Kapitel 6) Das darf nicht sein...!

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Tobis Sicht...

Während ich den Brief lese, muss ich sogar meine Tränen zurückhalten, denn der ist echt hart. Das hat jemand geschrieben, der komplett kaputt und am Ende ist. Doch man fragt sich natürlich zurecht, was einen Menschen zu so einem Schritt treibt.

Als ich am Ende des Briefs ankomme, macht sich allerdings ein komisches Gefühl in meinem Bauch breit. Der Brief ist unterschrieben mit FELIX. Man würde jetzt denken, dass das doch einfach ein normaler Name ist. Und ja, so ist es auch. Aber ich kenne einen Felix, oder kannte. Ist das ein Zufall? Dieser Felix hat offensichtlich etwas sehr Schlimmes durchmachen müssen, was ihn zu diesem Schritt getrieben hat. Und der Felix, den ich kannte...naja... er hätte tatsächlich auch einen Grund gehabt sowas zu tun. Aber nein, ich sollte keine Parallelen ziehen. Wahrscheinlich bin ich einfach nur paranoid.

Es ist bestimmt nicht der Felix. DAS DARF NICHT SEIN! „Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Euer Verlust tut mir so unglaublich leid. Und ihr wisst bis heute nicht, warum er das getan hat?"

„Nein, unser Junge hat uns in diesem Brief darum gebeten, dass wir nicht versuchen die Wahrheit herauszufinden. Das quält uns jeden Tag, aber es war sein letzter Wunsch und wir haben uns gemeinsam entschieden, seinen Wunsch zu respektieren. Auch wenn uns die Ungewissheit wahnsinnig macht. Aber wir sind es ihm schuldig. Schuldig, weil wir offenbar zu blind waren, um zu erkennen, dass unser Kind mit furchtbaren Dämonen gekämpft hat."

Die Worte von Peter, Jareds Dad, berühren mich erneut und ich finde es bemerkenswert, dass sie so stark sein können.

„Hier schau, das war unser Felix. Er war so ein guter Junge."

Andrea gibt mir einen Bilderrahmen in die Hand. Als ich das Foto sehe, muss ich jeden Muskel meines Körpers anstrengen, damit ich vor Schreck nicht das Bild fallen lasse. Mir wird auf einen Schlag kotzübel und ich muss meine eigenen Tränen zurückhalten. Denn auf diesem Bild ist wirklich DER FELIX! Der, den ich kannte. Scheiße! Die schreckliche Erkenntnis darüber, dass er tot ist, wird sofort von einer weiteren Erkenntnis begleitet. ICH BIN SCHULD, DASS ER TOT IST!

Felix und ich waren zusammen in einer Schule, in einem Jahrgang. Während ich sehr beliebt war und ein Draufgänger, war Felix der Außenseiter. Er hatte keine Freunde und war immer allein. Also zumindest dann, wenn er nicht gemobbt, oder geschlagen wurde. Und dieses Mobbing und die Schläge kamen ausschließlich von meinen Freunden und mir! Ich war der Schlimmste. Der Anführer der Mobber-Clique. Jahrelang habe ich Felix wie Dreck behandelt. In der Fünften gab ich ihm den Spitznamen SHITTY. Und den behielt er all die Jahre. Den Namen hatte er, weil wir uns regelmäßig darüber lustig machten, dass er keine Marken und eher recht alte und abgetragene Klamotten trug.

Wir warfen ihm jeden Tag fiese und verletzende Sprüche an den Kopf, lachten ihn aus, klauten ihm seine Sache, oder machten irgendwas von ihm kaputt. Aber am schlimmsten war wohl wahrscheinlich die Gewalt. Es verging kein Tag, wo wir ihn nicht geschlagen haben. Manchmal haben wir ihn sogar richtig verprügelt. Ich habe keine Ahnung, wie er es schaffte das vor allen zu verstecken. Klar, wir schlugen ihm nie ins Gesicht, damit es nicht auffällt. Aber trotzdem muss doch mal irgendwer was gemerkt haben. Da wir allerdings nie Ärger bekamen, hat er es wohl geschafft, dass die Leute nie seine Verletzungen bemerkten.

Und wenn doch mal jemand was bemerkt hatte, dann hatte er immer eine Ausrede. In der Neunten habe ich ihm den Arm gebrochen, aber auch dafür bekam ich keinen Ärger, denn er sagte, dass er mit dem Fahrrad gestürzt sei.

Das er all die Ausreden erfand und sich nie was anmerken ließ, tat er natürlich aus Angst.

Wenn ich heute darüber nachdenke, dann wird mir richtig übel. Felix hatte schreckliche Angst vor uns. Und vor allem vor mir. Diese Angst war so heftig, dass er mich sogar noch gedeckt hätte, wenn jeder Außenstehende hundertprozentige Beweise für meine Schuld gesehen hätte. Niemals hätte er mich verraten. Das sieht man auch an seinem Abschiedsbrief. Er wusste, dass er sich umbringt und dass niemand ihm helfen kann. Dadurch war ihm auch klar, dass ich ihm nie wieder etwas tun könnte, also hätte er in seinem Brief ohne Probleme alles erzählen können. Trotzdem hat er das nicht. Und das ist eine Tatsache, die einfach krass ist. Ein Opfer, was seinen Mörder deckt. Ich sage bewusst Mörder. Denn auch wenn er seinen Körper selbst getötet hat, habe ich seine Seele getötet.

Schatten der Vergangenheit - Tobi...!Where stories live. Discover now