronny gestern an einem Ast hängen blieb, und es riecht nach abgestandenem Wasser und billiger Seife. Mama wäscht alles mit der Hand im Waschbecken, eine Waschmaschine besitzt sie nicht. Sie zeigt auf ihr Auge, warnt ihn, ermahnt ihn, malt düstere Szenerien in den morgendlichen Himmel. Wenn du nicht, dann. Dein Vater wird dich. Tu mir das nicht an. Und so weiter, und so weiter. Ronny starrt fußballgroße Löcher in die Luft und versteht nur Verladebahnhof. Nach dem Prinzip: zum einen Ohr rein, zum anderen wieder raus.

Schon von weitem sieht er, dass jemand die langen Äste des Birnenbaums abgesägt hat. Bleibt ihm nur der Weg übers Dach. Ronny ist leicht wie ein Eichhörnchen, alles kein Problem. Aber seine Mutter, sie tut ihm leid, weshalb weiß er nicht, aber sie tut ihm leid. Sie guckt so traurig, und sie verspricht ihm Vortagsbrötchen, die mit den Schokotropfen, die er so gern hat. Okay, er will es versuchen, will sich gut benehmen, alles essen und trinken was er essen und trinken soll, mit den anderen Kindern spielen. Keinen in den Schwitzkasten nehmen. Keine Puppen auseinander nehmen. Niemandem Legosteine in die Nase stecken und dann draufhauen bis es blutet. Er kriegt das hin. Er will das schaffen. Er ist nicht so wie sein Vater. Er ist ganz anders. Es weiß nur keiner.

Es ist ja nur bis Mittag. Es ist ja nur bis Mittag. Und wenn gar nichts mehr geht, gibts ja immer noch den Eichhörchenweg übers Dach.

Ronny ist vier und denkt manchmal schon an das Ende.

RONNYWhere stories live. Discover now