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„Nein warum sollte es mir etwas ausmachen?“ Jayden schenkte Kian ein schiefes Grinsen. „Na, was ist? Hast du vielleicht Lust, mich zu begleiten? Kannst du reiten? Ich wollte etwas mit Ikarus raus.“
„Was ... das“, in Kians inneren tobten die Emotionen, sein Herz raste, derweil er den Alpha mit großen Augen ansah. Er hatte keinen Zweifel daran, dass sich das Unverständnis und seine Verwirrtheit über dessen Worte nicht nur in seinem Gesicht widerspiegelte, und schluckte. „Theo-theoretisch ... Ich- ich habe noch nie auf einem echten Pferd gesessen. Schließlich ist es für einen von uns ja auch nicht gang und gäbe. Es sind Fluchttiere.“
Doch Jaydens Lippen zogen sich auf Kians Äußerung hin nur zu einem Schmunzeln. „Das ist mir durchaus bewusst. Doch wie du sicherlich schon bemerkt hast, lassen sich unsere Tiere auch von uns problemlos reiten. Also was ist - hast du Lust? Ich hätte eine ganz liebe Stute, die wir für dich satteln könnten. Wenn du möchtest, nehme ich sie zusätzlich an den Strick. Sie ist wirklich das sanftmütigste Tier hier im Stall, ich verspreche es dir.“
„Obwohl ich ein Omega bin ... und nicht einmal dein Gefährte-. Ist das dein Ernst?!“ Kians Augen verengten sich irritiert und etwas sprachlos, unterdessen sich sein Kopf leicht zur Seite neigte. Doch anstatt in ein kaltes hämisches Lachen auszubrechen, zogen sich nun auch Jaydens Augenbrauen sichtlich verwirrt zusammen. „Was hat denn das eine mit dem anderen zu tun? Sicher meine ich es ernst - also?“ Jays Mundwinkel zuckten nach oben, indessen seine Augen begeistert strahlten. „Glaub mir, die Gegend ist echt idyllisch und ich habe ganz gewiss nichts gegen die Gesellschaft eines absolut hinreißenden und auf mich sympathisch wirkenden Omega.“
Kian biss sich auf seine Unterlippe, indessen sein Herz vor Aufregung und ehrlicher Freude schnell in seiner Brust puckerte. „Okay ... ich- ich würde mich echt freuen. Aber wie gesagt, Ich bin noch nie geritten.“ „Ich passe auf dich auf, versprochen“ Jayden grinste, mit freudig funkelnden Augen. Trat auf Kian zu, was diesen dazu zwang zu dem Älteren aufzusehen und deutete an, ihn am Oberarm zu berühren, ohne dass seine Finger auch nur Kians Kleidung streiften, währenddem er mit der anderen Hand in Richtung der hinteren Boxen deutete. „Na dann komm. Ich zeige dir die Hübsche.“

Kian folgte dem Alpha mit vor Nervosität flatterndem Herzen bis vor eine der nobel aussehenden Boxentüren, nur damit sich seine Augen prompt weiteten, als sie das wunderschöne Tier im Inneren erfassten. Dem jungen Omega stockte der Atem. War das Jaydens ernst?

„Darf ich vorstellen - Keeva. Unsere Blue Roan Quarter Horse Stute.“ In Jays Unterton schwang etwas Liebevolles mit. Es war eindeutig, dass er das Tier gern hatte.
„Sie hat mitunter einen der ausgeglichensten Charakter, ist unkompliziert und besitzt starke Nerven, weshalb sie auch in außergewöhnlichen Situationen ruhig bleibt. Mein Vater hat sie vor Jahren von seiner Irland-Reise mitgebracht. Ich bin mir sicher, dass du dich auf und mit ihr wohlfühlen wirst“, Jaydens und Kians Blicke trafen sich. „- sie und ich werden gut auf dich acht geben.“

„Sie ist unglaublich schön.“ Kians Stimme war leise vor Ehrfurcht, derweil sich seine Augen erneut auf die Stute richteten. „Hat ihr Name eine Bedeutung?“ „Die Schöne, die Hübsche“ Jay lachte gedämpft. Ein wunderschönes Geräusch, in welches der Jüngere sogleich mit einstieg. „Na das passt ja.“
Kian konnte nicht leugnen, dass allein die Fellfarbe des Tieres ihn in seinen Bann zog. Die Rassenbezeichnung passte hier eindeutig. Er hatte noch nie eine solche Fellfarbe gesehen. Selbst die wenigen schwarzen kleinen Flecken auf ihrem Körper taten ihrer Schönheit keinen Abbruch, wobei Mähne und Schweif so dunkel waren wie Ikarus.

„Hier-.“ Kian riss sich von Keevas Anblick los und sah zu dem Alpha, der ihm in diesem Augenblick schmunzelnd ein lockeres Halfter samt Strick entgegenhielt. „Da du Ikarus aus seiner Box geholt hast, hat man dir wohl schon alles gezeigt. Wie wäre es, wenn du sie holst, und dann zeige ich dir, wo ihre Sachen stehen. Den Rest machen wir dann zusammen und ich erkläre dir nebenbei alles, was du noch nicht weißt.“

*

„Ist es eigentlich normal, dass du fremde Leute zu einem Ausritt mitnimmst?“ Kian riss seinen Blick von den gewaltigen Baumstämmen zu seiner Linken los und richtete ihn auf das Gesicht des Alpha, der zu seiner Rechten auf Ikarus ritt, den Führstrick fest in seiner Hand, der an Keevas Zaumzeug befestigt war.
Das Herz des Omegas schlug auf unerwartete Weiße schneller, puckerte in seiner Brust, als Jayden ihm ein Lächeln schenkte. Wenn ihm auch ein Rätsel war, warum er genau bei diesem Mann so reagierte.

„Nein“, Jay lachte gelöst, starrte einen Moment lang zum Blätterdach empor, durch welches die Sonnenstrahlen fielen und alles um sie herum in ein wunderschönes Gold, Rot und Braun tauchte, bevor er ihn samt einem schiefen Grinsen wieder auf den Jüngeren richtete. „Was daran liegt, dass es keine Fremden gibt, die ich fragen könnte. Zumal ich dafür auch normalerweise nicht der Typ bin. Bei dir hat es sich einfach - richtig - angefühlt. Nenn es Eingebung, wenn du willst. Das Ikarus dich mag, muss ein Zeichen sein.
Darf ich wissen, was euch zu uns verschlagen hat? Mein Vater ist für gewöhnlich sehr - sagen wir ... wählerisch, was neue Bewohner auf unserem Grundstück und Rudelmitglieder anbelangt-.“

Ja - er hatte mit dieser Frage gerechnet ... doch bei weitem nicht so früh. Kian schluckte schwer. Sein Magen zog sich auf unangenehme Weise zusammen und ihm wurde kalt, als wäre die Temperatur gerade unter den Gefrierpunkt gefallen. Wahrscheinlich würde es nicht mehr lange dauern, bis die ersten Schneeflocken von Himmel rieselten.
Doch was hatte er schon zu verlieren - richtig, rein gar nichts. Außer die Möglichkeit, dass Jayden, der ihm bisher einfach nur Freundlichkeit entgegengebracht hatte, daraufhin auch nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Doch das konnte auch wegen so vielen anderen Dingen, die geschehen konnten, der Fall sein ... also.

Kian zwang sich zu einem gehobenen Mundwinkel, wenn es auch keineswegs gelungen oder überzeugend wirkte, und einer halbwegs unbeschwerten Stimme. „Ich - nun ja“, Kians Blick heftete sich stur auf Keevas Mähnenansatz. „- du wirst es ja wahrscheinlich eh erfahren ... also“, Kian presste seine Lippen für einen Moment feste aufeinander, unterdessen sein Blick zurück zu Jay schweifte, der geduldig wartete, wenn auch sichtlich neugierig. „Der Sohn unseres alten Alpha hat mich als seinen Gefährten erkannt ... und ... hat mich abgelehnt. Er will weder einen Omega noch einen Mann an seiner Seite, wogegen seine Freundin absolut nichts einzuwenden hatte. Ich habe meine Eltern gebeten, dass wir von dort wegziehen. Ich konnte nicht in seiner Nähe sein, ihm ständig begegnen. Ich habe seine Blicke und die der anderen nicht ertragen, ebenso wenig wie die Kommentare ... und da mein Dad deinen Vater kennt-.“

„Er hat dich verstoßen, noch an seinem Geburtstag nehme ich an, wenn ihr im gleichen Rudel wart?!- das erklärt deine Reaktion.“ Kian sagte nichts und wagte es  nicht, zu Jayden zu sehen, während ihm ein keineswegs angenehmer Schauer die Wirbelsäule hinunterlief. Nun war nicht nur die Temperatur hier im Wald abrupt gefallen, Jaydens Stimme hatte auch jegliche Wärme verloren. Welche sie jedoch, zu Kians Überraschung, schon im nächsten leise geäußerten Satz etwas zurückgewann. „Ich suche seit sieben Jahren meinen Seelengefährten, Kian. Glaub mir, dieser Idiot hat keine Ahnung, was er angerichtet hat. Du kannst dir nicht vorstellen, wie froh ich wäre, wenn ich einem solch süßen, attraktiven, sympathischen Omega begegnen und ihn als meinen Gefährten erkennen würde. Du kannst auch so glücklich werden – mit der Zeit.“ Kian hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten, als seine Augen dem Blick des Alpha begegneten, der nichts als Wärme und Zuversicht ausstrahlte. „Danke Jayden.“ Jays Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, indessen seine Fingerspitzen einmal Keevas Hals entlang strichen, Worte waren nicht notwendig.

So ritten sie in angenehmer Stille im Schritttempo weiter über eine weiße Holzbrücke. Genossen die, von Vogelgezwitscher und Hufgetrappel begleitete Ruhe und folgten einem mit altem Laub bedeckten breiten Pfad immer weiter in Richtung der Ausläufer des Hungabee Mountain.

The only one - Das Rudel von GoldenwoodOù les histoires vivent. Découvrez maintenant