Kapitel 6 - Der Gipfel der Peinlichkeit

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Wir treffen uns um 21:00 Uhr am Strand, direkt am Pier. Schaffst du das?", fragte Mia.

Ich klemmte den Telefonhörer zwischen Kieferknochen und Schulter und durchsuchte den Kleiderschrank, während ich Mias Anweisungen zuhörte. Wollte ich pünktlich sein, würde ich mich etwas beeilen müssen.

Eine knappe halbe Stunde später begutachtete ich mein Outfit vor dem großen Spiegel im Wohnzimmer. Ich hatte mich für ein langes, enges schwarzes Baumwollkleid mit einem kleinen Neckholderkragen entschieden, das die Schultern komplett frei ließ. Kombiniert mit hellgrauen flachen Converse wirkte es zwar immer noch sehr schick, aber trotzdem sportlich genug für einen Abend am Strand.

Unruhig lief ich durch die Wohnung, drehte alle Fensterblenden zu und tauschte das Wasser von Charles Darwins Trinksäule aus, der mir aus lauter Dankbarkeit auf die Schulter flog, um mich mit seinen Hinterlassenschaften zu beehren. Zum vierten Mal vergewisserte ich mich, dass der Elektroherd auch wirklich ausgeschaltet war, und bei der Wahl der Ohrringe verlor ich bald vollkommen die Nerven. Schließlich tauschte ich die Sterlingsilber-Ohrringe, die ich gerade mühevoll blank poliert hatte, gegen schmale Creolen.

Warum war ich so nervös?

Endlich nahm ich meine winzige Handtasche, in der ich Papiertaschentücher, Lip Balm mit Melonengeschmack und meinen Schlüsselbund aufbewahrte, schaltete im Flur das Licht ein, zog dann die Wohnungstür hinter mir zu und machte mich auf den Weg.

Es war nicht allzu weit zum Strand von Grover Beach. Wenn ich von unserem Appartement aus dem Fenster sah, konnte ich bei klarem Himmel das Ozeanblau des Pazifiks sehen. Je nachdem aus welcher Richtung der Wind kam, hörte ich auch häufig das Schreien der Möwen und manchmal sogar die merkwürdigen, knarzenden Laute der Pelikane, die wie ein ungeöltes Gartentor klangen.
Den Fußweg von etwa eineinhalb Meilen hätte ich also durchaus laufen können, das Kleid wäre jedoch etwas hinderlich gewesen. Daher entschied ich mich für die bequeme Variante und wählte den BMW.

Wenig später stellte ich meinen Wagen auf dem Parkplatz ab, den man vor einigen Jahren für die vielen Besucher des Strandes deutlich vergrößert hatte. Von hier aus waren es zur Strandpromenade und zum Pier nur wenige Schritte.

Ein sommerlich warmer Wind empfing mich, als ich aus dem Auto stieg, vermischt mit dem leicht salzigen Geruch nach Algen. Die milde Temperatur würde sich in den nächsten Stunden allerdings ändern, spät abends wurde es empfindlich kühl, vor allem hier vorne am Wasser.

Ich erreichte schon nach wenigen Metern die Strandpromenade, die auch am Abend noch gut besucht war. Paare saßen auf den Bänken und genossen die Urlaubs-Atmosphäre, während sich Fotografen mit ihren Stativen auf die Suche nach einem geeigneten Standort für ein spektakuläres Foto machten. Die blaue Stunde hatte begonnen, die Zeit, in der das Sonnenlicht verschwunden, aber noch nicht ganz der nächtlichen Dämmerung gewichen war.

Eltern spazierten mit Kinderwagen an mir vorbei, manche stoppten bei den unterschiedlichen Foodtrucks und gönnten sich ein spätes Abendessen. Der Duft nach Knoblauch und mediterranen Kräutern stieg mir in die Nase. Ich vermutete, dass er von den Cajun Fries ausging, die von einem der Foodtruckbetreiber angeboten wurden.

Mia wartete neben dem Eingang zum Sandstrand auf mich. Suchend schweifte ihr Blick über die Menge der abendlichen Spaziergänger. Ich streckte die Hand aus und winkte. Als sie mich entdeckte, hoben sich ihre Mundwinkel zu einem erleichterten Lächeln.

Wie schon so oft bewunderte ich ihre natürliche Schönheit, während sie da etwas verloren neben der kleinen Steinmauer stand, die die Promenade vom Strand trennte.

Schon alleine ihre kastanienroten Haare, die ihr in kleinen Wellen über die Schulter fielen, sorgten dafür, dass man sie ansah. Ihre großen braunen Augen und die lustigen Sommersprossen wirkten ausgesprochen sympathisch, was dazu führte, dass eigentlich jeder sie auf Anhieb mochte. Aus diesem Grund nahm ich es Jeremiah wirklich übel, dass er sie plötzlich so kritisch und von oben herab behandelte.

Die Sanduhr der Träume Where stories live. Discover now