Prolog

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Das Ticken der Uhr machte mich nervös. Ich starrte dieses riesige metallene Ungetüm an, das aufgrund seiner Größe fast ein Viertel der Wand im Wohnzimmer einnahm, und wünschte mir plötzlich nichts sehnlicher, als ganz woanders zu sein. Draußen in der Natur vielleicht, inmitten einer blühenden Wiese oder auf einer verlassenen Lichtung im Wald.

Seit wann war es eigentlich so, dass ich mich nicht einmal mehr in meinem eigenen Zuhause heimisch fühlte? Hatte ich es überhaupt je getan?

Ich wandte meinen Blick von der Uhr ab und richtete ihn stattdessen aus dem Fenster in unseren penibel gepflegten Garten. Die Gewissenhaftigkeit und die Kreativität unseres Gartendesigners kostete uns monatlich horrende Summen, aber an Geld mangelte es nicht. Eher an Zufriedenheit und Glück.

Auf dem sauber gechlorten Wasser des nierenförmigen Pools spiegelten sich die Lichtreflexe der untergehenden Sonne. Sie erinnerten mich an winzige Blutstropfen, die auf der klaren Oberfläche schwammen. Vorboten der herannahenden Katastrophe, die in wenigen Minuten meinem Leben ein Ende setzen sollte. Naja - jedenfalls so gut wie.

Von unten hörte ich leise Stimmen. Leise, aber zornig. Beunruhigt trat ich näher an das Panoramafenster heran und blickte suchend in den Garten.

Die Szene, die sich mir bot, sah auf den ersten Blick nicht spektakulär aus. Zwei dunkel gekleidete Männer mit getönten Sonnenbrillen standen vor Levy, meinem
Mann, der unserem Haus, und somit auch mir, den Rücken zuwandte. Seine Schultern neigten sich stärker nach unten als gewöhnlich und er hatte den Kopf eingezogen. Von hier oben erinnerte er mich merkwürdigerweise an eine Schildkröte.

Einer der Männer trat nun dicht an Levy heran und versetzte ihm einen kurzen Stoß mit der flachen Hand. Ich vernahm eine gezischte Äußerung, verstand jedoch die Worte nicht. Schweiß bildete sich auf meiner Oberlippe und unter den Achseln.

Levy hob jetzt, in einer beschwichtigenden Manier, beide Handflächen und trat einen Schritt zurück. Ich verspürte einen seltsamen Druck auf meinen Ohren. Die Welt schien für den Bruchteil einer Sekunde stehen zu bleiben und drehte sich dann irgendwie langsamer als vorher.

Als wäre es gar nichts Außergewöhnliches,  zog plötzlich einer der dunklen Herren eine Pistole mit einem aufgesetzten Schalldämpfer aus seinem teuer aussehenden Sakko. Er zielte auf Levy und drückte ab. Ich konnte das Mündungsfeuer sehen. Mein Mann sackte zusammen, wie eine Marionette, der man die Strippen gekappt hatte. Ich hörte mich schreien.

Zwei Sonnenbrillen starrten zu mir empor. Und dann richtete eine der zwielichtigen Gestalten mit der Präzision eines Uhrwerks die Waffe auf mich.

Das satte Geräusch, mit der die Kugel die Scheibe und danach meinen Brustkorb durchschlug, nahm ich schon gar nicht mehr wahr.

Die Sanduhr der Träume Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt